Er war die Stimme von "New York", gab mit "My Way" vielen anderen Lebenskünstlern ein Alibi und durchlebte "Strangers in the Night" auf der Bühne und im Alltag. Man darf dem heute unaufgeregt nachsinnen, das Theaterpersonal in der Cottbuser Kammerbühne am Staatstheater lächelt: "Sie dürfen Getränke mit in den Saal hineinnehmen!"

8 Tänzer, 1 Solist, 1 Band und 1 Barkeeper

Ach Gott, ist das schon so lange her, dass Sinatra gestorben ist?” – Es war 1998. Da hatte der 1915 Geborene schon mehrere Karrieren hinter sich, in Musik und Finanzen, Ab- oder Einkehr, und Comebacks inklusive. Kurz gefasste Lebensdaten und -vermutungen, Liebschaften, mafiöse Verstrickungen, Investitionen in Las Vegas und anderes mehr lesen sich in Lexika wie der Plot zu einem Thriller. Daraus kann man einen Dokumentar-Abend machen. Doch das war hier nicht gefragt. Lediglich achtköpfig ist das Ballett des Cottbuser Theaters, und das sollte zum swingen gebracht werden. Und das ist den Tänzern und Musikern voller Power gelungen! Ohne Video-Einspiele und Original-Kult.

Für die Rolle des Cottbuser Sinatra stand der Darsteller fest, der Sänger-Schauspieler Heiko Walter. Wer dessen vielschichtiges Repertoire nicht kennt, nimmt die Ankündigungs-Postkarte zur Kenntnis: “Heiko Walter als Frank in ?Songs für Swinging Lovers'”.Neuer Club in Cottbus? – “Sinatra”?

Mirko Mahr, Ballettdirektor der Leipziger Musikalischen Komödie seit 2005, und Librettist Philipp J. Neumann, ebenso Leipziger, schaffen Sinatra einen exklusiven Club. Dresscode der Herren: schwarzer Anzug, weißes Hemd, die Damen extravagant. Störungen gibt’s hier nicht. Vorn sitzt man an Tischen mit roten Lampenschirmen. “Sinatra” leuchtet es an der Wand. Hans Holger-Schmidt hat in seinem Bühnenbild einfach nur nichts in den Weg gestellt, sondern möbliert rund um die Ecke der Band mit fahrbaren Tresen, Stühlen und Barhockern. Dreht man die Bartresen um, zeigen sich Vitrinen mit Sinatra-Devotionalien. Nur ein gleißender Lichtstrahl reißt Sinatra immer mal wieder aus dem Swing in den Blues des Lebens, seine Tiefen und Irrwege. Dabei bleibt das Bühnenspiel auf der Rampe, die es hier gar nicht gibt. Bei den Zuschauern wird weder Reaktion, Kommentar noch Mitleid geschnorrt. Freilich stört dann der Beifall nach so manchem Song, doch im richtigen Saal kriegen den die Akteure ja auch.

Wenn der Barmann auf den Tisch steigt…

Im Cottbuser Theaterabend dämmert es eingangs und es nebelt, Personen schleichen sich in den Raum, Sinatra spielt Klavier, singt, tanzt, reißt mit, eine Dame wird widerwillig in die Höhe getragen, wie Hit für Hit erklingt zeigen sich Handlungsfetzen, setzen sich zu einem Rahmen zusammen. Neue Szenen dringen ein, wenn ein Paar einen Streit nicht ausbrüllt, sondern austanzt. Und wenn der ergraute Barmann-Gentleman mit geübtem Lächeln und gekonnten Handgriffen die Drinks über den Tresen schiebt, plötzlich unsicher auf den Tisch steigt, um mit einem peppigen Step-Solo aufzutrumpfen. Thomas E. Fletcher gastiert damit in Cottbus, und alterniert mit Dirk Neumann.22 mal “My Way” in Sinatra-Variationen

Originale Tanzstile á la Gesellschaftstanz-Lehrbuch sind allenfalls angedeutet, wenn die 22 Musiknummern getanzt werden Hier schickt die Musik die Bewegungen durch die Körper.

Heiko Walter interpretiert, doubelt nicht das Original, wie zufällig drängen sich Ähnlichkeiten auf. Solist, Ensemble und Band können sich vertrauen. Man muss nicht wissen, dass diese Band sonst gar nicht zusammen in ähnlichen Gefilden auftritt, sondern Dienste im Cottbuser Opernorchester versieht. Kostümbildner Sven Bindseil konnte sich nur bei den Damen-Ensemble-Nummern in Revue-Girl-Manier etwa austoben. Obwohl dafür der Platz in der Cottbuser Kammerbühne nur etwa so groß wie Leipzigs Scala-Spielstätte, vormals Neue Szene, ist.

Irgendwie stört der Applaus zwischen den Musiknummern, aber im richtigen Leben kriegen den die Künstler ja auch. Und nach der Steppnummer und zum Finale ist das Publikum geradezu beswingt-begeistert.

Und zum Schluss? Na klar! “My Way”, ein Eingeständnis, dass sich schon diverse Künstler als Testament wählen, hinnehmbar dann, wenn sie mindestens das Format eines Harald Juhnke hatten. “Come fly with me” steht auf der Cottbusser Werbepostkarte

Tanz in Funktion

Dass es Mirko Mahr nicht vordergründig um die Kreation seines Stils geht, sondern die Funktion der jeweiligen Szene geht, hatte er schon an der Leipziger Oper gezeigt, als sich “Junge Choreographen” vorstellten. Da nahm er sogar die Folklore ernst bei seinem “Balkanhochzeit”, die ohne jegliche Parodie-Ansprüche temperamentvoll und lebensprall war, geradezu vollblütig war. Zu Hause in der Musikalischen Komödie hatte er in “Zar und Zimmermann” einen speziellen Holzschuhtanz verpasst: den hatte nämlich der Chor zu bestehen. Hatte sich das bis in den Schwarzwald herumgesprochen, so dass er dort hin geholt wurde, um ausgerechnet beim “Schwarzwaldmädel” tanzen zu lassen? Nun geht schon in zweiter Saison ein Ensemble aus dem Allgäu mit der Choreographie des Sachsen Mirko Mahr auf Tournee.

Daheim in Sachsen, an der Chemnitzer Oper, hatte er bei der Musicalversion von “Ganz oder gar nicht” den arbeitslosen Männern das Strippen beigebracht. Dazu liefert Mirko Mahr eine Steilvorlage und gönnte sich ein Tänzer-Comeback, wenn er für die Personen des Stücks als Anschauungsunterricht und Initialzündung den Show-Stripper gleich selbst tanzt. Mit einem sehr einfachen Abgang von der Bühne übrigens, aus dem Orchestergraben streckten sich ihm Frauenarme entgegen und er ließ sich einfach fallen.

Nächste Vorstellungen: 20.03., 24.04., 28.04., 05.05., 01.06.2012, Staatstheater Cottbus, Kammerbühne.

www.staatstheater-cottbus.de

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