Geboren wurde Stefan Koppelkamm 1952 in Saarbrücken, könnte also irgendwie noch den Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik 1959 erlebt haben. Hat der Beitritt der neuen Bundesländer im Osten den Fotografen animiert, nun einen ähnlichen Vorgang mit der Kamera zu begleiten? Manchmal hat ja Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt so seine Vermutungen. Aber stimmen sie auch?

Nicht immer. Auch nicht bei Koppelkamm. Denn wirklich viel mitbekommen hat er als Siebenjähriger von der Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik wohl nicht. Und wesentlich heruntergekommener als in den anderen westlichen Landesteilen wird die Bausubstanz im Saarland wohl auch nicht gewesen sein. 1990, so Stefan Koppelkamm, sei er einfach neugierig gewesen, habe Namen wie den der Stadt Görlitz auf der Landkarte gelesen, das einfach verheißungsvoll gefunden und sei hingefahren. Einfach so, aus purer Neugier.

Vielleicht nicht aus bloßer Neugier. Denn eines bekam der Fotograf schon schnell mit: Im Bereich der einstigen DDR hatte sich der größte Teil jener Bausubstanz erhalten, der in westdeutschen Städten im Rahmen des Wiederaufbaus aufgeräumt und weggeschafft worden war. „Ein Wiederaufbau war das nicht wirklich“, so Koppelkamm. Denn tatsächlich haben die großen Städte im Westen ihre historischen Altstädte fast alle dem modernen Bild von Stadt geopfert, haben aus über Jahrhunderte gewachsenen Innenstädten die autogerechte Stadt der Gegenwart gemacht, die die Bewohner und Besucher nur noch als leblos, leer und gesichtslos empfinden. Die Baustile der sogenannten Moderne kamen hinzu.

Verständlich, dass einen Künstler wie Koppelkamm 1990/1991 die Neugier packte zu sehen, wie die alten deutschen Städten einmal ausgesehen haben mussten. Er reiste durchs ganze Land – nach Görlitz und Weimar genauso wie nach Halle und Leipzig. Dabei fotografierte er nicht nur die vom Zahn der Zeit gezeichneten Bauten, sondern auch Ruinen. Ohne zu wissen, ob davon irgendetwas erhalten bleiben würde. „Ich wusste nur eins: In zehn Jahren wird das alles ganz anders aussehen.“

Zehn Jahre, manchmal auch 20 Jahre später, kam er wieder, stellte sich an dieselbe Stelle und fotografierte die Gebäude noch einmal. Und das, was dabei entstanden ist, ist ab heute im ersten Teil der Koppelkamm-Ausstellung im Museum der bildenden Künste zu sehen. „Häuser“ heißt dieser Teil und ist – wie Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt betont, „etwas völlig anderes als eine Vorher-Nachher-Ausstellung“. Auch wenn man sich die Bilder auch so anschauen kann – auch aus Leipziger Perspektive, denn etliche Leipziger Motive sind darunter, Häuser, bei denen auch die Einwohner mitgefiebert haben, als es um Rettung und Wiederaufbau ging.

Aber es wird mehr sichtbar als das Vorher und das Nachher. Es werden auch Verluste sichtbar. Denn natürlich sah auch das Leipzig vor den Bombengewittern von 1943 und 1944 nie so aus wie die heute wie geleckt polierten Fassaden. Städte und Häuser altern, damals alterten sie noch viel schneller als heute, weil viele Häuser auch in der Innenstadt noch in Privatbesitz waren und nicht auf einmal für mehrere Millionen grundsätzlich saniert werden konnten. Es wurde ausgebessert, repariert und geflickt. Dächer waren buntscheckig, der allgegenwärtige Ruß setzte sich überall ab, deswegen gibt es auf alten Fotos auch eher keine weißen Fassaden zu sehen, eher gräuliche und bräunliche.

Aber als Kind, das in der DDR aufwuchs, sah man auch nicht, wie alt und verschlissen die Bausubstanz mittlerweile geworden war. Das verblüffte Sebastian Hainsch besonders, der als Volontär am Museum der bildenden Künste beschäftigt ist und die Ausstellung von Stefan Koppelmann kuratieren durfte. Zehn Jahre alt war er 1990. „Und als Kind hatte ich das überhaupt nicht wahrgenommen, wie heruntergewirtschaftet die Stadt eigentlich war.“

Leipzig, Barfußgäßchen / Klostergassse (1990 / 2002). Foto: Stefan Koppelkamm
Leipzig, Barfußgäßchen/Klostergasse (1990/2002). Foto: Stefan Koppelkamm

Und wer heute durch die Straßen geht, sieht es wieder nicht. Denn wenn die Häuser saniert oder gleich mal nach uralten Vorlagen rekonstruiert werden, dann verschwinden nicht nur die Zerstörungen der Jahrzehnte, alte Mauerinschriften, Balustraden und Gesimse – dann verschwindet auch jede Spur des Alterungsprozesses. Als hätte man die Häuser völlig neu gebaut. Da wirkt Manches auf einmal wie Kulisse – als wäre nie etwas passiert.

So entstehen widersprüchliche Bilder-Geschichten, wird so nebenbei sichtbar, wie die heutige Zeit die Schichten vergangener Zeiten mit dem Versprechen, sie wiederauferstehen zu lassen, verschwinden lässt, austilgt aus dem Stadtbild.

Das ist die Stelle, an der sich die Installationen von Via Lewandowsky im Nebenraum mit den Fotografien Koppelkamms berühren: Beide beschäftigen sich mit den unbewussten Inszenierungen unseres Alltags. Und gerade Koppelkamm macht sichtbar, wie die gute Absicht, unsere Städte wieder bewohnbar und schön zu machen, direkt zu sichtbaren Verlusten führt. Und es ist ein Verlust, wenn nicht mehr zu sehen ist, wie schwer verletzt unsere Städte waren – doppelt verletzt durch die Bombardements des Zweiten Weltkrieges und den folgenden 40, 50 Jahre andauernden Verschleiß.

Aber auch in den beiden anderen Teilen seiner Ausstellung beschäftigt sich Koppelkamm mit den Wirkungen von Architektur und den Fehlstellen, die entstehen, wenn Architekten nur ihre Konstruktionsbausätze vor Augen haben, nicht aber an den Menschen denken, der in den Häusern leben und arbeiten soll. Das überlappt sich mit anderen Ideologie-Bereichen der modernen Arbeitswelt. Aber man fragt sich wohl zu recht: Wie fühlen sich Menschen hinter den gläsernen Vorhangfassaden, wenn  sie praktisch vor den Blicken der Öffentlichkeit ihrer Arbeit nachgehen müssen? Und wie fühlt man sich auf der anderen Seite, hinter diesen großen Glasfenstern, wenn der Blick wieder nur auf große Glasklötze geht oder auf blinde Hauswände, an denen dann mal üppige Poster mit Kosmetik-Schönheiten auftauchen? Ist das intim? Oder beginnen hier alle Wertmaßstäbe zu verschwinden?

Hauptverwaltung IV, Berlin, Potsdamer Platz (2007). Foto: Stefan Koppelkamm
Hauptverwaltung IV, Berlin, Potsdamer Platz (2007). Foto: Stefan Koppelkamm

Oder macht das den ausgelieferten Menschen nur frustriert?

Eine nicht ganz unwichtige Frage in einer Zeit, in der Moderne fast nur noch über leere, geometrische Flächen und sture Geradlinigkeit gedacht und geplant wird.

Das wird im Teil 3 der Koppelkamm-Ausstellung („Stimmen“) auch hörbar. Da hat Koppelkamm einfach mal lauter Orte aufgesucht, an denen sich Menschen gern gesellig versammeln, hat sie ohne Menschen fotografiert – aber in der Ausstellung sind zum Bild dann die Geräuschkulissen zu hören, die ahnen lasen, was hier los ist, wenn Publikum da ist in diesen zum Teil selbst wieder sehr minimalistischen Räumen von Cafés und Restaurants.

Da hat man auf einmal Bildlandschaften von Verfremdung und Entfremdung vor sich und stellt sich durchaus die Frage: Wo ist eigentlich der menschliche Maßstab für die künstlichen Welten, die für uns gebaut werden? Oder ist der mit den so rudimentären Bauweisen der Moderne einfach mit entsorgt worden und die alten, reparierten Städte des Ostens wirken deshalb so attraktiv? Vielleicht sogar, ohne dass ihre Bewohner das noch merken.

Da wird man sich wohl für die beiden Ausstellungen von Via Lewandowsky und Stefan Koppelkamm, die heute eröffnet werden, richtig viel Zeit nehmen müssen, wenn man dem nachspüren will. Aber das lohnt sich.

Was sich auch im Begleitprogramm spiegelt, wenn Leipziger Architektur-Experten wie Wolfgang Hocquél und Arnold Bartetzky mit Koppelkamm und Hans-Werner Schmidt diskutieren.

Offiziell eröffnet wird die Koppelkamm-Ausstellung „Häuser Räume Stimmen“ zusammen mit der Lewandowsky-Ausstellung „Hokuspokus“ am heutigen Samstag, 13. Februar, um 18 Uhr.

Ausstellungsdauer: 14. Februar bis 29. Mai.

Ausstellungsgespräche am 27. April, 18 Uhr, und am 8. Mai, 11 Uhr.

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