Die Sommerpause ist vorüber. Mit einem Großen Concert sind die Musiker des Gewandhausorchesters am Freitag in die Saison 2015/16 gestartet. Der Auftakt des dreiteiligen Mozart-Strauss-Zyklus unter Riccardo Chailly wurde vom Publikum in gewohnter Weise frenetisch bejubelt.

Das Gewandhaus konfrontierte die Zuhörer im Eröffnungskonzert mit schwerer Kost. Richard Strauss’ Tondichtung “Tod und Verklärung” schildert in einer eindringlichen Klangsprache das Siechtum eines sterbenden Künstlers. Chailly tastet sich über die 2. Geigen und Pauke langsam in die Einleitung hinein. Das klagende Violinsolo wird von Konzertmeister Frank-Michael Erben zum dahinschmelzen interpretiert. Die Solo-Holzbläser spielen gewohnt zuverlässig.

Der Paukenschlag, der das Todesmotiv einleitet, gerät unter Chailly zum Funken, der eine dramatische Explosion auslöst. Der Gewandhauskapellmeister beweist seine Liebe zu Tempi, Lautstärke und Effekten. Die tiefen Streicher verkünden im kräftig-dunklen Gewandhausklang ein Untergangsszenario. Die Hörner bilden in der Durchführung den majestätischen Kontrast, doch das erlösende Moment bleibt unter Chailly aus.

Den programmatischen Kontrapunkt bildete sodann Mozarts Klarinettenkonzert. Das Spätwerk, entstanden 1791 in Wien, zählt neben der “Kleinen Nachtmusik” zu den populärsten Orchesterwerken des Österreichers. Martin Fröst, ein Meister des Holzblasinstruments, interpretierte das Werk in Leipzig bereits im November 2013 unter Roger Norrington. Chailly führte die Musiker am Freitag zügig durch das heitere Allegro. Erst im Adagio eröffneten sich für den Solisten freie Gestaltungsräume, die der junge Virtuose dankend annahm. Im abschließenden Rondo fügte sich Fröst wieder ganz der fließenden Dynamik des Orchesters.

Nach der Pause erklangen wieder nihilistische Töne. In den “Metamorphosen für 23 Solostreicher” setzte sich Strauss 1945 musikalisch mit der sich anbahnenden deutschen Niederlage und den Folgen des Zweiten Weltkriegs auseinander. Interessanterweise stand das Werk unter Chailly noch nie auf dem Spielplan des Gewandhausorchesters. Die 23 Musiker nahmen zur Aufführung in der, für Leipziger Verhältnisse ungewohnten, amerikanischen Aufstellung auf der Bühne Platz. Der Maestro verzichtete auf den Taktstock und dirigierte mit bloßen Händen.

Die “Metamorphosen” sind schwere Kost. Ein dahinfließender Klangteppich von knapp einer halben Stunde Dauer, der den Zuhörer zum genauen Hinhören und Nachdenken auffordert. Unter Chailly klang das Spätwerk wie ein epochales Klagelied über die Probleme unserer Zeit. Dem Zuhörer fällt es leicht, sich bei geschlossenen Augen die Bilder von Kriegsflüchtlingen, IS-Terroristen und den dutzenden Toten aus dem Mittelmeer vorzustellen, die dieser Tage allabendlich in den Nachrichten über den Bildschirm flimmern. Chailly unterdrückte in der Musik gezielt jedes erlösende Moment, jeden aufkeimenden Hoffnungsschimmer. Die “Metamorphosen” waren schwer verdaulich, aber zweifelsohne Höhepunkt des Programms.

Zum Abschluss stimmten die Musiker noch einmal heitere Töne an. Strauss’ Tondichtung “Till Eulenspiegel” zählt eher zur leichten Muse. Chailly jagte sein Orchester im Stechschritt durch die Partitur, hielt sich nicht an der Ausarbeitung von Details auf, sondern baute auf die orchestralen Knalleffekte. Ein Päckchen Ohropax in der Tasche schadet manchmal nicht.

Heute: Gewandhaustag, KlassikAirleben & Motette

Am Samstag öffnet sich Leipzigs älteste Konzertinstitution nach außen. Beim Gewandhaustag sind in der Innenstadt ab 15 Uhr bis in den Abend hinein 15 Konzerte zu hören. Den Höhepunkt bildet auch in diesem Jahr um 20 Uhr das KlassikAirleben auf dem Augustusplatz. Das Orchester spielt das Eröffnungsprogramm mit Ausnahme der “Metamorphosen”. Der Eintritt zu diesen Veranstaltungen ist frei.

Um 15 Uhr sind Musiker des Gewandhausorchesters weiterhin gemeinsam mit dem Thomanerchor bei der wöchentlichen Motette in der Thomaskirche zu erleben. Gegeben wird die Bach-Kantate “Allein zu dir, Herr Jesu Christ”. Das Eintrittsprogramm kostet 2 Euro.

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