Das Ausstellungsjahr im Museum der bildenden Künste beginnt am 14. Februar. Dann eröffnet die erste große Ausstellung in diesem Jahr. Sie ist Via Lewandowsky gewidmet, dem Meister der kommunikativen Missverständnisse, wie Dr. Frédéric Bußmann sagt, der diese Ausstellung betreuen wird. Die Leipziger kennen Lewandowsky schon als Meister des goldenen Eis.

Eigentlich ist es ja eine Glocke der Demokratie, die an der Ecke Goethestraße/Augustusplatz seit 2009 steht und ab und zu mit unerwartetem Glockenschlag daran erinnert, dass Revolutionen zwar Stunde und Tag kennen, aber keine geregelten Arbeitszeiten. “Es ist ein Ei”, jubelte seinerzeit Walter-Christian Steinbach als Vorsitzender der Kulturstiftung Leipzig, die aller fünf Jahre so ein besonderes Erinnerungsstück an den Herbst ’89 in den öffentlichen Raum setzte. Lewandowsky passte in den Reigen, denn er schuf nicht nur ein eindrucksvolles Objekt (das auch mal zum gestrickten Rieseneierwärmer inspiriert), sondern er regte zum Nachdenken an. Das Ei als Ursprung aller Dinge. Als goldene Morgengabe, die man hüten muss. Als möglicher Beginn etwas völlig Unerwarteten. Sinnbild des Lebens und der Fruchtbarkeit.

Die Kunst des 1963 in Dresden geborenen Lewandowsky ist auf den ersten Blick minimalistisch. Auf den zweiten zwingt sie zur Auseinandersetzung. Oder zur Verweigerung. Das gibt es auch: Betrachter, die nicht ins Tiefe, Ungewisse gehen wollen. Die kennt Lewandowsky schon aus seiner DDR-Zeit, als er mit Performances versuchte, den offiziösen Kunstbetrieb der DDR zu unterlaufen. Vergleichbares geschah seinerzeit ja auch in Leipzig. Man denke nur an den ersten Herbstsalon oder die frühe Ausstellungsarbeit von Judy Lübke. Die jungen Künstler wollten nicht mehr in den alten Trott: Schüler werden, Assistent, Lehrer. Fortsetzer der verordneten klassischen Kunstsicht (auch wenn die Fortsetzer dabei Erstaunliches zuwege brachten). Sie wollten endlich die Freiräume erobern, die westliche Kunstströmungen längst hatten – von Dadaismus bis Fluxus. Undenkbar in einem Land, in dem die Funktionäre über den heroischen Realismus nie hinauskamen.

Folgerichtig, dass Lewandowskys noch kurz vor der Friedlichen Revolution in den Westen ging, die ganze Welt bereiste und sich dort die Anstöße holte, die er für seine Art Kunst zu machen brauchte. Die auch einen Unterboden hat, was Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt extra betont: Das ist sein Glaube. Seine Installationen sind auch immer eine Suche nach Transzendenz. Keine Mission. Sondern eine Herausforderung an den schauenden Menschen. Mit der eingebauten Frage: Siehst du was?

Und wenn ja: Was?

60 Objekte will Bußmann aufbauen in der großen Halle. Darunter drei Installationen, die extra für Leipzig hergestellt wurden. Der Grundkorpus war schon mal in der Kunsthalle in Kiel zu sehen. Und die Überthemen sagen schon alles: Huldigung, Fetisch, Mission, Aura, Höhere Gewalt und Wunder.

Man kann die Worte für sich auch übersetzen, umkrempeln, auf den Kopf stellen. Denn ein Anbeter des Heiligen ist Lewandowsky nicht. Eher im Gegenteil. Er kennt die Erwartungshaltungen der Betrachter – und spielt mit ihnen. In orientalisch anmutenden Buchstaben leuchtet da ein Wort an der Wand, das zum Nachdenken anregt. Nur wenn man die Erklärung liest, weiß man: Hier ist das Wort Vernunft zu lesen. Manche Leute glauben ja dran wie an den lieben Gott – und würden nie an ihrem gesunden Menschenverstand zweifeln.

Aber Zweifeln ist angebracht. Das ist Lebenserfahrung für Lewandowsky. So darf man sich auch auf die Schrift an der Wand, das große Menetekel freuen. In diesem Fall: “Auge um Auge, Zahn um Zahn”, dieses Urgesetz, das einmal Ordnung schuf – aber auf eine radikale, fast tyrannische Weise. 3.000 Jahre alt, eigentlich längst abgelöst durch klügere, differenzierte Gesetze. Aber man muss ja nur in die Nachrichtenkanäle schauen, um zu sehen, wie sehr einige Engstirnige weltweit darauf aus sind, das uralte Gesetz brachial zum Handlungsmuster zu machen.

Und dieser archaische Moment wird dann auch noch phonetisch umgesetzt.

In Seitenkabinetten werden dann eher die Audio- und Licht-Installationen von Lewandowsky zu erleben sein. Ein Licht ausstrahlendes Tonbandgerät zum Beispiel, das den Betrachter zum Hinschauen und Rätselraten zwingt: Sieht er etwas? Oder ist das Gesehene nur für ihn sichtbar? Wie entstehen eigentlich Bilder? Und: Sehen wir alle dasselbe?

Womit er eben nicht nur Glaubenshaltungen und Präsentationen von Religion, Gesellschaft, Wissenschaft und Politik hinterfragt, sondern auch unser eigenes Wahrnehmen. Warum glauben wir eigentlich, alle dasselbe zu sehen und zu verstehen? Oder ist das überhaupt noch möglich in einer kommunikativ überreizten Gesellschaft? Kann es sein, dass wir das Eigentliche und Wichtige nicht mehr sehen, weil wir vom Banalen und Oberflächlichen abgelenkt werden? Mythos als Erklärungsmuster für die Welt – und gleich mal hinterfragt und ironisch gebrochen: Stimmt das Erklärungsmuster? Oder unterliegen wir einer großen Täuschung?

Oder – das ist dann was für die Verschwörungsfanatiker: Was für ein Unsinn entsteht eigentlich, wenn wir die Dinge aus ihrer gewohnten Funktion reißen und sie verfremden?

Man merkt: Wer sich auf diese Ausstellung einlässt, der lässt sich auf Verunsicherungen ein, auf Hintersinn und unübersichtliches Gelände, wie Bußmann anmerkt. Auf einen längeren Gang zwischen immer anderen Inszenierungen, die das Selbstverständliche als durchaus trügerisch zeigen, sowieso.

Und dabei hätten sich 1995 beinah schon alle Leute zerstritten, als Via Lewandowsky als Erster den Kunstpreis der LVZ bekam. Die feierte damals ihren runden Geburtstag damit, einen aufmerksamkeitsträchtigen Kunstpreis aus der Taufe zu heben. Mit unabhängiger Jury, was das Beste ist an diesem Preis, denn dadurch kamen immer wieder junge Künstler zum Zug, die sich was trauten. Solche wie Lewandowsky eben, der das labile Spendergebilde beinah zum Einsturz brachte. Aber dann rauften sich doch alle wieder zusammen. Der Kunstpreis blieb erhalten. Und heute sind alle stolz darauf, dass Via Lewandowsky der erste Preisträger war. Eben mal kein Maler, kein Plastiker, kein Zeichner, sondern eher ein Wanderer zwischen den Welten, der vor allem den wachen Beobachter anspricht und aus der Reserve zu locken versucht: Glaubst du noch oder blinzelst du schon?

Eröffnet wird die Ausstellung am 14. Februar – parallel mit der Fotoausstellung von Stefan Koppelkamm.

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