Richard Yates' Romandebüt "Zeiten des Aufruhrs", erschienen 1961, zählt heute zu den großen Klassikern der amerikanischen Moderne. Im Schauspiel Leipzig ist weltweit erstmals eine Bühnenfassung des Werks zu sehen. Die Uraufführung lockte am Freitag unter anderem ein ZDF-Team in das Haus an der Bosestraße. Ein Abend hoher Erwartungen stand bevor.

Das Werk handelt von Hoffnungen und Sehnsüchten eines kleinbürgerlichen Ehepaars, das Mitte der fünfziger Jahre in einem Vorort im Bundesstaat Connecticut lebt. Frank und April Wheeler geben sich der Illusion hin, etwas besseres zu sein als die Menschen in ihrem sozialen Umfeld, obwohl sie dasselbe öde Leben führen. “Ich liebe dich, weil du nett bis”, sagt April. “Entweder du liebst mich oder du liebst mich nicht”, erwidert Frank. Sie ist eine mittelmäßig begabte Schauspielerin. Er geht einem langweiligen Bürojob nach. April möchte in Paris ein neues Leben beginnen. Frank hat plötzlich Erfolg in der Firma. In der Beziehung des Paars kommt es zur Katastrophe. Am Schluss der Kleinstadttragödie ist April tot.

Intendant Enrico Lübbe hat gemeinsam mit seinen Dramaturgen Torsten Buß und Alexander Elsner den Romantext, in der deutschen Übertragung von Hans Wolf über 350 Taschenbuchseiten, in elf szenische Bilder zerlegt. Die Schauspieler sprechen die Dialoge ihrer Figuren, nehmen jedoch wechselseitig auch die Position des Romanerzählers ein. Regisseur Lübbe setzt ganz auf die Wirkungsmacht von Yates’ Worten. Wenig Schauspiel, dafür umso mehr Text vorgetragen, wodurch die Bühnenhandlung immer wieder ins Stocken gerät – die große Schwäche der Inszenierung eines Stoffs, der sich als Tragikomödie eignet. Hollywood hat sich dem Werk 2008 angenommen. Herausgekommen ist Gefühlskino mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslet. Davon ist dieser Abend weit entfernt.
Die Leipziger Version ließe sich am ehesten als Stationendrama deklarieren. Zwischen den Bildern geht (meist) das Licht aus. Der schwarze Vorhang senkt sich. Dunkle Klavierakkorde (Musik: Bert Wrede) untermalen die Szenenwechsel. Verbal bekommt das Publikum vor allem Richard Yates geboten. Keine Kunstgriffe, keine Fremdtexte. Die Textfassung stellt eine mosaikartige Zusammenfassung der Romanhandlung dar. Ein besseres “Reader’s Digest”, das mit verteilten Rollen gesprochen wird.

Die Bühne (Raimund Orfeo Voigt) bleibt karg. Vier rechteckige Tische werden in jedem Bild andersartig aneinander drapiert. An der Decke hängt eine wuchtige, großformatige Werbetafel. Darauf steht in Leuchtschrift: “Live in Suburbs – Trainfares are so cheap”. Das Motiv, ein kantiges Männergesicht sowie eine Kleinstadt, alles in warmen Gelb-, Grün- und Blautönen gehalten, könnte einer Butterwerbung aus den Fünfzigern entnommen sein. Dazu passen Bianca Deigners Kostüme, die erkennbar an die amerikanische Mode dieses Jahrzehnts angelehnt sind.

Auch sonst verzichtet Lübbe auf Effekthascherei. Keine Sexorgien, keine Gewalt. Runa Pernoda-Schaefer darf sich als Maureen komplett entblößen, als sie Frank verführen will, wendet dem Publikum hierbei jedoch größtenteils den Rücken zu. Schaefer gefällt an diesem Abend als verklemmte Sekretärin, als ein graues Mäuschen, die in jener Szene emotional völlig aus der Haut fährt. Darstellerisch bietet die Inszenierung ansonsten wenig Highlights. Einzig Michael Pempelforth läuft in der Rolle des John Givings zu Höchstform auf. Der Schauspieler verkörpert den Geisteskranken als eines trocken-sarkastischen Zynikers mit clownesken Zügen, der von einem Moment auf den nächsten emotional explodieren kann.
Die Hauptdarsteller bleiben blass. Felix Alexander Preißler (Frank) spielt einen zweifelnden Jedermann, ein Choleriker, der in die Midlife-Crysis abdriftet. In den entscheidenden Momenten mangelt ihm die angezeigte Aggressivität. Anja Schneider (April) übt sich als Borderlinerin, hinterlässt beim Zuschauer aber einen unsicheren Eindruck. Wenzel Banneyer (Shep Cambell) und Anne Cathrin Buhtz (Milly Campbell) bleiben unauffällig. Jutta Richter-Haaser (Mrs. Givings) sorgt gemeinsam mit Andreas Herrmann (Mr. Givings) wenigstens für ein paar humorvolle Momente. Matthias Hummitzsch (Bart Pollock) spielt Franks Boss viel zu aufgesetzt. Hartmut Neuber (Jack Ordway) mimt den langweiligen Bürojobber. Soll komisch sein, ist es aber nicht.

Dass Lübbe den Handlungsfortgang in weiten Zügen nicht spielen, sondern aufsagen lässt, entpuppt sich als größte Schwäche des Abends. Das Spiel des Ensembles wirkt über weite Strecken statisch, beinahe sogar wie ein Hörspiel. Vor allem dehnen die vielen Erzähler-Passagen den Abend auf üppige dreieinhalb Stunden aus. Immerhin sorgt der Text nach den ersten gut 60 Minuten für eine knisternde Spannung unter der Oberfläche, die 30 Minuten später von der Pause jäh unterbrochen wird. Zwar flammt die düstere Atmosphäre nochmals kurz auf, doch die letzte Dreiviertelstunde gestaltet sich zäh wie Kaugummi.

Unter dem Strich wird “Zeiten des Aufruhrs” den hohen Erwartungen, die viele Schauspiel-Fans an die Inszenierung gestellt haben, nicht gerecht. Vielmehr entpuppt sich der textlastige Abend als durchschnittliches Stadttheater. Die Inszenierung ist keinesfalls herausragend, sondern das exakte Gegenteil. Durchschaubar am Rand zur Langeweile. Sich abzeichnende Spannungsbögen kostet Lübbe nicht vollends aus, sondern unterbricht sie mit narrativen Textbausteinen. Dabei sprechen die Dialoge der Romanfiguren durchaus für sich. Als die Darsteller nach der Pause auch über längere Strecken in ihren Rollen verharren dürfen, kommt zumindest punktuell ein wenig Spielfluss auf.

Leider zu wenig, um den Abend noch zu retten.

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