Diese Ausstellung wollte Jürgen Reiche unbedingt als eine der ersten machen, wenn er sein Amt als Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig antritt: "Zuhause ist ein fernes Land". Am Dienstagabend, 25. November, wurde sie offiziell eröffnet. Mit der Fotografin dieser eindrucksvollen Bilder: Gundula Schulze Eldowy.

L-IZ-Leser haben die Fotografin schon kennengelernt. 2011 hat sie gleich drei Bücher im Lehmstedt Verlag veröffentlicht, die alles auf den Punkt bringen, was ihre Arbeit insbesondere in der DDR so außergewöhnlich machte: “Der große und der kleine Schritt”, “Berlin in einer Hundenacht” und “Am fortgewehten Ort”. Letzteres ein Band Prosa, der die sehr poetischen Geschichten erzählt, die die Fotografin hinter ihren Bildern entdeckt hat, erlebt hat, auch selbst erlebt hat. Und wer aufmerksam las, merkte da schon, warum die Bilder der in Thüringen Geborenen so frappieren und so aus dem Rahmen fallen, mit aller Wucht wirken: Sie hat – anders als die meisten Fotografen der DDR – eben nicht fotografiert, was sein sollte oder was den Erwartungen der Mächtigen entsprach, sondern das, was war.

Es gibt in der Reihe berühmter DDR-Fotografen, die bei Lehmstedt mit ihren Fotobänden vertreten sind, einige, die ganz ähnlich vorgegangen sind und das “pure Leben” festgehalten haben, das, was es in der offiziösen Fotografie niemals gab. Aber man blättert durch diese Bildbände und man blättert durch die Fotobände von Gundula Schulze Eldowy, und man hat sofort wieder das beklemmende Gefühl, mittendrin zu sein in dieser Tristesse, dieser Beklemmung, die sich ab den 1980er Jahren in ein bleiernes Gefühl der Erstarrung verwandelte.

Und manchmal muss man es einfach wieder aussprechen, wie es auch die Künstlerin am Dienstag, 25. November, wieder tat, um zu merken, wie leicht man sich trügen und betrügen lässt – von Oberflächlichkeit, falschen Werturteilen, falschen Bildern. Und es braucht diese kleine Mahnung einer Künstlerin, die sich heute in Amerika viel wohler fühlt als in Deutschland, weil sie sich auch dort bestätigt fühlt in ihrer Wahrnehmung, in ihrem nüchternen und doch so emotionalen Blick auf die Welt.

Es gibt eine ganze Reihe Bilder in der kleinen Ausstellung, die schockieren, nicht nur das Bild aus dem Kreißsaal, in dem alles voller Blut zu sein scheint und das eine ganz und gar menschliche Geschichte aus dem Jahr 1987 zeigt, ein Jahr nach Tschernobyl. Als Christa Wolf seinerzeit ihr alarmierendes Buch “Störfall” schrieb, ging die damals in Berlin lebende Fotografin dorthin, wo die DDR noch lebendig war, wo die Menschen mit immer miserableren Arbeitsbedingungen kämpften, wo Menschen in Altersheimen vegetierten oder in den zerfallenden Straßen des Prenzlauer Bergs ihr Dasein fristeten. Oder eben in Krankenhäuser, wo die ganze Malaise eines illusionären Landes sichtbar wurde, sein Schmerz und seine nackte Existenz.

Flöha, 1986. Foto: Gundula Schulze Eldowy
Flöha, 1986. Foto: Gundula Schulze Eldowy

Deswegen sorgten diese Bilder in New York, in Japan, in Peru für Furore. Und nicht nur bei den gewieften Kritikern des Feuilletons, sondern bei den einfachen Besuchern, die hier in frappierender Schärfe sehen konnten, wie sehr auch das Leben in der DDR ein geschundenes, verwundetes war, ihrem eigenen Alltag verdammt ähnlich. Sie erkannten sich wieder und die Fotografien Schulze Eldowys waren wie eine Sprache, die keine Übersetzung mehr brauchte. Bis heute nicht braucht, denn sie erzählen vom ganz elementaren Leben. Sie spricht vom Authentischen, das sie abbilden wollte.

“Ich wollte die Welt fotografieren, wie sie ist, nicht wie sie sein könnte.”

Logisch, dass sie sich schon mit diesem einfachen, so menschlichen künstlerischen Vorsatz in Widerspruch setzte zu den Mächtigen im Osten. Und sie wunderte sich auch nicht wirklich, dass am Ende die Stasi bei ihr auftauchte. Denn Vieles ertrugen die Gralshüter einer heruntergekommenen Utopie, aber nicht die Wahrheit und schon gar kein Bild der Wirklichkeit.

Und das Verblüffende ist: Das hat sich mit dem Mauerfall 1989 nicht geändert.

Die Mächtigen haben gewechselt. Aber haben sich die Menschen geändert?

Nicht wirklich. Auch deshalb sorgen die Ausstellungen Schulze Eldowys immer wieder für Furore. Sie berührt in den Betrachtern etwas, was immer da ist – und was doch so selten Nahrung findet. Denn ehrlich: Wirklich authentischer sind auch die Bilder der westlichen Welt nicht. Was auch an etwas liegt, was die Thüringerin schon in frühen Jahren für sich entdeckte: “Es gibt Menschen, die zulassen, dass ein Weltbild sie okkupiert. Damit fangen die Probleme an.”

Der Führer, Berlin, 1987. Foto: Gundula Schulze Eldowy
Der Führer, Berlin, 1987. Foto: Gundula Schulze Eldowy

Und das galt nicht nur für die Anbeter des “real existierenden Sozialismus”, das gilt für alle Weltbilder. Oder doch besser: Bilder von der Welt?

Etwas ganz und gar Deutsches: Man beschäftigt sich nicht wirklich mit der Welt, fährt hin, redet mit den Leuten, guckt, wie sie leben und wie sie mit ihren paar Kröten umgehen. Hier passt das scheußliche, aber auch so treffende Wort “Weltanschauung” hin: Der Deutsche hat eine Weltanschauung.

“Die Deutschen nehmen sich viel zu ernst”, sagt die Fotografin. “Sie reden viel zu wenig mit den anderen Völkern.”

Stattdessen reden die Deutschen gern über andere Völker, bestätigen sich gegenseitig ihre Vorurteile. Und geben dann knüppelharte Werturteile ab. Sie werfen sich zum Lehrmeister auf, ohne vorher was gelernt zu haben. Und ihre Bedürfnisse nach Wirklichkeit befriedigen sie damit, dass sie sich lauter Dinge zulegen, von denen sie glauben, dass sie sie zum Leben brauchen. Schulze Eldowy: “Die Dinge lenken die Menschen von der eigenen Wahrnehmung ab und von ihrer eigenen Essenz.”

Das Ergebnis: Sie lassen sich von den Bildern aus aller Welt geradezu in Panik versetzen und von den viral verbreiteten Botschaften der Gewalttäter aller Länder erst recht. Eine Fiktion. Ein Phantasma, wie es die Künstlerin nennt, deren Botschaft eigentlich ist: “Kümmert euch um eure Essenz, nicht um die Welt da draußen.”

Genau das, was sie immer getan hat. Instinktiv, wie sie sagt. Instinktiv ist sie mit ihrem Fotoapparat immer dahin geraten, wo es gerade brannte, dorthin, wo sich die Wirklichkeit bloß und nackt und verlässlich zeigte. Das kann nicht jeder Fotograf, sagt auch Jürgen Reiche.

“So’n Instinkt wie ein Tier, wie eine Wölfin”, sagt Schulze Eldowy. “Ich glaube, ein Fotograf braucht diesen Instinkt.”

Picasso nennt sie als großes Vorbild. Aber den genauen, gründlichen und akribischen Blick, den hat sie bei einer ganz anderen Zunft gelernt: bei den französischen Romanciers, bei Balzac, Zola, Hugo und Stendhal. Die auch deshalb so überdeutlich in der Landschaft stehen, weil sie mit ihrer Art zu Schreiben versuchten, die Welt zu beschreiben, wie sie ist. Zu einer Zeit, als in Deutschland die späte Romantik ihre Triumphe feierte und sich im gemütlichen Kleinstadtroman zum Mainstream mauserte. Das hat sich bis heute nicht wirklich geändert. Auch wenn heute sogar ganze Zeitungen und Magazine den idyllischen Traum einer heilen, ungefährdeten Welt pflegen.

Das ist aber nicht die Wirklichkeit, gegen die ja die Heinzelmännchen von Dresden demonstrieren, als könnten sie auf diese Weise ihre alte Mauer-Idylle wiederbekommen.

Das, was Menschen wie Gundula Schulze Eldowy schon vor 1989 nicht ausgehalten haben. Im Jahr 2015 wird das nicht aushaltbarer. Und da geht man dann durch die kleine Ausstellung und sieht bestätigt, was Jürgen Reiche sagt: Diese Fotografien zeigen etwas, was man auch in New York und anderswo sehen kann, wenn man wirklich hinguckt und das authentische Leben der Menschen beobachtet. Sie zeigen, dass das harte und zum Teil schäbige Leben in der späten DDR keine Ausnahme war, sondern die nackte Essenz, die aber Viele gar nicht mehr sahen. Denn wenn ein Weltbild den Kopf füllt, sieht man die Realität nicht mehr.

Natürlich sind die Bilder auch vom Blick der Fotografin geprägt. Sie zeigen, was die Künstlerin gesehen hat – und machen es damit auch für alle sichtbar, die es so nicht gesehen haben. Entweder weil sie nicht konnten oder nicht wollten. Deswegen verstören sie so. Auch heute noch. Denn damit steht auch die Gegenwart wieder im Fokus, auch wenn die Ausstellung keine Bilder aus den letzten 25 Jahren zeigt, sondern Szenen aus einem vergangenen Land, das eben für die, die wirklich da gelebt haben, beides war: Ein schäbiges Zuhause und ein “fernes Land”, auch als Utopie und falsche Kulisse.

Die Ausstellung “Zuhause ist ein fernes Land. Fotografie von Gundula Schulze Eldowy” ist im Zeitgeschichtlichen Forum vom 26. November 2015 bis zum 14. August 2016 zu sehen. Eintritt frei.

Und aus Anlass der Ausstellung haben wir auch gleich noch die drei Buchbesprechungen zu Gundula Schulze Eldowy wieder ins Archiv gestellt. Lesbar für alle Mitglieder des Leserclubs. Wer nicht drin ist, verpasst mittlerweile schon eine Menge. Die Links finden Sie gleich unterm Artikel.

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