Mehrere Cranach-Ausstellungen erfreuen in diesem Jahr die Kunstfreunde Mitteldeutschlands. Der Grund ist simpel: Lucas Cranach der Jüngere hat seinen 500. Geburtstag. Und weil das so schön in die Reformations-Dekade passt, wird gleich die ganze Malerdynastie gewürdigt. Im Leipziger Bildermuseum seit Donnerstag, 3. September, mit einer besonderen Schmuckkästchenausstellung.

Anderswo sieht man die großen Gemälde, die Luther-, Altar- und Fürstenbilder. In der Kabinettausstellung “Cranach – von der Idee zum Werk” dominiert das Kleinformat. Das ist schon etwas Besonderes, denn das Museum der bildenden Künste hat ein paar Cranach-Schätze im Bestand, die ihre Einzigartigkeit erst beim näheren Betrachten enthüllen. Oder wenn man die Schildchen dazu liest. Da hängen hübsch nebeneinander recht lustige Zeichnungen von Hirschen und Rehen. Jagdszenen vielleicht. Mit Wasserfarben gemalt von Lucas Cranach dem Jüngeren. Erst die Erklärung zeigt: Nein, da hat er kein Buch illustriert und auch keinen Comic zeichnen wollen. Es sind Entwürfe zur Ausmalung von Tapeten für fürstliche Jagdgemächer. Der Fürst war begeistert. Dr. Jan Nicolaisen ist es ebenso. Er ist Leiter der Gemäldesammlung im Museum der bildenden Künste und weiß, was bei den Cranachs aus solchen kleinen Entwurfszeichnungen werden konnte. Und er sieht in den Zeichnungen die Begeisterung des Malers für die Jagd, die Tierwelt, das Lebendige  – und sein Talent für die spielerische Umsetzung, die so modern wirkt, als hätte Cranach der Jüngere problemlos auch Comics zeichnen können.

So wird ein kleiner, verspielter Blick möglich, nicht nur in die Wittenberger Malerwerkstatt, sondern auch in die Spielfreude von Vater und Sohn Cranach.

Jan Nicolaisen erklärt die Besonderheiten in dem kleinen Adam-und-Eva-Bild Lucas Cranach d.Ä. von 1512. Foto: Ralf Julke
Jan Nicolaisen erklärt die Besonderheiten in dem kleinen Adam-und-Eva-Bild Lucas Cranach d.Ä. von 1512. Foto: Ralf Julke

Gleich gegenüber hängen in kleinen Schauvitrinen zwei Altarzeichnungen. Kennt man irgendwie, es gibt tausende Zeichnungen von den wichtigsten Künstlern dieser Zeit. Diese aber sind etwas Besonderes: Es sind Entwurfszeichnungen, mit denen Lucas Cranach der Ältere seinem Auftraggeber, Kardinal Albrecht von Brandenburg, zeigte, wie die 14 Prozessionsaltäre für die Stiftskirche in Halle aussehen würden, die Albrecht in Auftrag gegeben hatte. Auf einmal ist man mitten in der Lutherzeit: Luther hat gerade seine 95 Thesen angeschlagen, versucht in Disputationen und auf Reichstagen den Mächtigen seine Position zu erklären. Die Reformation hat gerade erst zaghaft begonnen, das Land zu verändern. Und Kardinal Albrecht, später einer der wichtigsten Gegenspieler Luthers, gab die Ausgestaltung seiner Stiftskirche in Halle trotzdem an den Wittenberger Hofmaler Lucas Cranach.

Sein Vorbild, so erläutert Dr. Marcus Andrew Hurttig, Mitarbeiter der Grafischen Sammlung im Bildermuseum, sei wohl das Riesenprojekt der Sixtinischen Kapelle, die die Päpste in Rom von den berühmtesten Künstlern der italienischen Renaissance ausmalen ließen – Raffael und Michelangelo. Da wollte Kardinal Albrecht wohl mithalten und orderte ebenso die berühmtesten deutschen Maler zur Ausgestaltung seiner Stiftskirche in Halle. Von Cranach wollte er 14 Altäre mit den Leidensstationen Christi. Das Interieur der Stiftskirche wurde noch im Verlauf der Reformation wieder entfernt, zerstreut, vernichtet. Einige Malereien konnte Albrecht nach Aschaffenburg bringen.

Heute wäre die Kirche ein Pilgerort für Kenner der deutschen Renaissancekunst. Und so sind die zwei Altarentwürfe für Albrecht, die man sogar aufklappen kann, eine besondere Seltenheit. “Nur wenige andere Museen haben noch welche”, schwärmt Hurttig.

Ein paar Schritte weiter hängt ein Doppelporträt: Es vereint die beiden Kurfürsten – Friedrich der Weise und Johann der Beständige. Den Kupferstich hat Lucas Cranach der Ältere für den großen Katalog angefertigt, in dem die von Friedrich gesammelten Reliquien alle säuberlich geordnet und abgezeichnet versammelt waren. Friedrich war zwar weise und beschützte seinen Dr. Luther – aber seinem (alten) Glauben blieb er bis zum Ende treu. Erst auf dem Totenbett wagte er den Glaubenswechsel.

Im zweiten Raum erfreut wieder eines jener beliebten Adam-und-Eva-Bilder die Betrachter, 1512 vom älteren Cranach auf Holz gemalt, ein bisschen erotisch, aber auch ein Bild, das zeige, wie sich der ältere Cranach schon intensiver mit der menschlichen Anatomie beschäftigte, betont Nicolaisen. Der Einfluss der italienischen Renaissance ist unübersehbar. Auch in den 14 Holzstichen, die daneben hängen, farbig illuminiert: die Passion Christi, auch vom älteren Cranach, genauso wie Martin Luther als Augustinermönch, als Kupferstich.

“Aber da konnte er Dürer nicht das Wasser reichen”, stellt Hurttig fest. Deswegen gäbe es auch eher wenige Kupferstiche von Cranach. Seine Talente lagen im Holzschnitt.

Nicht alles, was es zu den kleinformatigen Arbeiten zu wissen gibt, passt auf die erklärenden Schilder oder in die Texte an der Wand. Wer wirklich mehr über die Arbeitsweise der Cranachs und ihrer Werkstatt erfahren will, ist gut beraten, an einer Führung teilzunehmen.

Einiges erfährt man auch im dritten Raum, den Rüdiger Beck, der Chefrestaurator des Bildermuseums, ausgestaltet hat. Denn er kommt den Cranach-Gemälden so nah wie kein anderer. An einer ganzen Wand ist die aufwendige Restaurierung des Cranach-Gemäldes “Die Dreifaltigkeit, verehrt von Maria und dem heiligen Sebastian” dokumentiert. Ein Jahr dauerte die Restaurierung des Bildes, bei der das Gemälde selbst komplett von seinem Untergrund abgelöst wurde und auf eine völlig neue Holztafel gebracht wurde. Die originale Holztafel war praktisch schon vor 200 Jahren zum Fraß der Würmer geworden, was damals schon eine Rettung mit den Mitteln der Zeit notwendig machte.

Chefrestaurator Rüdiger Beck vor der Wand, die die Arbeitsweise der Cranach-Werkstatt sichtbar macht. Foto: Ralf Julke
Chefrestaurator Rüdiger Beck vor der Wand, die die Arbeitsweise der Cranach-Werkstatt sichtbar macht. Foto: Ralf Julke

Jetzt kann man in einem Film die ganze Restaurierung noch einmal miterleben und im Detail sehen, was für eine Arbeit die Restauratoren leisten müssen, wenn sie solche Bilder retten. Auf der gegenüberliegenden Wand zeigt Beck dann, was man bei der jahrelangen Beschäftigung mit den Bildern über die Arbeitsweise der Cranach-Werkstatt herausgefunden hat, wie gut die Werkstatt organisiert war und wie effizient die Produktion der Bilder. Bis hinein in die Malweise, was Beck am Bildnis Georg des Bärtigen von Lucas Cranach dem Älteren einmal anschaulich macht – Schicht um Schicht, Effekt um Effekt.

Und wer noch mehr wissen will über die Befunde der Wissenschaftler zu den Cranach-Tafelgemälden, der kann eine kleine Computerstation im Raum nutzen, die den Besucher direkt mit dem Cranach Digital Archive verbindet, wo Wissenschaftler weltweit ihre Befunde zu Cranach-Gemälden sammeln. So kann man den beiden berühmten Cranachs und ihren namenlosen Werkstattmitarbeitern quasi über die Schulter schauen und bekommt eine Vorstellung davon, wie da in Wittenberg die Bilder manchmal regelrecht in Serie produziert wurden. Jeder hatte seine Aufgabe, alles war durchdacht.

Die Kabinettausstellung ist also etwas für Leute, die nicht einfach nur staunen wollen, sondern gern auch erfahren möchten, wie die Cranachs so eindrucksvolle Bilderfluten schaffen konnten und wie sie sich die Neuerungen der italienischen Malerei zu eigen machten, ohne die ja die berühmtesten Stücke der deutschen Renaissance nie diese Wirkung entfaltet hätten. Da und dort bedauerte es Marcus Andrew Hurttig schon ein wenig, dass er nicht auch zum Vergleich Bilder aus der Zeit nur wenige Jahrzehnte früher hatte mit hinhängen können: als Vergleich – und um sichtbar zu machen, welch eine Revolution Künstler wie Dürer, Grünewald und die Cranachs eigentlich für die damalige Kunst bedeuteten. Eine echte Zeitenwende eben – bis hin zum Arbeitsprozess in den Malerwerkstätten.

Zu sehen ist die Kabinettausstellung im Museum der bildenden Künste vom 3. September bis zum 15. November.

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