2013 war Wagner-Jahr. Nicht nur in Leipzig. Denn Sachsen hat ja einige Wagner-Orte aufzuweisen. Dazu gehört auch Graupa, wo der jungen Dresdner Kapellmeister einige seiner Urlaubstage verbrachte. Christian Mühne spricht in seinem Beitrag im Buch "Richard Wagner in Mitteldeutschland" von "Seelenlandschaft". Ein guter Grund, dort auch mal Wagner-Musik einzuspielen, dachte sich die Elbland Philharmonie Sachsen. Das Erlebnis gibt es jetzt auf CD.

Im Februar 2014 sind die Elbland-Philharmoniker nach Graupa ins dortige Jagdschloss gereist und haben im Saal unter Leitung von Generalmusikdirektor Christian Voß sechs Wagner-Stücke eingespielt. Für 1846 ist ein Arbeitsaufenthalt Wagners in Groß-Graupe, dem heutigen Graupa, belegt, zwar nicht im Jagdschloss, sondern beim Bauern Johann Gottlob Schäfer. Drei Monate hat sich Wagner mit Minna in Groß-Graupe erholt, ist viel herumgewandert zur Bastei und in den Liebethaler Grund. Der “Lohengrin” ging ihm hier im Kopf herum – weswegen sächsische Tourismusbroschüren Wagner auch zu gutem Recht unter dem Slogan “Mein lieber Schwan” bewerben. Denn hier an Elbe und Wesenitz, am “Eingangstor zur Sächsischen Schweiz”, hat der edle Lohengrin mit seinem Schwanengefährt Kontur angenommen. Brabant mitten im Elbtal.

Und ein Problem plagte den kühnen Komponisten, das er zeitlebens nie los wurde: Die Melodien eines Anderen spukten ihm durch den Kopf. Er wurde sie einfach nicht los. In diesem Fall war es Rossini. Dessen “Wilhelm Tell” musizierte noch immer in Wagners Ohren. Ist der “Lohengrin” also eigentlich ein umgekrempelter “Wilhelm Tell”? Wagner, der Revolutions-Künstler im Schillerschen Geiste? Es gibt Seiten- und Wanderwege im Wagnerschen Kosmos, die sind erstaunlich vielverheißend.

Nur hat sich die Elbland Philharmonie leider nicht den “Lohengrin” mitgenommen ins Graupaer Jagdschloss. Deswegen klingt auch kein Rossini an. Dafür ein bisschen Weber, ein bisschen Schubert, ein bisschen Mendelssohn. Denn eines ist Wagner zeitlebens geblieben, auch dann, als ihn die halbe Welt als Neuerer des Musiktheaters feierte: ein komplett romantischer Musikus. Davon kam er nicht mehr los. Auch deshalb war er so wütend auf die Mendelssohn und Meyerbeer und ergoss das 1850 in seine Schrift “Das Judenthum in der Musik”, in der er vor allem gegen den Erfolg jüdischer Komponisten wetterte. Deren musikalische Spuren sind in Wagners Werk alle wiederzufinden. Er bekam die Melodien einfach nicht mehr aus dem Kopf.

So etwas kann wütend machen. Gerade wenn man so unbedingt originell sein wollte wie Richard. Seine Verehrer hören es meist nicht, auch weil seine Stücke meist mit großem Orchester und viel Bläserblech gespielt werden. Da wird alles bombastisch, was im Ursprung nur sentimental ist. Und zutiefst romantisch.

Der Ort war also gut gewählt, auch wenn die Elbland Philharmonie sich Wagner-Stücke mitnahm, die eher aus den späteren, nicht-sächsischen Jahren stammen: die “Träume” aus den Wesendonck-Liedern zum Beispiel, die erst 1857/1858 entstanden und die natürlich die ganze idyllische Seele des Maestros offenlegen, wenn es um Gefühle geht, gerade die unerfüllten. Ach ja, die reizende Matilde Wesendonck. In Graupa hat es die Elbland Philharmonie mit dem jungen Geiger Jacob Meining eingespielt in Wagnerscher Originalversion und kleinem Orchester. Man hört, warum der grimmige Maestro auf Frauen solchen Eindruck machte. Er beherrschte die romantische Klaviatur seiner Zeit.
“Tristan und Isolde” gehört natürlich als Pendant dazu. Hier hat Wagner das Wesendoncksche Beziehungsproblem noch einmal als großes Musiktheater verarbeitet. Natürlich kann man das Komplettwerk nicht im kleinen Jagdschloss Graupa einspielen, auch nicht in der üblichen Wagner-Originalbesetzung. Dafür bekommen die Hörer der CD etwas ganz Besonderes: das Vorspiel zum 1. Aufzug in einem Arrangement von Engelbert Humperdinck, aufbereitet für Streichorchester und Klavier, also ohne die ganzen schmachtenden Bläser. Und deshalb auf den eigentlichen Kern zurückgeführt: romantische Seelentiefe. Mit Schmachten und Seufzen. Das konnte auch Humperdinck nicht ganz herausarrangieren: Immer, wenn bei Wagner die Gefühle überströmen, wird’s laut.

Um 1874/1875 wird diese Humperdincksche Variante des “Tristan und Isolde”-Vorspiels datiert, die – das hat Humperdinck dann selbst dazukomponiert – fortissimo endet. Und augenscheinlich hat sich sonst noch niemand getraut, dieses Stück einzuspielen – also ist’s eine Weltersteinspielung.

Und weil man gerade dabei war, das ganze romantisch-sentimentale Unterfutter aus Wagners Frack hervorzukehren, hat die Elbland Philharmonie noch eine andere Wagner-Liebesromanze eingespielt: das “Siegfried-Idyll”, 1870 für Cosima Wagner komponiert. Auch hier zeigt sich die Elbland Philharmonie als ein variables Orchester, das sich auch den kleinen Formen anpassen kann. Das 19-minütige “Siegfried-Idyll” wurde mit “der intimen Streichergröße eines Kammerorchesters” eingespielt. Wer seinen Wagner zu kennen glaubt, weil er den kompletten “Ring” verdaut hat, wird hier eines Anderen belehrt: Wenn es ums Intime geht, wird der Recke ganz idyllisch sentimental.

Und er kommt nicht los davon. Zeitlebens nicht, egal, wie sehr er das Orchester aufmunitioniert und die Hörner dröhnen lässt. Er bleibt ein verkappter Sentimentaler. Und das wird genau dann hörbar, wenn man die ganze Blechartillerie zu Hause lässt und mit kleinem, feinen Orchester ins Jagdschloss fährt. Das hat die Elbland Philharmonie auch im letzten Teil getan: drei Stücke aus dem “Parzifal”, auch das eine Weltersteinspielung in einem Arrangement für kleines Orchester und zwei Klaviere von Engelbert Humperdinck. An den zwei Klavieren sitzen in diesem Fall Mirella Petrova und Oksana Weingart-Schön. Es ist, als hätte die ganze Zeit Heinrich Heine hinter dem verzweifelten Maestro gestanden und ihm in die Ohren geraunt: “Manchmal glaubt ich zu verzagen …”

Richard hat ja bekanntlich gern, oft und hilfesuchend laut verzagt. Und am Ende mit dem Bayernkönig ja einen gefunden, der seine sächsisch-verletzte romantische Seele verstanden hat.

Die 2012 aus der Neuen Elbland Philharmonie und dem Orchester der sächsischen Landesbühnen geformte 87-köpfige Elbland Philharmonie Sachsen versteht ihre Einspielung nicht nur als Beweis des eigenen hohen musikalischen Niveaus, auch als Beispiel einer gelungenen Nachwuchsförderung. Aber die eingespielten Stücke sind auch ein später und wichtiger Beitrag zur Wagner-Rezeption. Schon das Jahr 2013 war ja gerade in Sachsen von der Wiederentdeckung des frühen, sächsischen Wagner und seiner hier entstandenen Werke geprägt, wovon auch das im Passage-Verlag erschienene Prachtwerk “Richard Wagner in Mitteldeutschland” erzählt.

Was die Graupaer Einspielungen nun – auch durch die feinsinnige Bearbeitung Humperdincks – zeigen, ist die Tatsache, wie sehr dieser frühe, durch und durch sentimentale Wagner tatsächlich auch noch in den später entstandenen Werken steckt, regelrecht versteckt ist hinter all den Waldhörnern, die er sich bei Weber geborgt hat, damit die Leute nur nicht glauben, dass er eigentlich von Mendelssohn Bartholdy nie wirklich weggekommen ist und dass seine gewaltigen Bühnendramen eigentlich nicht am Rhein spielen, sondern in der idyllischen sächsischen Schweiz. Ein romantisches, aber auch beeindruckendes Hörerlebnis.

Elbland Philharmonie Sachsen “Ein Wagner-Abend in Graupa”. Die CD ist gegen eine Schutzgebühr von 5 Euro exklusiv bei der Elbland Philharmonie Sachsen erhältlich.

www.elbland-philharmonie-sachsen.de

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