Gotthold Schwarz hat am Freitag sein erstes Leipziger Weihnachtsoratorium als Thomaskantor dirigiert. Mit Erfolg. Die Mitwirkenden ernteten zu Recht anhaltenden Beifall. So wie „Dinner for One“ fester Bestandteil des MDR-Silvesterprogramms ist, gehört Bachs Weihnachtsoratorium heute fest zum vorweihnachtlichen Konzertreigen in der Thomaskirche. Die Zuhörer kommen alljährlich von nah und fern, um in besinnlicher Atmosphäre den Stimmen der Thomaner zu lauschen. Manche Konzertgäste waren dieses Jahr eigens aus England und Japan angereist, um das bekannte Oratorium an der Stätte seiner Uraufführung zu hören.

Thomaskantor Gotthold Schwarz traf mit seiner Interpretation den Nerv des Publikums. Der erfahrene Dirigent hatte die schwierige Balance zwischen dem hochkarätig disponierten Gewandhausorchester und Sängern jederzeit im Griff. Schwarz wählte einen modernen, temporeichen Zugriff, der ein Stück weit die Hektik der Vorweihnachtszeit musikalisch widerspiegelt. Zwischen Shoppingtour und Glühweinstand schnell in die Kirche und im Schnelldurchlauf das Weihnachtsoratorium genießen? Kann man machen.

Insbesondere in den Chören und Chorälen baute Schwarz auf angenehme Anflüge von Schnelligkeit, ohne den Fehler zu begehen, den Bach im Schweinsgalopp durch „seine“ Thomaskirche zu jagen. Die Einsätze der Thomaner in den mehrstimmigen Chören saßen am Freitag akkurat bis auf die Hundertstelsekunde. Die kraftvoll und inbrünstig intonierten Choräle sorgten für Gänsehautatmosphäre. Der Hang zur Perfektion ist die große Leistung der jungen Sänger, die neben den intensiven Proben ganz nebenbei den gymnasialen Alltag der Thomasschule bewältigen müssen.

Das ausverkaufte Weihnachtsoratorium in der Thomaskirche. Foto: Alexander Böhm
Foto: Alexander Böhm

Stark auch die Solisten. Startenor Tilman Lichdi berührte die Zuhörer in der Evangelisten-Partie mit seiner schmalspurigen, zart dahinschmelzenden Tenorstimme. Sopranistin Catalina Bertucci gefiel in der sechsten Kantate, als sie ihr Rezitativ und die anschließende Arie voluminös und mit dem kalten Unterton einer Opernantagonistin interpretierte. Andreas Scheibner sang die Bass-Partie voller Inbrunst, klang dabei allerdings etwas flach. Martin Lattke zelebrierte die Tenorarien mit dem für Barockaufführungen ungewohnt breiten Timbre und dunklen Tonfall des romantischen Heldentenors. Schwarz hätte seinen früheren Schüler besser als Evangelisten besetzen sollen.

Altistin Sarah Connolly musste aus gesundheitlichen Gründen passen. Susanne Krumbiegel sprang kurzfristig ein, um mit einer hochkarätigen Leistung zu brillieren. Die Leipziger Barockspezialistin bestach mit ihrer angenehm voluminösen Stimme. Krumbiegel, regelmäßig in der Thomaskirche zu Gast, kennt sich mit den klanglichen Eigenarten des Sakralbaus bestens aus. Mit ihrem durchdringenden Timbre erreichte die Sängerin am Freitag mühelos auch die Zuhörer in der allerletzten Reihe.

Insgesamt durfte sich Gotthold Schwarz über eine ausgezeichnete Aufführung des populären Bach-Klassikers freuen. Das Konzert am Sonntag um 17 Uhr wiederholt. Beide Veranstaltungen sind ausverkauft. Kurzentschlossene müssen auf Restkarten hoffen.

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