Tanner geht jetzt nicht wirklich oft ins Theater. Dafür hat das wahre Leben schon genug Inszenierung und Überraschung parat. Trotzdem wagt er sich doch hin und wieder in dieses Genre – und manchmal staunt er dann auch. So geschehen vor Jahren bei einer Produktion im Lofft am Lindenauer Markt – zu den Amateurtheatertagen – als ein rothaariges Koboldmädchen alle – aber wirklich alle – Beteiligten in Grund und Boden und an die Wand spielte.

Mittlerweile ist Lisa Byl im Regiefach gelandet und sorgt in der Leipziger Off-Theater-Szene für Gesprächsstoff. Da gibt es Menschen die ihre Arbeit mögen und Menschen die ihre Arbeit nicht verstehen oder nicht verstehen wollen – wie derzeit „Gespenster nach H. Ibsen“. Tanner schnatterte sich mit ihr ein.

Hallo Lisa. Wunderbar, dass Du mal schnell bei mir vorbeikamst um mir vom Theater rund ums Theater zu erzählen. Ich mag ja Hintergrundgeschichten. Das bringt uns natürlich auch dazu, Deine derzeitige Regiearbeit „Gespenster nach H. Ibsen“ im Neuen Schauspiel Leipzig zu thematisieren. Warum soll ich mir das denn unbedingt anschauen kommen?

Tja, das ist wohl eine gute Frage. Ein Stück, das bestimmt schon in jedem Stadttheater seinen Weg in den Spielplan gefunden hat und auch in Leipzig schon Premiere feiern durfte. Nun, ich muss gestehen, ich wollte mich tatsächlich einmal einreihen in diesen „Dauerbrenner“. Allerdings war dies nicht die Hauptmotivation. Ich versuche immer, soweit es natürlich möglich ist, mich von meinen vorhergehenden eigenen Inszenierungen abzuheben, probiere, mich nicht zu wiederholen oder Ideen wieder zu verwenden. Gespenster gab mir eine ganz neue Möglichkeit der kreativen Forderung.

Bei meiner ersten Produktion waren wir zu zweit. Wir hatten fünf Schauspieler_innen und alle gemeinsam erarbeiteten dieses Stück, wir machten sozusagen „Pädagogisches Theater“. Beim zweiten Projekt war ich alleine. Und dazu dreizehn Schauspieler_innen und es war auch mein erstes Regiestück. Hier konnte ich die Menge meiner Schauspieler_innen gut nutzen, hatte Gelegenheiten, die Szenen auch im Publikum stattfinden zu lassen.

Gespenster ist ein Kammerstück. Es spielt alles in einem Raum und es gibt keine Zeit- oder Ortssprünge. Dieses Familiendrama findet an einem Abend bis zum nächsten Morgen statt. Für mich war relativ schnell klar, dass Ibsen hier viel angedeutet hat, es allerdings nicht brutaler ausdrücken durfte, was dem zeitgeschichtlichen Kontext zuzuordnen ist. Somit ist die sexuelle Beziehung zwischen Mutter und Pfarrer im Original nur ganz vorsichtig angedeutet. Der arme Autor durfte ja noch nicht einmal klar sagen, an was nun genau Osvald Alving stirbt. Erst das heutige Nachwort verrät uns, dass es Syphilis war.

Ich denke, man sollte es sich anschauen, weil ich jeden Wink, den mir der gute Herr Ibsen gab, genutzt habe. Alles ist ein bisschen schneller, drastischer und brutaler. Wenn man ein persönliches Problem mit der Katholischen Kirche hat, dann ist diese Inszenierungen ein unbedingtes Muss.

Die Beziehung zwischen Osvald und Regine nimmt auch eine sehr schnelle und unerwartete Wendung. Was noch erwähnenswert wäre, ist, dass ich bei dieser Produktion ausschließlich mit Livemusik arbeite. Meine beiden Musiker (Klavier und Kontrabass) leisten großartige Arbeit und ich bin immer wieder von dieser musikalischen Zusammenarbeit begeistert.

Welches Regiekonzept reitest Du denn in dieser Produktion. Auch theaterphilosophisch gibt es ja Unmengen von Ansätzen. Welcher folgst Du und warum?

Ja, da hast du bestimmt Recht, nur habe ich mich mit Regiearbeitskonzepten noch nicht wirklich intensiv auseinandergesetzt. Es gibt ein paar Bücher und Autoren, die ich gerne zur Unterstützung lese. Allerdings verfahre ich nicht nach einem bestimmten Muster oder versuche nur starr eine festgeschriebene Linie zu fahren. Es gibt einen Unterschied zwischen pädagogischem und Regietheater. So. Mehr war für mich erst mal nicht wichtig.

Bei der Pädagogik musst du bereit sein, sämtliche Kompromisse einzugehen. Alle sind gleichberechtigt. Alle sollen und dürfen ihre Haltung und ihre Ideen zu dem Entstehendem kundtun.  Regietheater bedeutet, dass es nur einen gibt, der sagt, wo es lang geht, was gemacht und gesagt werden darf. Wenn du dich einmal für diese Rolle entschieden hast, dann solltest du auch damit leben, dass dich viele Menschen nicht mögen oder zumindest privat meiden.

Was ich sagen kann, ist, ich lege Wert auf Struktur. Ist die Regie nicht vorbereitet, können auch die Schauspieler_innen nicht damit umgehen und alles wird nur chaotisch. Ich versuche, so vorausschauend wie möglich zu arbeiten. Außerdem bin ich wohl sehr streng, was meiner Meinung nach alles Auslegungssache ist. In dieser Produktion war es besonders wichtig, dass alle mitziehen, da ich diesmal Menschen dabei hatte, die mein Bühnenbild gebaut haben, Musiker, die noch nie miteinander gearbeitet hatten … und so weiter und so fort …

Am Ende sollte Inszenierung, schauspielerische Leistung, Musik und Technik nahtlos ineinander funktionieren. Mit wie viel Techniken und Theatertricks ich am Ende nun dieses Ziel erreicht habe, ist mir relativ egal. Was zählt, ist der Moment, wenn man als Regie nichts mehr tun kann und dir klar wird, dass vier Schauspieler_innen und zwei Musiker das Ding jetzt reißen müssen.

Kannst Du bitte etwas zu Deinen vier Darstellern sagen? Welche Hintergründe haben diese? Sind’s alles Professionelle oder sind auch Laien dabei – und wenn Du schon dabei bist: wer ist wer?

Ich habe in Gespenster vier Schauspieler_innen eingesetzt. Drei davon sind Laien-Darsteller_innen, obwohl man das langsam nicht mehr sagen kann. Sie sind zwar nicht ausgebildete Schauspieler_innen, besitzen aber durchaus das Potenzial dazu.

David Wolfrum, der Osvald Alving, hat schon bei Sartres „Das Spiel ist aus“ die Hauptrolle, den Pierre Dumain gespielt. Nun, nach so langer Zusammenarbeit, und wegen seines großartigen „Kinski-Blicks“ war es für mich naheliegend, ihm auch diesmal die Hauptrolle zu geben.

Julia Kragh, die Regine Engstrand spielt, war wie David auch bei Sartre involviert – allerdings in einer wesentlich kleineren Rolle. Ich wagte den Versuch, ihr jetzt eine größere Rolle zu geben. Ich habe es nicht bereut!

Kristin Siegert, im Stück Frau Alving, war ein großartiger Zufallsgriff. Sie kam etwas später zur Gruppe hinzu. Sie gab Frau Alving Körper und Stimme und mir die Sicherheit meiner selbst zurück.

Und schlussendlich, der Pfarrer gespielt von Uwe Schütz. Ein ausgebildeter Clown. Und Schauspieler des Hauses. Er gab dem Pfarrer den nötigen sarkastischen Schliff. Außerdem ist er in jeder Lebenslage der ständige Optimist der Gruppe und der Regie.

Wie gestaltet sich denn eigentlich die Zusammenarbeit mit dem Haus NSL? Das Neue Schauspiel Leipzig ist ja kein Fördermittelumschlagplatz, sondern rein von der Tür und dem Umsatz abhängig. Gibt es dadurch Zwänge in Deiner Produktion oder bist Du vielleicht sogar freier in der Kreativität?

Man muss sich, glaube ich, vor Augen halten, wie absurd es für dieses Haus gewesen sein muss, als da vor ca. drei Jahren zwei unerfahrene Mädchen standen und mal so eben proben und aufführen wollten –  mit einem Stück, das noch nicht geschrieben war, mit Schauspieler_innen, die es noch nicht gab und mit Geld, das noch nicht beantragt war. Sie haben uns gelassen und davor ziehe ich immer noch den Hut. Wäre die Situation andersrum gewesen, ich hätte die beiden Pappnasen freundlich gebeten, mein Theater auf der Stelle zu verlassen.

Nachdem wir aber zeigen und beweisen konnten, dass wir auch ohne etwas in der Hand ein Stück auf die Beine bringen konnten, durfte ich bleiben. Heute kann ich sagen, dass ich sehr viele Freiheiten immer noch genießen kann. Am Ende schaut sich die Leitung das Stück an und dann kann es natürlich, wie im jeden andrem Theater auch, passieren, dass der rote Stift angesetzt wird. Nun aber das ist dann Berufsrisiko. Was die Finanzierung angeht, kann ich mir natürlich kein fliegendes Pferd wünschen, dennoch bin ich mit dem, was ich habe, sehr zufrieden.

Im März gibt es meines Wissens noch vier Vorstellungen. Wann denn eigentlich? Und soll es danach weitergehen? Vielleicht sogar auf Tournee?

Ja, das ist richtig und zwar am 11./12.03.2015 und am 25./26.03.2015 jeweils um 20:00 Uhr im Neuen Schauspiel.

Es geht immer irgendwie weiter, nur nicht mit diesem Stück. Das ist aber nicht schlimm, denn alles sollte ein Ende haben. Wir werden nicht auf Tournee gehen, da alle noch ein anders Leben im Studenten/Rockstar/Arbeiteralltag führen. Außerdem ist das Bühnenbild genau auf diese Bühne zugeschnitten, mal eben vergrößern oder verkleinern ist nicht möglich.

Und Du selber. Wo treibt es Dich hin? Du bist ja auch schreibend. Also multitalentiert. Selbst als Fotomodel könnte ich mir Dich vorstellen…. Wo steuert dein ganz privates Boot hin?

Ich selbst werde fleißig am neuen Stück schreiben, was ich hier noch nicht preisgeben will. Wenn ich damit fertig bin und die Premiere im Oktober gelaufen ist, schreibe ich meinen ersten Roman, werde damit steinreich, kaufe mir ‘ne Insel in der Karibik, heirate einen Piraten, um am Ende kotzend über der Reling in den Sonnenuntergang zu segeln.

Hach Volly, ick hab doch keene Ahnung, ich bin schon froh wenn ich weiß, was ich in den nächsten zwei Stunden alles machen muss.

Danke, liebe Lisa, für Deine Antworten.

Es war wieder einmal ein inneres Fest, deine bohrenden Fragen zu beantworten.

Ich danke dir.

Alles Liebe, die Lisa.

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