Tanner ist begeistert. Selten genug, dass ihn ein Album völlig mitnimmt, dass ihn Lieder zu Tränen rühren, dass er enthusiastisch beim Zuhören in die Hände klatscht. Doch beim Album Viva Le Poesia von Wenzel kam all dies zusammen - und da der Matrose der intelligenten Lieder am Freitag nach Leipzig kommt, war es zwingend notwendig, noch schnell ein paar Fragen zu stellen.

Einen wundervollen Tag. Ahoi! Ahoi! Wenzel. Es freut mich, dass Du mit Deiner Band mal wieder nach Leipzig kommst. Am 04.09. seid ihr im GeyserHaus beim GeyserHaus Open Air zu Gast. Seit 1976 bespielst Du mittlerweile die Bühnen. Es gibt Menschen, die waren damals noch nicht mal auf der Welt. Was treibt Dich immer noch an? Was muss raus aus Dir und sucht sich seinen Weg durch Dich hindurch nach draußen?

Es ist die Welt mit all dem, was mich an ihr erfreut und was mich zornig macht. Ich hole diese Welt durch meine Lieder immer ein Stückchen näher an mich heran. Also hält mich das Singen und Schreiben auf eine schöne Art lebendig.

“Sie werden kommen” ist ein weises, ahnendes Lied, welches auch schon weit über zwanzig Jahre auf den Schultern hat. Wie fühlst Du Dich jetzt, wo alles genauso kommt? Schleicht sich da ein “Ich hab’s Euch doch dauernd gesungen!” ein?

Ein wenig kann man schon verzweifeln, denn das, was heute um uns geschieht, ist nicht plötzlich eingetreten, es war vorhersehbar. Das, was sich heute “Politik” nennt, ist ja nur noch ein sich von Wahl zu Wahl hangeln. Es ist keine Häme da bei mir. Eher ein Erschrecken über die zunehmende Dummheit.

Gerade gab es mit vielen, vielen Gästen Dein Jubiläumskonzert im Berliner Admiralspalast. Das muss doch ein emotionales Feuerwerk gewesen sein, voller Glücksgefühle und Lachen. Wie kommst Du danach wieder auf Normalwelle? Du tourst ja immer weiter. Da braucht es ja Konzentration und Jetztsein. Wie machst Du Dich nach solch einem Erlebnis wieder tourfit?

Entscheidend ist immer das, was kommt, nicht was war. Jedes Konzert ist für mich einmalig. Mal ist es ein großer Saal mit vielen Leuten, mal ein kleiner Club. Das ist aber eigentlich egal, denn man verbraucht ja in jedem Konzert die gleiche Lebenszeit und muss sie mit ganzer Energie und Kraft leben. Ich bin ein Matrose, ich ziehe immer, mein Leben lang, durch die Städte. Heute hier, morgen dort. Immer auf Wanderschaft. Das ist mein Leben.

Am 04.09. im GeyserHaus, was dürfen wir uns da erhoffen? Den Altersweisen, den Revolutionär? Wer kommt und was bringst Du uns mit?

Wir werden viele Lieder der aktuellen CD VIVA LA POESÍA spielen, die wir in Havanna produziert haben, ein paar neue, unveröffentlichte Lieder und ein paar Klassiker. Und ich komme weder als Altersweiser noch irgendwie, sondern einfach als der, der ich bin.

Zu Deinem neuen, im Netz kostenfrei zu hörenden Lied NEUE EUROPA HYMNE sagst Du selber: “Dieser Schwall von Kommentaren, Brennpunkten, Stellungsnahmen der letzten Tage, diese aufgeheizte Stimmung inmitten einer lange schon wühlenden Krise, lässt auch diese Schublade nicht schweigen. Unerträgliche Arroganz und eine Geldverliebtheit, die den Sinn des Lebens auf den Kopf stellt. Hier liegt eine NEUE EUROPA HYMNE. Sie ist um keinen Deut besser als die von Beethoven. Möge der geneigte Hörer sich das Seinige denken. Ein Anstoß vielleicht, mehr nicht. Aber die Hymne wollte nicht länger schweigen.” Du hast ja schon einmal ein verschwindendes Land besungen – und aufs Vortrefflichste in “Letztes aus der DaDaEr” bearbeitet. Sind wir wieder an einem Point of No Return? Gibt es Hoffnung? Welche ist Deine?

Ich empfinde, dass wir an einem Endpunkt angelangt sind. So kann es nicht mehr weitergehen. Der Philosoph Walter Benjamin hat es einmal sehr schön beschrieben: die eigentliche Katastrophe besteht nicht darin, dass uns eine Katastrophe trifft, sondern die eigentliche Katastrophe besteht darin, dass es so weitergeht.

Ich freue mich riesig auf den Freitag. Danke, dass Du Dir Zeit für meine Fragen genommen hast!

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