Nach dem dritten Abend weiß man wieder nicht, wohin die Reise in Rosamund Gilmores Inszenierung noch gehen wird. Er wird nach und nach rund, der neue Leipziger "Ring des Nibelungen". In den Theatern der Umgebung in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist der Zyklus komplett. In Leipzig lässt man sich von Jahr zu Jahr Zeit. Und Leipzig war einmal die erste Einstudierung nach der Bayreuther Uraufführung.

Auf Plakaten und Postkarten wirbt man mit einem kleinen Jungen, mit Schwert unterm Arm, und seinem Erzieher. Doch mit der Inszenierung und Bühnenoptik hat das dann wenig zu tun. Nicola Reicherts Kostüme sind zweckbestimmt gestaltet, keine Designer-Extra-Kunst. Wandelbare Trikots gibt es für die Tänzer sowie für Erda und die Nornen-Tänzerinnen einen langen Schal als Fessel oder Verhüllung.

„Nach eitlen Fernen forschtest du“

Mit dem „Rheingold“ hatte ein vielschichtiger interessanter Weg begonnen, vom Rhein-Brunnen aus durch die grauen und gewaltigen Bauten von Bühnenbildner Carl Friedrich Oberle. Aus einem lieblos behandelten maroden Gebäude, in dem Unkraut wucherte, ging man die Wendeltreppe hinauf in Richtung Regenbogen, der durchs Glasdach schien. Darüber im Himmel gibt es nur noch die Deutsche Übertitelung. Gut zum Mitlesen, für Fremdsprachige gut zum Deutschlernen.

In der „Walküre“ waren die Gebäude andere geworden, im Laufe der Zeiten wieder vernachlässigt und  auch der Weg war ein neuer, lief in Begrenzungen. Man bewaffnete sich im ersten Aufzug mit Spießen und Gewehren. Wenn Brünnhilde bis zur Ankunft des furchtlosen Erlösers zur Ruhe gelegt wurde, loderten die Flammen hell. Eine Ahnung von Gefahr.

Mimes Höhle als Siegfrieds Kinderstube in der Waldeinsamkeit finden wir nun zwischen großen Wänden mit Öffnungen, die an Burg und Verteidigung erinnern. Dahinter wachsen Büsche und Sträucher, darin tummeln sich dunkle Geister und hantieren mit allen möglichen Fundstücken, die Kopfskelette aus der „Walküre“ sind erkennbar. Auf der Leiter hinten sitzt ein zotteliges Untier, kein Bären- oder gar Teddy-Abbild. Wer so was mag, fürchtet nichts. Siegfried auch nicht. Doch er ahnt instinktiv, wenn er überlistet werden soll.

Scherzo, Märchen, Komödie: Siegfried-Inszenierung an der Oper Leipzig. Foto: Karsten Pietsch
Scherzo, Märchen, Komödie: Siegfried-Inszenierung an der Oper Leipzig. Foto: Karsten Pietsch

Siegfried und Mime, Traum-Paar gegeneinander

Schon bei den Endproben mit Solisten und Orchester zeigte sich ein Traum-Paar von Siegfried-Darsteller Christian Franz und dem Mime von Dan Karlström, die der Körpergröße nach zu ihren Figuren passen, wie mit ihren Stimmen. Wenn man Gelegenheit hatte, bei einer dieser letzten Proben dabei zu sein, bemerkte man das wechselseitige Energie-Spiel, wie die beiden genial miteinander spielten, wenn auch in ihren Figuren gegeneinander.

So heißt dieser Abend tatsächlich eben „Siegfried“ und das ganz zurecht, der Wotan ist zum Wanderer geworden, in einem langen Allerweltsmantel unter Schirmmütze, John Lundgren gibt ihm Pathos mehr noch im Gestus als in der Stimme.

Mehrere Waldvöglein weisen Siegfried den Weg, sängerisch aus dem Orchestergraben mit der Stimme von Eun Yee You, sowie in Weiß gekleidete Tänzerinnen, zunächst auf dem Boden, dann wie Mauersegler an der Wand, oder auf der Brücke, die die stilisierte Burg von der Höhle darunter trennt. Kein grüner Wald erwartet uns, Efeu und Kraut wuchern in der Burg. Der Drache wird von Alberich, Jürgen Linn, gerufen – und erscheint!

Scherzo, Märchen, Komödie

Ein Drache oder Lindwurm ist im Leipziger Stadtbild gegenwärtig, nicht nur in Darstellungen des Drachentöters St. Georg. „Zum Lindwurm“ lautet eine Inschrift am Haus Thomaskirchhof Nummer 14, seit Jahrhunderten heißt das Grundstück gegenüber Wagners Taufkirche so. Auch wenn das dort befindliche Hotel einen anderen Namen trägt.

In der Werbung hatte die Oper Leipzig die Begriffe „Scherzo, Märchen, Komödie“ für Richard Wagners „Siegfried“ hervorgehoben. Ein Spiel mit Begriffen, Definitionen und dem, was man dafür hält und sich darunter vorstellt. Im Spielplan des Opernhauses hatte man da seit längerer Zeit mit von GMD und Intendant Ulf Schirmer geleiteten konzertanten Aufführungen und im Repertoire der Musikalischen Komödie mit der herrlichen Verknappung des RINGS als „Wagner für Kinder“ sowie der leichten-seichten Persiflage „Das Ding mit dem Ring“ vorgearbeitet.

Drachentöter

Regisseurin Rosmund Gilmore spielt kurzzeitig ein Scherzo, komödiantisch und das Märchen lässt grüßen. Und sie gibt allen Deutobolden, Allegorowitschs und Mystifizinskis, die den Drachen sowieso nicht ernst genommen hätten, einen Klaps: Der Riese Fafner erscheint aus der Unterbühne, auf einem großen roten Sofa sitzend, mit Zylinder und Zigarre, umgeben von kleinen Fafners wie Nebenarmen oder Drachen-Köpfen an Neben-Hälsen. Nicht nur der Schwertstich Siegfrieds ist der Augenblick, der in Erinnerung bleibt, sondern auch der Moment, wenn Siegfried neben dem Untier auf dem Sofa sitzt. Fafner stirbt und sein Kopf zieht sich in den Riesen-Hals zurück.

Wagner-Perfektion im Orchestergraben und Augen-Weide droben auf der Bühne. Foto: Karsten Pietsch
Wagner-Perfektion im Orchestergraben und Augen-Weide droben auf der Bühne. Foto: Karsten Pietsch

„Lustig im Leib sing ich von Liebe“

Im dritten Aufzug wandeln sich zwei steinerne Gebäude, erst sehen wir eine Schlucht, einem Steinbruch ähnlicher, als einer Architektur. Von der anderen Seite aus betrachtet zeigt sich das wieder als die Burg aus der „Walküre“ mit der schlafenden Brünnhilde auf einer Plattform, einem riesengroßen Kochfeld ähnlich und scheinbar temperaturabhängig beleuchtet. Bevor Siegfried dort hingeht, findet er im Koffer des Wanderers ein weißes Hemd und, wie der Sachse zu sagen pflegt, macht sich fein… Durch das marode Bauwerk unzähliger Bogenreihen bewegt sich nur noch Brünnhildes Ross Grane.

Zum Traum-Team von Sänger-Darstellern kommt noch Nicole Piccolomini hinzu, als Erda tänzerisch von Nornen ergänzt. Möge diese Besetzung und Einstudierung lange so erhalten bleiben, wie sich Ton und Bild hier mit dem Dirigenten Ulf Schirmer und dem Gewandhausorchester, eben auch aus Wagnererfahrung, zusammengefunden haben.

Siegfried und Brünnhilde sind nun beieinander. Doch vor der Götterdämmerung sind Weg und Richtung wieder offen. Hier kommt man so ganz anders vorwärts, in den sich wandelnden Zeiten und zerbröselnden steinernen Wänden, als im Bayreuther “Ring” der 2013er Inszenierung von Frank Castorf. Dort geschuldet auch der Forderung der Festspielleitung, dass in Bayreuth ein Regisseur „eine Idee mehr, eine Idee zu Richard Wagners Werk“ anbieten soll.

„Die Welt durchzog ich urweisen Rat zu gewinnen“

Vor fast 40 Jahrzehnten gab es in Leipzig den letzten “Ring”, dazwischen waren regelmäßig andere Wagner-Werke, teils wiederholt in Neuinszenierungen immer wieder im Repertoire. Wagner war weder verboten noch wurde er vernachlässigt. Dass die letzte, aber noch junge „Meistersinger von Nürnberg“-Inszenierung bereits still und heimlich entsorgt wurde, ließ sich beim letzten Kostümverkauf im Opernhaus feststellen.

Ist es der Drache, modern oder gar digitalisiert,  als Papiertiger oder Amtsschimmel, der es in unseren Tagen verhindert, die Leipziger „Notenspur“ auch an Richard-Wagners-Geburtshaus am Brühl und, natürlich, am Richard-Wagner-Max-Klinger-Stephan-Balkenhol-Demkmal Stationen haben zu lassen?

Premieren-Kommentar von Adel A. Ide:

“In der Premiere, immerhin am  Sonntag, Beginn: 16.00 Uhr, gab es sehr wenige freie Plätze
Super waren die Szenen Mimes (Dan Karlström) und Siegfrieds (Christian Franz). Dan Karlström ist ein richtiger Zwerg-Mime und hat dazu eine perfekte Stimme.

Ein paar Requisiten verorten die Handlung in der DDR. Eventuell ist das Damenfahrrad ein Mifa-Modell. Die Stahlteile der Stühle stammen aus der DDR-Schule, etwa der Jahre 1971 bis 1981.
Wo aber waren Siegfrieds Hammerschläge in der Schmiede-Szene?

Die Regisseurin sollte einige Nachhilfestunden in Sachen Schmieden von Eisen absolvieren. Ihre Schmiedestunde widersprach allen physikalischen Gesetzen. Eisen glüht, Abkühlung zischt etc.
Warum waren das Waldvöglein, respektive die Waldvogel-Tänzerinnen weiß? Und die Sängerin – außerhalb der Bühne – schwer zu verstehen?

Aus der Unterbühne kommt ein rotes Sofa, aber ohne Loriot und Evelyn Hamann, sondern mit einem fetten Bonzen mit Zigarre und Zylinder und etlichen kleinen Neben-Bonzen.
Brünnhilde liegt im dritten Akt auf einem riesigen Ceran-Kochfeld, in der Beleuchtung variabel. So dass man Angst hat, Siegfried müsste sich die Füße verbrennen. Der aufmerksame Beobachter fühlt da mit.

Viel Applaus und Jubel für die Regisseurin Rosamund Gilmore und für alle Solisten bei den Einzel-Vorhängen und den Dirigenten Ulf Schirmer besonders. Kein Buh für niemanden.”

Nächste Aufführungen: 26. April, 24. Mai, 30. Mai und dann wieder am 21. Februar, 7. Mai und 1. Juli 2016

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