Am 14. Februar erschien im Eichborn Verlag das Buch "Apokalypse Jetzt! Wie ich mich auf eine neue Gesellschaft vorbereite" von Greta Taubert. Die Journalistin und freie Autorin berichtet für "Die Zeit", "Cicero", "taz" und die "FAS" von überall dort, wo es unbequem, schmutzig und riskant ist, wie sie selbst schreibt: von Blutrachehäusern in den Albanischen Alpen, von Kinderhändlern im äthiopischen Hochland und Guerillacamps in Mecklenburg-Vorpommern.

Ihre Arbeit wurde mit dem “Medienpreis der Kindernothilfe” ausgezeichnet. 2013 hat sie sich in ein groß angelegtes Experiment gestürzt: Wie kann man sich auf den Fall vorbereiten, dass mitten im satten Westen die Systeme zusammen brechen, weil eine der schwelenden Krisen (Finanz-, Nahrungsmittel-, Rohstoff-, Energiekrise) das labile Gleichgewicht zum Einsturz bringen? Sie hat die ganze Szenerie erkundet, war bei Preppern, Kräuter-und-Früchte-Sammlern, bei Technikgläubigen und Tausch- und Teilwirtschaftlern.

“Ich habe aufgehört einzukaufen, Fleisch zu essen, Auto zu fahren, lebte im Bauwagen, im Wald und auf der Straße. Hier in Leipzig wurde ich Teil einer Solidarischen Feldwirtschaft, begann einen Nachbarschaftsgarten aufzubauen und bemerkte, dass diese Stadt im Vergleich zu anderen Großstädten auf einen möglichen Systemsturz gar nicht so schlecht vorbereitet ist. Denn hier wird herumprobiert, es bilden sich Gemeinschaften jenseits der Konsumkultur. Und das, so merkte ich im Verlaufe der Recherche, ist das Einzige, dass uns retten kann”, sagt sie selbst.

Aber ein paar Fragen an die experimentierfreudige Autorin hatte die L-IZ dann doch:

Was war der Anlass für die Geschichte? Über solidarische und nachhaltige Lebensmodelle denken ja viele Menschen nach. Aber so richtig konsequent aus dem gewöhnlichen Konsumalltag steigen die Wenigsten aus – der Schritt kostet ja Kraft. Oder gab es einen besonderen Auslöser, der Ihnen klar machte: Das muss jetzt sein?

Die meisten von uns leben in einem Zustand des “Eigentlich”. Sie wissen: Eigentlich sollte ich weniger Fleisch essen, eigentlich sollte ich nicht diese Billigklamotten aus China kaufen, eigentlich sollte ich aufhören, daran beteiligt zu sein, die Erde zu Asche zu verbrennen. Und dann tun wir es doch. Das ging mir über Jahre genauso. Die Folgen unseres Handelns sind ja auch sehr weit weg und berühren uns nicht: Die toten Kälber in den Massentieranlagen sehen wir nicht, die ausgebeuteten Frauen in Taiwan kennen wir nicht, die gerodeten Wälder sind nicht vor unserer Haustür. Es ist doch alles so schön und gemütlich und sicher hier in Deutschland. Warum sich also die Laune verderben lassen?

Erst als die Bankenkrise zu einer Finanzkrise, zu einer Eurokrise geworden ist, habe ich angefangen an unserem ach-so-sicheren Wohlstandsmodell zu zweifeln. Ich dachte: Fuck, hier stürzt gerade eine Volkswirtschaft nach der anderen ab und reißt Hunderttausende von Menschen in die existenzielle Bedrohung. Was mache ich, wenn es auch hier so weit ist? Kann ich mich auf das Ende der Gewissheiten vorbereiten? Aus einer diffusen Angst heraus habe ich beschlossen, eine Art Crash-Test zu machen – also herauszufinden, wie es auch ohne funktionierende Konsumstrukturen geht.
Viele Schwierigkeiten fangen ja erst an, wenn man sich wirklich konsequent aus den bequemen Kreisläufen heraushält. Frisst das in unserer Welt nicht zu viel Kraft und Zeit? Oder ist gerade das der eigentliche Gewinn?

Das kommt auf die Betrachtungsweise an. Wenn ich zum Beispiel mein Gemüse von einem Feld hole, das ich zusammen mit anderen bewirtschafte, dann kostet das definitiv mehr Kraft und Zeit als wenn ich mal schnell zum Obstmann um die Ecke gehe. Ich musste mich oft selbst motivieren, die Gummistiefel anzuziehen, mich auf’s Fahrrad zu schwingen, dort Gießkannen zu schleppen und mir das Körbchen vollzusammeln. Aber wenn ich zurückgekommen bin, war ich wirklich jedes Mal angefüllt mit Glück. Dort draußen mit eigentlich fremden Menschen über Tomaten und ihre Farben zu fabulieren, zusammen etwas so Schönes und Sinnvolles und Gesundes anzubauen, mit den Händen in der Erde und nicht auf der Tastatur zu sein und gleichzeitig auch noch Sport zu machen – das ist toll. So habe ich mich nach einem Besuch beim Obstmann nie gefühlt.

Ähnliche Erlebnisse hatte ich auch in der Tauschwirtschaft, beim Teilen, Schenken, Basteln und Nähen. Am Ende geht es nicht mehr nur um das Konsumgut, sondern auch darum, wo es herkommt, wer es hergestellt hat, was es uns erzählt.

Können Sie sich so ein Leben dauerhaft vorstellen? Oder sind die Widerstände unserer Gesellschaft zu groß?

Im vergangenen Jahr bin ich zum Extremisten geworden und habe versucht, alles gleichzeitig auszuprobieren. Das war Wahnsinn, wirklich. Wie ein Rausch mit all seinen euphorischen und niederschmetternden Aspekten. Ich hab viel gelernt, war am Ende aber auch 20 Kilo leichter und hatte einen Immunkollaps. Das empfehle ich nicht. Und trotzdem ist es bereits jetzt möglich, an vielen Stellen des alltäglichen Lebens anders zu handeln, ohne dabei gleich den totalen Ausstieg zu proben. Horten, Gärtnern, Selber machen, Tauschen, Teilen – das ist ja keine Raketenwissenschaft. Das lässt sich ganz einfach ins normale Leben integrieren. Alles, was es dafür braucht, ist ein bisschen Zeit und ein anderer Blick auf die Dinge, die uns umgeben.

Oder andersherum: Sehen Sie alternative Lebensmodelle wachsen – nur die nötigen Freiräume verschwinden? Auch in Leipzig …

Bei dem Begriff “alternative Lebensmodelle” muss ich irgendwie immer an Jesuslatschenträger mit grünem Missionierungseifer denken. Aber Versuche, sich weniger abhängig von Geld, Konsum und globalen Konzernen zu machen, habe ich in den unterschiedlichsten Szenen erlebt. Es gibt technikbegeisterte Bastler, die mit 3D-Druckern nicht weniger als eine neue industrielle Revolution anschieben wollen. Es gibt junge Designer, die im Netz kostenlos zeigen, wie man aus Müll Möbel bauen kann, es gibt ganze Horden von urbanen Gärtnern, die alles zum Kräuterbeet umgraben, was ihnen vor den grünen Daumen kommt. Auf den ersten Blick sind die alle sehr unterschiedlich, aber wenn man genauer hinguckt, haben sie etwas gemeinsam: Sie beginnen, den Gedanken des Gemeinwohls zu leben – also sich nicht mehr nur zu fragen: Was kann ich abgreifen? Sondern auch: Was kann ich einbringen?

Dass dieser Gemeinwohl-Gedanke noch nicht bis in die Büros der Stadtentwicklung eingedrungen ist, ist traurig. Aber ich mag dieses Gejammer nicht. Warum sollte denn ausgerechnet ein pupsgemütlicher Beamter anfangen, eine Gemeinwohl-Revolution anzustoßen?

Was fiel Ihnen am schwersten? Oder erledigen sich die meisten Probleme, wenn man erst einmal den Schritt wagt? Oder war dann manches – wie das Leben im Wald – doch zu mutig?Das Schöne am Menschen ist, dass er sich unglaublich schnell an alles Mögliche gewöhnen kann. Am Anfang des Versuchsjahres fand ich es wahnsinnig mutig von mir, mit urbanen Nomaden in einer winzigen Wohnung zusammenzuwohnen und mich mit ihnen aus Supermarktmülleimern zu ernähren. Mir war richtig übel und ich dachte: Das packste nicht, das ist zu hart. Ein halbes Jahr später zog ich in ein Projekthaus in Barcelona ein und fragte die spanischen Anarchos: Wo kann ich denn hier containern?

Sie sprechen auch vom möglichen Zusammenbruch des jetzigen Systems. Aber sind die Solidargemeinschaften jenseits der Konsumkultur wirklich stark genug, in großen Krisen eine Alternative zu sein?

Darum geht es nicht. Wir sollten jetzt – mit einem noch funktionierenden System im Rücken – ausloten, wie wir leben wollen. Denn dass es nicht für immer so weitergehen wird, ist absehbar. Bevölkerungswachstum und Ressourcenknappheit werden uns früher oder später zu einem Umdenken zwingen. Da fange ich doch lieber jetzt an zu gucken, wie ein glückliches gemeinschaftliches Leben aussehen kann.

Aber wie können solche Gemeinschaften eine Alternative sein, wenn die meisten Menschen in ihren Schleifen hängen und sich auch von einer konsumorientierten Medienwelt immer wieder berieseln lassen? Alternative Lebensmodelle kommen ja in den üblichen Leitmedien nicht vor. Schon gar nicht als praktische Alternative.

Glotze aus und Augen auf.

Ihr Buch “Apokalypse Jetzt – Wie ich mich auf eine neue Gesellschaft vorbereite” erschien am 14. Februar im Eichborn Verlag. Ist es eher ein Buch für zögernde Aussteiger oder für Apokalyptiker?

Es ist für die Eigentlich-Menschen, über die wir am Anfang gesprochen haben. Jene, die rational erkannt haben, dass unser Konsum und Verbrauch auf die Dauer nicht funktioniert und die nach ein paar Inspirationen suchen, etwas anders zu machen. Es ist aber kein moralinsaurer Ratgeber zur Weltrettung, sondern eher ein unterhaltsamer Selbst-Schindungs-Trip.

Und apropos Apokalypse: Jetzt funktionieren ja viele Aussteiger-Modelle noch, weil sie nur von einer Minderheit gelebt werden. Werden die meisten Menschen nicht hoffnungslos überfordert sein, wenn tatsächlich eine dieser schwelenden Finanzkrisen zum Kollaps führt?

Genau das ist das Problem. Viele der heute Um-die-Dreißig-Jährigen sind in eine Welt hineingewachsen, in der sie nichts weiter brauchen als Geld. Sie können nichts reparieren, nichts selbst herstellen, nichts konservieren, nichts tauschen und so weiter, sondern sind vollkommen abhängig davon, dass alles immer so weitergeht. Dass sie sich alles fertig kaufen können. Diese Abhängigkeit hat mich unglaublich gestört. Wir müssen alles ganz neu lernen. Unsere Eltern und Großeltern sind da viel klüger, die kennen nämlich das Leben im Mangel. Und ein Systemkollaps ist für sie auch nichts Neues.

Muss sich da nicht erst gewaltig was im gesellschaftlichen Denken ändern – weg vom Konsumieren von Politik hin zum echten Partizipieren? Oder ist wirklich nur noch das Aussteigen die Lösung?

Nicht Aussteigen, sondern Einsteigen! Darum geht es. Ich habe letztes Jahr auch mit einem richtigen Aussteiger auf seinem einsamen Bauernhof gelebt, in der Quelle gebadet und mich auf den Kackeimer gesetzt. Aber das kann nicht die Lösung für eine Gesellschaft sein. Wir brauchen keine Eigenbrötler, sondern genau das Gegenteil. Etwas pathetisch gesagt: ein neues Wir-Gefühl. Das ist die Rettung.

www.luebbe.de/Eichborn/1/10

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