Der August ist ein schrecklicher Monat. Bei sommerlichen Temperaturen wird man daran erinnert, dass auch dieses Jahr einmal zu Ende geht, dass Winter wird und Weihnachten kommt. Der erste Bote des nahenden Unheils ist immer der Leipzig-Kalender, den LTM und Stadtgeschichtliches Museum gemeinsam herausgeben.

Vor 16 Jahren war der großformatige Kalender mit historischen Schwarz-Weiß-Fotografien aus der Schatzkammer des Stadtgeschichtlichen Museums mal als Marketing-Idee gestartet worden. Mal zum Ausprobieren: Dreizehn eindrucksvolle Fotos aus der Frühzeit der Stadtfotografie, die das blühende, wachsende und stolze Leipzig um 1900 zeigen. Im Stadtmuseum sind Hunderte der eindrucksvollen noch auf Glasplatten gebannten Stadtmotive gesammelt, viele aus dem Archiv des namhaften Fotoateliers Hermann Walther. Aber mittlerweile sind ja kistenweise noch andere wertvolle Fotoarchive dazu gekommen, einige schon emsig aufgearbeitet unter Regie von Christoph Kaufmann, der die Fotobestände im Stadtmuseum betreut. Andere noch so neu, dass noch Jahre der Erfassung und Aufarbeitung vor dem Museum – und vielen ehrenamtlichen Helfern – liegen.

Aber selbst das, was schon erschlossen ist, biete Stoff für die nächsten 100 Jahre, versicherte Museumsdirektor Dr. Volker Rodekamp am Dienstag, 23. August, beim Fototermin vorm Gasthaus „Zum Arabischen Coffe Baum“. Den Ort hatte die LTM natürlich wegen des neuen Themas im Kalender gewählt: „Zu Gast im alten Leipzig“. Passend zu den schon wieder kräftig gestiegenen Touristenzahlen in Leipzig.

Es steht sehr wohl zu vermuten, dass Leipzig nicht deshalb touristisch attraktiver geworden ist, weil es ständig irgendwelche Feste und Jubiläen feiert. Das spielt bei den Entscheidungen von Kulturreisenden wohl eher eine untergeordnete Rolle. Andererseits spielt seit Jahrhunderten das Messegeschäft eine wesentliche Rolle dafür, dass Leipzig immer eine weltoffene und gastfreundliche Stadt war. Da wolle er gar nicht die ganze 1.000-jährige Geschichte erzählen mit Leipzig als vielbereistem Ort am Handelskreuz von Via Regia und Via Imperii, meinte Rodekamp: Da könne er auch einfach die Zahlen aus den 1920er Jahren nennen: 161 Gasthöfe und Hotels, 1.335 Schank- und Speisewirtschaften, 80 Kaffeehäuser. Und das auf engstem Raum im damaligen Stadtgebiet. Das war europäisches Spitzenniveau.

Und wer sich umschaut, der sieht: Leipzig ist gerade dabei, wieder eine genauso reiche Landschaft an Hotels und Restaurants zu entwickeln. Das Gasthaus „Zum Arabischem Coffe Baum“ ist dabei nur stellvertretend für einige der ältesten und namhaftesten Häuser in Leipzig, seit 1711 in Betrieb und damit das zweitälteste bewirtschaftete Kaffeehaus in Europa. Sichtbar ist es Teil der ersten Kneipenmeile, die in den 1990er Jahren in Leipzig wieder zu Ruhm und Ehre und überbordenden Betrieb gelangte. Im Dutzend reihen sich hier im Barfußgässchen die Cafés und Restaurants aneinander.

So Manches im Leipzig der Gegenwart wirkt wie eine Rückkehr in eine Zeit, in der die Stadt mal richtig auf dem Siegespfad war. Jene „Gründerzeit“ um 1900, als die Leipziger Gastronomie-Landschaft nicht nur blühte, sondern auch Etablissements gegründet wurden, die bis heute eine Legende sind.

Daran fühlt sich Volker Bremer, Geschäftsführer der LTM erinnert, wenn er die Fotos im Kalender mit dem Boom der Gegenwart vergleicht.

Wer sich eins der 2.500 gedruckten Exemplare des Kalenders besorgt, wird es bestätigt finden. Das weltberühmte Hotel Astoria ist drin – damals parallel zum Hauptbahnhof erbaut und jahrzehntelang die Nr. 1 am Platz, bevor es in den letzten Jahren zum Spekulationsobjekt seltsamer Investoren geworden ist. Der alte Bau des „Thüringer Hofes“ ist drin. Man vergisst ja fast, dass das Haus im Krieg fast völlig zerstört wurde und nur das Erdgeschoss wieder im historischen Ambiente hergestellt wurde. Ein Blick ins Barfußgässchen ist drin – heute von lauter Kneipen besetzt, um 1912 gab es hier tatsächlich erst „Zills Tunnel“. Die Straße war sonst von Handwerkern dominiert. Undenkbar im Jahr 2016, dass ein Handwerker in der Leipziger Innenstadt noch ein Lädchen bezahlen kann.

Besonders fasziniert ist Volker Rodekamp noch immer vom „Café francais“ alias Felsche am Augustusplatz. Wer auf der Terrasse saß unter Palmen, hatte den freien Blick zum Neuen Schauspiel und zum Bildermuseum und war trotzdem raus aus dem Trubel der Stadt. Der Mai erzählt von diesem verlorenen Stück Gastlichkeit, der Juni vom Coffe Baum und der Juli vom Palmengarten, der später gesprengt wurde, weil eine bombastische Gutenberg-Schau auf dem Gelände stattfinden sollte. Die nie stattfand.

Und als hätten wir es geahnt: Der August entführt zu Kintschys Schweizerhäuschen im Rosental. Das gibt es heute noch. Wer es aber besuchen möchte, muss in den Zoo gehen, der hat sich das Gelände mit einverleibt.

Und wer fragt sich nicht, wenn er in der Straßenbahn sitzt, wo das komische Chausseehaus ist, wenn es per Lautsprecher angesagt wird? Da, wo Eutritzscher Straße und Georg-Schumann-Straße zusammentreffen, ist heute nur ein Parkplatz zu sehen. Da stand das Chausseehaus 1910 noch, eigentlich mal genauso als Zollhäuschen gebaut wie das „Killywilly“ in der Karl-Liebknecht-Straße, zuletzt aber eine nette Schankwirtschaft mit Freisitz. Da stieg man doch gern am Chausseehaus aus.

Das Hotel Fürstenhof ist drin und leitet den kühlen Oktober mit frierenden Droschkenkutschern ein. „Man soll ja auch mal schmunzeln“, sagt Rodekamp. Im November schaut man der Küchenmannschaft des Ratskellers beim So-tun-als-ob zu. Die Küchenmädchen und -jungen mussten 1906 alle noch sehr lange stillhalten, als Hermann Walter sie ins Bild bannte.

Und ein echter Verlust war dann auch das pompöse Café Bauer am Rossplatz. Im Grunde der Inbegriff allen Kaffeehaus-Prunkes, der je in Leipzig zu erleben war. Bis die Bomben kamen. Und im Freien saßen die Leipziger auch damals schon gern, wenn die Sonne schien und die Luft nicht so rußig war. Das zeigt das Titelbild mit dem Naschmarkt. Die Fotos zeigen also irgendwie ein Leipzig, das dem heutigen in manchen Zügen ähnlich war, in anderen freilich auch sehr verspielt und ein bisschen prunkbeladen. Aufgenommen wurden insgesamt 13 großformatige Aufnahmen aus den Jahren 1885 bis 1935, die schon lange nicht mehr wehmütig machen, weil sich die Gegenwart wieder messen kann damit.

Dennoch sind die Kalender mit diesen alten Bildern einer Stadt höchst beliebt bei Sammlern und Geschichtsinteressierten. Die Auflage geht jedes Jahr fast komplett weg, so dass sich LTM und Stadtgeschichtliches Museum immer wieder in die Bildarchive stürzen, um wieder einen neuen historischen Kalender fürs nächste Jahr zusammenzustellen.

Zu den Bildern gibt es natürlich auch kleine informative Texte. Der Kalender ist für 19 Euro erhältlich.

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