Da wirkte selbst Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt fast selig, als er den Journalisten am Freitag, 7. November, die neue Ausstellung "Bernini. Erfinder des barocken Rom" eröffnete. Die große Eröffnungszeremonie fürs Publikum findet im Museum der bildenden Künste am heutigen 8. November um 18 Uhr statt. Es bleibt ein wundersamer Weg, den Bernini nach Leipzig genommen hat.

Denn zu Lebzeiten war er nie hier. Auch wenn ihn Prof. Dr. Sebastian Schütze vom Institut für Kunstgeschichte der Uni Wien nicht nur als Erfinder des barocken Rom bezeichnet sehen möchte, sondern als Erfinder des Barock überhaupt, des letzten universalen Kunststils, der nach Bernini den ganzen Kontinent Europa erfasste. Der Ruhm zu seinen Lebzeiten muss dem Michelangelos entsprochen haben, auch wenn heutige Passanten in Leipziger Innenstadtgassen eher mit den Schultern zucken: Wer war Bernini? Und was hat er mit Leipzig zu tun?

Die Antwort auf die zweite Frage lautet: Eigentlich nichts. Seinen Wirkungskreis Rom, wo der vielfach Begabte (Grafiker, Bildhauer, Architekt) unter sechs (wahlweise auch acht) Päpsten wirkte und für die Formensprache im Petersdom sorgte, hat er im Grunde nur einmal verlassen in seinem Leben – und das Ziel der Reise war nicht Klein-Paris, sondern das große Paris Ludwig des Vierzehnten. Aber nach Leipzig kam sein Werk trotzdem – auf recht verblüffenden Wegen. Heute gehören die Zeichnungen Berninis zum Bestand des Bildermuseums – und machen Leipzig damit, neben der vatikanischen Sammlung und der Sammlung der englischen Königin, zur dritten wichtigen Bernini-Sammlung in der Welt.

Was der Rat der Stadt Leipzig 1713, als ihm ein Konvolut von Zeichnungen angeboten wurde, noch gar nicht ahnen konnte. Wenn auch schon der Kaufakt selbst etwas Besonderes ist, wie Dr. Jeannette Stoschek, Leiterin der Grafik-Sammlung des Leipziger Museums der bildenden Künste, zu erzählen weiß. Denn dieser Kaufakt ist einer der frühesten Ansätze in Deutschland, eine eigene städtische Kunstsammlung aufzubauen. Damals noch im Rahmen der Ratsbibliothek, die bis ins 20. Jahrhundert hinein tatsächlich eine faszinierende Kunstsammlung besaß – bis der Krieg einen großen Teil der Bestände vernichtete und der Rest auf die anderen Leipziger Museen aufgeteilt wurde.Am Anfang aber stand ein Angebot. Der römische Kunsthändler Prior Francesco Antonio Renzi bot Leipzig ein Konvolut von über 50 Klebebänden an, in denen hunderte wertvoller Zeichnungen gesammelt waren, die zu einem großen Teil aus der Sammlung der Königin Christina von Schweden stammten. Die schwedische Königin, die 1654 offiziell abgedankt hatte und noch im selben Jahr zum Katholizismus konvertiert war, war nicht nur eine große Kunstsammlerin, sie war auch eine Verehrerin Berninis, auch wenn sie sich dessen Kunstwerke wohl gar nicht leisten konnte. Als sie 1689 in Rom starb, hinterließ sie nicht nur eine große Kunstsammlung, sondern war auch hoch verschuldet, so dass es eher nicht überrascht, dass ihre Sammlung bald darauf im italienischen Kunsthandel auftauchte. Und darin auch hunderte Zeichnungen des von ihr bewunderten Bernini, Zeichnungen, die ihr der Künstler wahrscheinlich selbst geschenkt hatte. Diese Zeichnungen landeten nicht geschlossen in jenen 54 Klebebänden, die Renzi 1713 dem Leipziger Ratsbibliothekar Christian Götze anbot. Ein anderer Teil der Zeichnungen blieb bis heute in Italien und ist in der heute beginnenden Ausstellung erstmals mit dem Leipziger Zeichnungsbestand vereint. Was die Schau auf jeden Fall schon einmal zu etwas Ungewöhnlichem macht.

Die Römer werden diese vereinte Bernini-Zeichnungs-Sammlung erst im März 2015 zu sehen bekommen.

Etwas Besonderes war auch, dass die Leipziger Ratsherren 1714 dem Rat Christian Götzes folgten, und die von Renzi angebotenen vier Kisten kauften, in denen sich neben den 54 Klebebänden auch zahlreiche Skulpturen und andere teils antike Sammlungsstücke befanden. Bezahlt wurde das Ganze zur Hälfte in Geld, das der Rat wohl 1715 an Renzis Erben zahlte, zur anderen Hälfte in Leipziger Druckwerk, mit dem begnadete Kunsthändler wie Renzi damals gute Geschäfte machen konnten: darunter die berühmten Gelehrtenzeitschrift “Acta Eruditorum”, die seit 1680 in Leipzig erschien.

In der Zeichnungssammlung, die Leipzigs Ratsherren so erwarben und der Ratsbibliothek anvertrauten, befanden sich neben Zeichnungen Berninis auch Zeichnungen berühmter Zeitgenossen wie Salvator Rosa. Eher offen ist die Frage: Erwarben sie die berühmten Namen wissentlich oder unwissentlich? – Denn die folgenden 200 Jahre verschwanden die berühmten Zeichnungen eher unbeachtet in den Schränken der Ratsbibliothek. Erst 1914 wurden sie tatsächlich wieder ans Tageslicht geholt, erstmals in einer Ausstellung gezeigt und wurden Grundlage einer großen Veröffentlichung von Heinrich Brauer und Rudolf Wittkower im Jahr 1931. 1954 gelangten die Klebebände ins Museum der bildenden Künste Leipzig, nachdem der Rat der Stadt Leipzig beschlossen hatte, die Stadtbibliothek künftig wirklich nur noch als Bibliothek zu führen. Die Bernini-Zeichnungen kamen in den Bestand des Museums der bildenden Künste, andere Teile aus den vier Kisten Renzis landeten zum Beispiel im Grassi-Museum.Seit 1954 sind die Bernini-Zeichnungen Anziehungspunkt für Barock-Forscher aus aller Welt. 1980 gab’s im ehemaligen Reichsgericht eine recht umfangreiche Bernini-Ausstellung. Und dass ausgerechnet 300 Jahre nach dem Ankauf eine Bernini-Ausstellung wieder ins Leipziger Bildermuseum lockt, sei eher Zufall, betont Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt. Man habe zwar seit drei Jahren an der Ausstellung gearbeitet, aber nicht auf eine Jubiläumsausstellung hingearbeitet. Eher auf die Umsetzung eines großen Forschungsprojekts, das jetzt mit einem gewaltigen Bild-Text-Band auch dokumentiert ist.

Zur Unterstützung hat man sich die Uni Wien und Prof. Dr. Sebastian Schütze ins Boot geholt, einen ausgewiesenen Kenner des Barock und der weit reichenden Wirkung Berninis, der mit seinen Erfindungen praktisch ein ganzes Zeitalter in der europäischen Kunst einläutete und bestimmte. Ganze Städte wurden damals in barockem Stil umgebaut – heute ist das in Dresden noch bestens zu besichtigen. Aber auch Leipzig hat noch einige barocke Kleinode aufzuweisen – von der Alten Handelsbörse bis hin zum Gohliser Schlösschen.

Die Ausstellung, die im Museum der bildenden Künste vom 9. November 2014 bis zum 1. Februar 2015 zu sehen ist, zeigt erstmals mit 150 Zeichnungen Berninis die ganze Bandbreite seines Schaffens – viele Porträtzeichnungen auch von Zeitgenossen darunter, aber auch viele Vorarbeiten zu den berühmten Kunstwerken Berninis in Rom. “Die wir für die Ausstellung leider nicht extra nach Leipzig holen konnten”, scherzt Jeannette Stoschek. Ergänzt werden die Bernini-Zeichnungen von Arbeiten seiner Zeitgenossen von Rosa bis Borromini (später sein wohl ärgster Konkurrent) usw., die auch deutlich machen, in welchem Kosmos Bernini lebte und wirkte.Fotografien aus dem späten 19. Jahrhundert machen noch einmal deutlich, wie sehr Rom die Nord- und Westeuropäer auch in dieser Zeit noch (oder wieder) faszinierte – und wie auch das barocke Rom Berninis die Fotografen in Staunen versetzte. Man begegnet Königin Christina von Schweden und dem Ratsbibliothekar Götze. Und in einem Raum machen elektronische Mittel auch möglich, virtuell durch Renzis Klebebände zu blättern. Den heutigen Aufbewahrungsbedingungen würde diese Methode, Zeichnungen platzsparend zu ordnen, natürlich nicht mehr genügen.

Ergänzend zur Ausstellung gibt es auch eine besondere Edition des Freundeskreises Max Klinger, mit deren Erlös die Ausstellung gefördert wird. Sie enthält drei Kunstwerke, mit denen sich drei heutige Leipziger Künstler mit Bernini beschäftigen – der Komponist Siegfried Thiele, der Dichter Andreas Reimann und der Maler und Grafiker Michael Triegel, der dann wohl auch exemplarisch dafür steht, dass die Zeichnung bis heute die Grundlage aller Kunst ist. Ein Verwandtschaftsbogen also über 300 Jahre.

Es gibt einen Audioguide durch die Ausstellung, deren Bilder auf satten Farbflächen geradezu zum Verweilen und Wirkenlassen einladen. Und es wird wieder einzelne Veranstaltungen geben, in denen Berninis Zeit noch auf andere Weise lebendig wird.

Die erste gleich am Donnerstag, 13. November, 19 Uhr, wenn Dr. Veronica Biermann über “Die Königin und ihr Künstler” referiert. Am 16. November kann man dann sogar in die Passage Kinos pilgern, wo der Film “Königin Christine” aus dem Jahr 1933 gezeigt wird.

www.mdbk.de

Bernini auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Gian_Lorenzo_Bernini

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