Denkt noch einer an Fritz Rudolf Fries? Ja, doch. In Lindenau gibt es die kleine, so quicklebendige Buchhandlung „Seitenblick“. Sie widmet dem Schriftsteller ein Buch. Das wird am 23. Januar vorgestellt und erinnert daran, dass Fries nicht nur in durchwachsenen Zeiten in Leipzig lebte und durch Leutzsch spazierte. Er hat hier auch ein Buch geschrieben, das die andere Seele der Stadt einfing, damals, 1966.

Er gehört in eines dieser Kapitel der Leipziger Geistesgeschichte, die immer wieder abtauchen, weil die heutigen Geschichts-Bastler vergesslich sind und mit dem geistigen Brodeln dieser Stadt wenig bis nichts anfangen können. Denn sie lesen nicht. Deswegen sind sie auch nicht belesen und kennen alles nur aus dritter Hand – oder gar nicht.

Fritz Rudolf Fries gehört in diese seltsam irrlichternden 1960er Jahre, die frühen, vor der gnadenlosen Bitterfelder Konferenz. Er hat noch bei Hans Mayer studiert und bei Werner Krauss. Anglistik, Romanistik und Hispanistik hat er studiert. Das war ihm in die Wiege gelegt worden. Denn geboren worden war er 1935 in Bilbao in Spanien. Die sieben ersten Jahre verbrachte er in diesem durchsonnten, von Phantasie durchtränkten Süden. Das prägt. So gehört einem ein Don Quijote schon zur Kindheitsausstattung. 1942 zog seine Mutter mit ihm nach Leipzig, nachdem sein Vater im Krieg gefallen war.

Wie empfindet man so eine Ankunft im kalten Norden? – „Leipzig, am Tag erreicht, ist eine graue Stadt im Winterlicht. Schneewälle am Platz vor dem Hauptbahnhof und in der Theodor-Fritsch-Straße, wo die Verwandten wohnen …“

So beginnt das in seinem Erinnerungsbuch „Diogenes auf der Parkbank“, 2001 erschienen, der Zeit, als er schon mit gewaltigen Berührungsängsten versuchte, seine Verstrickungen in der DDR-Zeit zu erschreiben. Beschrieben hat er sie nicht. Das widersetzte sich ihm.

Aber schon der zitierte Satz deutet an, warum sein Lebenslauf so verzwickt war. Von Anfang an. Die Theodor-Fritsch-Straße sucht man natürlich heute in Leipzig zum Glück vergeblich. Fritsch war der Gründer des Hammer-Verlages, einem jener antisemitischen Verlage, die sich seit Ende des 19. Jahrhunderts in Leipzig angesiedelt hatten. Das war sozusagen die finstere Seite der Buchstadt. Vom Funktionieren dieser riesigen Verlagsstadt profitierten auch die schlimmsten Nationalisten und Menschenfeinde. Logisch, dass es die Nazis waren, die 1935 die Leutzscher Straße/Lindenauer Straße in Lindenau und Leutzsch nach dem 1933 verstorbenen Antisemiten benannten. Seit 1945 heißt die Straße William-Zipperer-Straße.

Und sie führt noch immer nach Leutzsch. In die Welt des jungen Fritz Rudolf, der hier bei Onkel und Tante ein neues Zuhause fand, später studierte in den berühmten alten Gebäuden der Universität Leipzig, die damals noch einen Ruf hatte als Ort der geistigen Freiheit. Mayer, Bloch und Krauss stehen für diese Zeit. Und nicht nur die. Was die jungen Leipziger zumindest wussten. Denn für die war diese Zeit auch jede Menge Musik – von Jazz über Blues bis Beat. Unter anderem Gerhard Pötzsch hat darüber jüngst geschrieben in seinem Erinnerungsbuch „Taschentuchdiele“.

Die beiden hätten sich über den Weg laufen können, sind sie vielleicht auch.

1966 war der Bruch im Leben des noch gar nicht gestarteten Schriftstellers Fries. Ein Bruch, wie ihn die meisten begabten Schriftsteller in der DDR erlebten. Uwe Johnson ist zu nennen. Der hatte das Buch, das Fries über sein zwar graues, aber von musikalischen Träumen erfülltes Leipzig geschrieben hatte, an den westdeutschen Rowohlt Verlag vermittelt, nachdem es in der DDR nicht erscheinen durfte. 1965 war ja das berüchtigte Plenum der SED gewesen, das im Grunde alles, was an modernen Literaturansätzen da war im Land, in Bausch und Bogen verurteilte. Das Beste erschien nicht oder nur im Westen. Oder erst viel später – so wie Werner Bräunigs „Rummelplatz“, der erst 2007 erschien.

Für Fries’ Roman „Der Weg nach Oobliadooh“ bedeutete das Erscheinen im Westen dann freilich auch das Nichterscheinen im Osten. Was nicht hieß, dass das Buch keine Wirkung hatte. Es wurde zur Legende, zum Schmuggelgut und zum gehegten Erinnerungsstück an ein vergangenes, lebendiges Leipzig. Teil jener heimlichen Lektüre, die sich die Leipziger aus dem Westen schicken ließen. In der DDR erschien das Buch erst ganz zum Schluss. Die Aufhebung der Zensur im Jahr 1989 nutzte der Aufbau-Verlag, das Buch nach 23 Jahren endlich auch im Osten zu veröffentlichen. Gleich nach dem 7. Oktober 1989, wie Simone Barck schreibt in „Zensurspiele“. „Eine kleine literaturpolitische Sensation“ nennt sie es.

Es gab damals viele kleine literaturpolitische Sensationen im Osten. Die Verlage hatten im Februar sehr wohl mitbekommen, dass die allmächtige SED verkündet hatte, dass man Bücher hinfort nicht mehr zensieren wolle. All die unterdrückten Schätze, die 10, 20, 25 Jahre in den Archiven der Verlage geschmort hatten, konnten endlich erscheinen. Die hungrigen Leser interessierte das schon. Aber die Öffentlichkeit war ja bekanntlich mit Anderem beschäftigt. So dass die Beschäftigung mit dem anderen geistigen Erbe der DDR einfach ausfiel. Einfach so. Die Bürger des kleinen, vereinigungsreifen Landes wichen der Auseinandersetzung mit dem eigenen Erbe einfach aus und überließen für das nächste Vierteljahrhundert die Deutung des Ostens einfach mal wieder Anderen. Diesmal nicht dem ZK der SED, sondern den Moderatoren des Westens.

Fritz Rudolf Fries: Diogenes auf der Parkbank. Foto: Ralf Julke
Fritz Rudolf Fries: Diogenes auf der Parkbank. Foto: Ralf Julke

Daran hat sich nicht viel geändert bis heute. Nicht einmal die herrlich boshaften Glossen von Holger Witzel („Heul doch, Wessi“) haben an dieser Deutungshoheit etwas geändert.

Was auch Folgen hat für die geistige Befindlichkeit der Ostdeutschen 26 Jahre danach.

Fries lebte und schrieb nach seinem Weggang aus Leipzig in Berlin, lebte zuletzt in Petershagen. In praktisch allen seinen Büchern greift er auf die Phantasiewelt seines Geburtslandes Spanien zurück. Auch als Übersetzer war er emsig, übersetze Calderon, Cervantes, Neruda.

Und Leipzig kommt immer wieder vor in seinen Geschichten. Was macht man daraus?

Die kleine Buchhandlung „Seitenblick“ hat in diesem Jahr den Deutschen Buchhandlungspreis bekommen. „Einen Teil unseres Preisgeldes haben wir für die Publikation ‚Inventar der Vorstadt. Fritz Rudolf Fries in Leutzsch‘ investiert“, erzählt Ansgar Weber. „Sie fasst die Ergebnisse unserer Fries-Aktivitäten im Herbst 2015 (ein Literarischer Spaziergang durch Leutzsch und eine Ausstellung in der Buchhandlung) zusammen.“

Und natürlich feiert das Buch Premiere. Am Montag, 23. Januar, um 19 Uhr wird es in der Buchhandlung „Seitenblick“ der Öffentlichkeit vorgestellt, quasi im Rahmen einer kleinen Feier zum Erhalt des Preises: „Buch, Jazz & Wein“ heißt der Abend.

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