Tanner interviewt Mann und Maus. Er interviewt, wenn diese eine interessante Geschichte zu erzählen haben, sogar den Nagel am Sarg oder das Brett vor dem Kopf. Heute interviewt Tanner sich selbst, schließlich hört er Ende des Jahres mit seiner Live-Literatur-Show Tanners Terrasse auf. Und manchmal ist dieses Sich-Selber-Hinterfragen auch vonnöten.

Guten Tag Volly. Schön, Dich mal zu treffen, man ist ja doch eher selten mal wirklich mit sich selber im Gespräch. Am 17. Dezember wirst Du die letzte Tanners Terrasse auf die Bretter des Helheims bringen. Damit endet eine 20-jährige Geschichte selbst organisierter Literaturveranstaltungen in Leipzig. Warum machst Du eigentlich Schluss?

Danke, dass Du fragst. Im lauten Palaver des Literaturbetriebs ist die Nachfrage ja eher selten geworden. Aber zu Deiner Frage: Ich habe einfach keine Lust mehr. Weißt Du, damals 1995, als ich hier in Leipzig begann, da gab es noch diese Sehnsucht. Da ging es noch darum, schräge Literatur, Social Beat und Punktexte in die Literaturwelt einzuspeisen. Heute gibt es von allem viel zu viel und jeder Depp darf auf irgendeine Bühne, selbst die Legidisten texten irgendetwas und als ich vor kurzer Zeit aus Versehen auf BIBEL TV landete hatten die da einen Poetry Slammer als Studiogast. Ich mach’s da lieber ein bisschen wie Rimbaud. Ich verstumme.

Aber es muss doch richtige konkrete Gründe geben.

Nun ja, ich habe 20 Jahre lang monatlich Literaturmenschen die Bühne bereitet, in den absoluten Stoßzeiten waren es bis zu 22 Veranstaltungen pro Monat – und letztes Jahr gab es den Moment, da saß ich bei Tanners Terrasse auf der Bühne und neben mir las eine junge Dame Texte vor. Sie sah gut dabei aus, dass Outfit war perfekt. Nur ihre Texte waren absolut belanglos. Da war nicht Gelebtes drin. Es war nur lustig. Mehr nicht. In diesem Moment wusste ich, dass dies nicht mehr meine Welt sein wird. Und dass es auch gut ist so.

Wie schätzt Du denn den derzeitigen Stand der Literatur hierzulande ein? Du warst ja bis vor kurzem auch Sächsischer Literaturrat.

Welche Literatur meinst Du denn konkret?

Hmmmm, die derzeit produzierte Literatur hier in Deutschland, gern auch speziell in Sachsen.

Na ja – das ist eine schwierige Frage, da ich ja nicht den totalen Überblick habe. Ich glaube aber, dass die radikale und fundamentalistische, fast schon religiöse Gewinnfokussierung der Verlage – schließlich geht es auf dem Markt immer ums pure Überleben – der Literatur nicht wirklich gut tut. Und verschiedene Großmedien tun da ihr Scherflein beitragen. Aufmerksamkeit bekommt meist nur, wer Krawall macht oder wer besonders marktkonform schreibt. Unterhaltung ist per se ja nicht unbedingt etwas Schlechtes – aber Poetry is more than Entertainment.

Mir fehlt das Herzblut. Mit fehlen die Experimente und Wahrhaften. Irgendwie klingt sehr viel, von dem, was so in den werbewirksamen Verlagen herauskommt, konstruiert. Alle schreiben, aber so richtig berührt werde ich selten. Die Bücher funktionieren nur noch. Und die Schreiberlinge wollen auch nur dazu gehören. Nur, weil jedermensch veröffentlichen kann, was ja grunddemokratisch gut ist, heißt dies jedoch nicht auch, dass qualitativ Fulminantes herauskommt.

Welche Literatur liest Du eigentlich, wenn Du mal nicht beruflich liest?

Die alten Haudegen, die lyrischen Erzähler: Gilles Paris, Ray Bradbury, Jim Dodge – sowas – und Kurzgeschichten der SF. Da kommt hin und wieder Gutes hoch. Und ich sammle alte SF-Anthologien. Die sind materiell nichts wert aber ich mag sie …

Und wie geht’s nun weiter ab 2016?

Da darf ich natürlich nicht zu viel verraten. Aber es wird einen Medienwechsel geben. Ich interviewe ja für mein Leben gern interessante Menschen und bin da gerade dabei, ein Format zu entwickeln, welches nachhaltig ist – das heißt, es ist langfristig abruf- und genießbar – und im Bereich des differenzierten Denkens Spuren hinterlässt. Schauen wir mal, was daraus wird.

Und am 17. Dezember – zur letzten Tanners Terrasse? Was bekommen wir denn da geboten?

Abschiedstränen en masse. Nein. Ich hoffe tiefschürfende, hochqualitative aber auch unterhaltsame Texte. Mein guter Freund Andreas Hähle macht ein paar Tage später zusammen mit Francis DD String eine “Böse Weihnacht” in der Absintherie La Petite – und die dort Textzusteuernden sind bei mir im Vorfeld zu Gast, die Franziska Wilhelm, der Elia van Scirouvsky, der David Gray, Andreas Hähle himself, Jan Lindner und ich. Und gaaanz finsterböses Vorweihnachten und Abschiednehmen. Lasst Euch überraschen. Eintritt ist natürlich frei!

Danke für Deine Antworten, Volly.

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