Großes Kino auf der Opernbühne. Aron Stiehl hat in Leipzig Puccinis "Madama Butterfly" in der Ästhetik des klassischen Hollywood-Kinos inszeniert. Das Premierenpublikum spendete tosenden Beifall.

Stiehls Inszenierung ist ein Abend, der von starken Bildkonzeptionen getragen wird. Wenn sich der Vorhang mit den ersten Takten der Ouvertüre hebt, erblickt der Zuschauer im 16:9-Format viel Kitsch. Ein Fünfziger-Jahre-Schlitten, ein glänzender Spiegelboden und – im Hintergrund – ein großer Vorhang, der die halbe Bühnenrückwand verdeckt.

Marineleutnant Pinkerton (Gaston Rivero) ist in Fernost eingetroffen. Der findige Makler Goro (Keith Bolt), ein schmieriger Geschäftsmann, offeriert dem Amerikaner auf Pappaufstellern mehrere Damen, die er käuflich erwerben könne. Der Rest der Geschichte ist bekannt.

Die Bühne dreht sich. Was als großes Bühnendrama beginnt, avanciert ab der Begegnung des Offiziers mit der Geisha Cio-Cio-San, genannt Butterfly, zu einem Kammerspiel. Philipp Schlößmann hat Butterfly mittels hochgefahrener Unterbühne ein kantiges Häuschen gebaut, das sich über die gesamte Bühnenbreite erstreckt. Ein Drittel Schlafzimmer, zwei Drittel Wohnzimmer. Der Vorhang senkt sich ein ganzes Stück wie eine Blende herab, so dass der Zuschauer das Geschehen nun im extrabreiten Cinerama-Format verfolgt.

Im weiteren Laufe des Abends wird sich der Bühnenkasten anheben, wenn Butterfly mit ihrem Pinkerton Ende des 1. Akts im siebenten Himmel schwebt. Beim Auftritt von Onkel Bonzo (Milcho Borovinov), der Butterfly verflucht, brechen die Hinterwände weg. Bonzo steht im Hintergrund. Dahinter ein neblig-blauer Prospekt. Licht und Goldener Schnitt verschaffen dem Zuschauer das Gefühl, durch die Hütte hindurch in den Abgrund zu blicken, in den Butterfly im literarischen Sinne fällt.

Wenn Butterflys Leben im zweiten Akt allmählich aus den Fugen gerät, nimmt ihr Häuschen eine immer bedrohlicher werdende Schräglage ein. Im dritten Akt brechen Wohn- und Schlafzimmer, das für Butterflys Sohn zugleich als Kinderzimmer dient, vollends entzwei. Die vorweggenommene Katastrophe.

Schlößmanns Technikshow untersetzt zwar Stiehls inszenatorischen Ansatz, erfindet jedoch das Rad nicht neu. Der Spiegelboden im ersten Akt lässt den Leipziger Operngänger unfreiwillig an “La Traviata” denken.

Madama Butterfly. Foto: Kirsten Nijhof
Madama Butterfly. Foto: Kirsten Nijhof

Den Sternenhimmel, vor dem sich das Liebesduett ereignet, kennen die Zuschauer aus “La Bohème” und Butterflys Häuschen weckt Erinnerungen an Hundings Hütte. Sven Bindseils Kostüme, die sich an japanischer Tradition und Fünfziger-Look anlehnen, fügen sich nahtlos in das Inszenierungskonzept ein.

Musikalisch bietet Anthony Bramall am Pult einen flotten Puccini. Der Brite führt das Gewandhausorchester tempo- und facettenreich durch den Abend, kreiert Bögen und transportiert die wechselhaften Stimmungen der Musik souverän in den Saal. Gaston Rivero interpretiert Pinkerton als innerlich zerrissenen Playboy. Der Tenor wirkt stimmlich stets präsent und meistert mühelos auch die anspruchsvolleren Passagen.

Karah Son vollführt dagegen einen Steigerungslauf. Tut sich die Sopranistin eingangs schwer, die hinteren Reihen zu erreichen, legt sie gegen Ende des ersten Akts die Nervosität beiseite. Das Liebesduett “Vogliatemi bene, un bene piccolino” gehört zu den Höhepunkten des Abends. Ebenso Sons Arie “Un bel di vedremo”. Das Publikum spendet lauten Szenenapplaus. Susanne Gritschneder bereitet die Suzuki-Partie keine Probleme. Bariton Mathias Hausmann verleiht mit seinem angenehmen dunklen Timbre dem Konsul Sharpless einen väterlichen Touch.

Den Regie-Kniff, den Puccini-Stoff in die Fünfziger zu verlegen und als Hollywood-Drama auf die Bühne zu bringen, kann man mögen. Man kann Aron Stiehl jedoch ebenso gut Langeweile vorwerfen. Eine visionäre Neudeutung des populären Stoffs hat die Inszenierung nicht in petto. Die musikalischen Leistungen und visuellen Hingucker machen den Abend trotzdem zum kurzweiligen Erlebnis.

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