Wir reisen weder nach Cornwall noch nach Irland, dazu fehlt auch das Schiff. „Tristan und Isolde“ begegnen sich irgendwo auf der Welt, zum Beispiel im fränkischen Bayreuth. Treppen, die nirgendwo hin führen zeigt der erste Aufzug, im Gefängnis mit Überwachungspersonal spielt der zweite Teil, der Schlussakt zeigt Halluzinationen.

Sowohl aus dem Gefängnis als auch aus dem Finale nimmt König Marke seine noch zu ehelichende Isolde kommentar- und widerspruchslos mit hinaus. Katharina Wagner hat nach den „Meistersingern von Nürnberg“ ihre zweite Wagner-Inszenierung auf die Festspielhausbühne gebracht. Diverse andere Wagner Werke zuvor schon anderswo.

Kaum dass sich der Vorhang geschlossen hat brüllt jemand „Bravo“. Dann wird lange applaudiert, besonders heftig für die Isolde alias Evelyn Herlitzius und Tristan alias Stephen Gould und extra-toll für den Dirigenten Christian Thielemann der Wagners Musik mit den werktätigen Damen und Herren des Festspielorchesters an diesem Abend gefahren hat. Vielleicht doch vergleichbar einem Kapitän und seinem Schiff samt Mannschaft, wenn man Richard Wagners Musik-Begriff der „Gefühlswegweiser“ zu Rate zieht, später nennt sie die Wissenschaft „Leitmotive“. Bei Thielemann ist das ganze Werk mit über vier Stunden Spieldauer weniger Angst, Pathos und Schrecken sondern ein fließender Versuch den abgebrochenen „Tristan“-Akkord doch noch zu Ende denken zu können. Wagner hat es so gewollte, dass man hier gar nicht alles auf der Bühne zeigen und zu sehen kriegen kann, was man an Wucht und Feinheiten aus dem Orchester hört.

Festspiele in den Medien

Schon die dritte Aufführung der 2015er Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ wird aus dem Bayreuther Festspielhaus live in Kinos aller Welt übertragen und ein paar Tage später im Fernsehen gesendet. Jeder soll dabei sein können. Es gehörte zu den Visionen kurz nach Richard Wagners Lebenszeit im ausgehenden 19. Jahrhunderts, solche Kinoübertragungen für die Zeit in 100 Jahren zu erträumen. Bis es soweit sein sollte, gab es zunächst noch wunderbare Erfindungen wie Stummfilm, Texttafel und Kinorgel, weil das Gehör mitsehen wollte. Die Technik hinkte Wagners Geist hinterher.

Vor Jahren waren es noch die Live-Übertragung auf die Bayreuther Festwiese, die außerhalb des Festspielhauses Furore machten, und nur CDs und DVD-Aufzeichnungen gab es als Konserven.

Sollen doch die elektronischen Medien auf das Live-Erlebnis neugierig machen! Dann profitieren alle Bühnen und ihre Künstler davon.

Im Bayreuther Festspielhaus kann man den Hör-Sinn justieren. Gesang und Orchester sind hier live. Elektroakustik kommt nur für die Übertragungen und Aufzeichnungen zum Einsatz, dann aber reichlich.

Scheinbar gibt es keine Wagner-Erben-Familien-Zwistigkeiten mehr, jedenfalls gingen die im Jahr der 104. Festspiele nicht durch die Presse.

Eine Novität: Dirigent Christian Thielemann wurde Musikdirektor der Festspiele, eine ganz neu geschaffene Funktion, die für ihn auch einen personengebundenen namentlich gekennzeichneten Parkplatz bedeutet, gleich hinter dem Geldautomaten, dessen Gehäuse ein Wagner-Porträt ziert.

Baustelle Festspielhaus

Doch die Festspielhaus-Fassade ist zu großen Teilen seit Jahren und immer noch Kulisse, ein Gerüst mit 1:1 Riesen-Foto. (Einer Pressemitteilung zufolge gab es bis zum April 2015 eine sogenannte Schadensaufnahme am gesamten Haus, die zu Baumaßnahmen in sechs Abschnitten führen und bis 2023 dauern soll. Voriges Jahr war von absehbaren Baukosten in Höhe von 30 Millionen Euro die Rede.) Otto Brückwald, dem Architekten aus Leipzig, und seinem Bauherren Richard Wagner kann man nichts vorwerfen, sie hatten an bauliche Einfachheit und kurze Spieldauer gedacht.

Verschwunden sind die ein Meter hohen Plastik-Wagners mit den hilfesuchend in die Höhe gestreckten Ärmchen, nur einige aus der Serie von Ottmar Hörl stehen noch in Bayreuths City.

Tristan (Stephen Gould) in König Markes (Georg Zeppenfeld) Gefängnis. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Tristan (Stephen Gould) in König Markes (Georg Zeppenfeld) Gefängnis. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Richards Lebens-Krimi

„Tristan und Isolde“ hat es den Konsumenten nie leicht gemacht. Das war zu Gottfried von Straßburgs sagenhaften Erzähl-Zeiten im 13. Jahrhundert bestimmt genau so wie heute. Man muss sich einlassen auf eine alte Geschichte. Bei Richard Wagner ist die noch aufgeladen mit seinen privaten Konstellationen, von denen mindestens zwei zu Isolde, Tristan und König Marke passen: Da spannt einer dem anderen die Frau aus und doch sind sie alle miteinander verbunden.

Sind es nun Hans von Bülow, der Wagner-Dirigent, betrogen von seiner Ehefrau Cosima, und Richards Frau Minna, die das miterleben musste. Und zum anderen stehen Mathilde und Otto Wesendonck im Rampenlicht, die die Wagners in der Schweiz beherbergten. Wobei Otto schließlich dem Richard offensichtlich alles verzeihen konnte… Richards Lebens-Krimi übertrifft die verwendete Literatur.

Eine für Bayreuth naheliegende Regie-Idee hatten aber schon andere, die ganze „Handlung in drei Aufzügen“ in die Villa Wahnfried zu verlegen, erlebte man in Chemnitz. Stephan Herheims „Parsifal“-Inszenierung als Bilderbuch deutscher Geschichte spielte vor der im Festspielhaus als Kulisse aufgebauten Villa-Wahnfried-Fassade.

Anders, kurz

Freilich kann man alles auch in weniger als drei Minuten abhandeln. Im Bühnenbild aus Lego-Bausteinen und Lego-Personal hat es der „Nordbayerische Kurier“ getan.

Für Freunde des Musiktheaters und der Plastik-Kunst sind das Ergebnis und auch das Making-Off-Video sehenswert und sogar ein paar Wagner-Klänge gibt es auch dazu. http://www.nordbayerischer-kurier.de/videos/lego-wagner-tristan-und-isolde-zweieinhalb-minuten-erklaert.

Allerdings hat sich hier die Regie für einen anderen Schluss entschieden: Isolde sei nun glücklich, meint zumindest der Erzähler, und „alle Hindernisse ihrer Liebe seien nun ausgeräumt….“

Zeitlos-gegenwärtig

Thomas Kaiser für Katharina Wagners Inszenierung entwarf zeitlos-gegenwärtige Kostüme, Blautöne für Tristan und Isolde, König Marke in gelb-grünem bis brauem Stoff für Hut und Mantel samt Pelzkragen.

In den Bühnenbild-Installationen von Frank Philipp Schlössmann und Mathias Lippert haben die Darsteller zu kämpfen. Ein Irrgarten aus Treppen zeigt keinen Ausweg zu Beginn des Abends.

Statt eines romantischen Burghofes für den zweiten Teil werden Tristan und Isolde in einen geschlossenen Raum geworfen. Unter ständiger Beobachtung durch Wachposten und Suchscheinwerfer bilden wandelbare Stahl-Elemente, abbrechende Stufen und Käfige weder Schutz- noch Fluchtmöglichkeiten.

Tristans Fieber-Szene spielt wie der ganze dritte Aufzug hinter einem durchsichtigen Vorhang und lässt für Tristan wie für das Publikum Licht-Dreiecke mit diversen Isolde-Erscheinungen sichtbar werden.

Einer Pressemeldung von 3sat war zu entnehmen, „Katharina Wagner lässt in einer sadistischen Versuchsanordnung spielen.“, womit vermutlich die Gefangenschaft und das Wachpersonal zur Einlieferung, Beobachtung und Abholung im zweiten Aufzug gemeint ist.

Schallkanone

Ein Irrgarten aus Treppen, die nirgendwo hinführen. Tristan (Stephen Gould), Isolde (Evelyn Herlitzius) und Brangäne (Christa Mayer). Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Ein Irrgarten aus Treppen, die nirgendwo hinführen. Tristan (Stephen Gould), Isolde (Evelyn Herlitzius) und Brangäne (Christa Mayer). Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Ob bei den Besetzungen und Umbesetzungen auch ein Tristan-und-Isolde-Geist mitwirkte? Die zunächst vorgesehene Isolde gab die Rolle vor längerer Zeit zurück, der Vertrag mit der zweiten Sängerin wurde aufgelöst, Evelyn Herlitzius sprang mit wenigen Wochen Probenzeit ein. Und sie hat die Isolde nach eigener Aussage einige Zeit nicht mehr gesungen, tut das aber jetzt mit sagenhaftem Drive und bis in scharfe Lautstärken. Gäbe es den Begriff Schallkanone nicht schon aus dem Militär, hätte man ihn für Evelyn Herlitzius erfinden können. So ließ sie schon vor Jahren als Bayreuther Brünnhilde im „Ring des Nibelungen“ aufhorchen.

Da schwebt Isolde jetzt akustisch über Tristan hinweg. Sie hat Waltraut Mayer an ihrer Seite als Dienerin Brangäne mit ähnlich eindrucksvoller druckstarker Stimme. Das ist der Tristan Stephen Goulds auf seine Weise auch. Und ebenso der giftig-gelb gekleidete König Marke, dargestellt und gesungen von Georg Zeppenfeld, wenn er seine Übermacht sehen und hören lassen kann, als er jeweils Tristan gegenübertritt.

Diese Isolde ist ja körperlich kleiner als Tristan und vielleicht die Hälfte seiner Statur. Sie und er haben ihre eigenen Tön, besser gesagt jeder seinen Ton und seine Ausdrucksform jenseits eines harmoniesüchtigen Duetts. Über die Partie der Isolde hat die Sängerin Waltraud Meier gesagt: „Da siegt der Wille über die Materie.“

Für Stephen Gould war der Tristan eine Traumpartie, wie er in einem Interview bekundete. Er verglich aus eigener Erfahrung die Partien des Tannhäusers, Siegfrieds und Tristans, der doch die Super-Rolle wäre, zwar mit der Hälfte an Textmenge, aber musikalisch-menschlich anstrengender.

Wagners Werk + 1 Idee

Anspruch Katharina Wagners als Festspielleiterin ist, vor Jahren nach ihrer „Meistersinger von Nürnberg“-Inszenierung geäußert: „Ein Regisseur muss uns eine Idee zusätzlich zum Werk bringen.“

Gilt das noch? Was war hier die neue, zusätzliche Idee? Trotz des musikalischen Liebestodes Isolde nicht körperlich sterben zu lassen, lässt sich menschlich begründen. Ein Leipziger Regisseur ließ sie vor Jahren aufrecht stehen bis der Vorhang fiel, das wurde damals umkämpft-diskutiert…

War das nun der Einfall? Oder das Big-Brother-Gefängnis im zweiten Aufzug? Oder dass Tristan und Isolde gemeinsam den Trank verschmähen, der ihnen als Todestrank kredenzt wurde, sie ihn tatsächlich ausschlagen, und die Liebe hat sie ohnehin überfallen bis zur augenblicklichen Umarmung.

Oder war das Novum nun, dass König Marke Isolde roh an die Hand nimmt und nach Hause zieht, nun in seine Welt? Eheleben mit ungeliebtem Gatten, eine andere Art von Gefängnis.

Sonst noch Neues aus Bayreuth?

Die Studiobühne Bayreuth, erfahren und beliebt mit Parodien zu Werken und Leben Richard Wagners, spielt in ihrer Bretterbude neben der Steingraeber-Klavierfabrik eine eigene Sprechtheater-Version mit dem Titel „Tristan oder Isolde“.

Und auf dem Festspielhügel gab es bei der Kinderoper diesmal „Parsifal“, Spieldauer eine Stunde zehn Minuten, bis zum Füße trampeln begeisterter Kinder und ihrer mitgebrachten Eltern. Dazu in Kürze mehr auf L-IZ.de. Und auch zum neu gestalteten, umgebauten und erweiterten Museum in der Villa Wahnfried!

In Kino und TV

Am Freitag, 7. August, ab 15:45 Uhr wird die „Tristan und Isolde“-Produktion aus dem Festspielhaus in mehr als 150 Kinos übertragen.

„Aus der Pressemitteilung der Bayreuther Festspiele: An diesem Tag ist ein rund 60-köpfiges Team mit mehreren Übertragungs- und Satellitenwagen vor Ort, in denen sich die gesamte Studio- und Sendetechnik befindet. Mehrere ferngesteuerte Kameras, die im Zuschauerraum, im Orchestergraben und am Portal positioniert sind, sorgen für gestochen scharfe HD-Bilder. Auch tontechnisch wird alles daran gesetzt, den besonderen Festspielhaus-Klang aufzunehmen, damit die Kinobesucher die Vorstellung so authentisch wie möglich miterleben können. Kurz vor der Vorstellung und in den zwei Pausen zwischen den Aufzügen nehmen Festspielleiterin Katharina Wagner und Moderator Axel Brüggemann die Zuschauer vor der Leinwand live mit hinter die Kulissen der Bayreuther Festspiele und gewähren spannende und einzigartige Einblicke.“

In Leipzig sind die Kinos CineStar im Petersbogen, Petersstraße 44, und Cineplex Leipzig im Allee-Center, Ludwigsburger Straße 13, an der Übertragung beteiligt.

Im TV ist die Produktion am Samstag, dem 8. August, um 20:15 Uhr auf dem Sender 3sat zu erleben.

Die Übertragung wird auch live vom Bayerischen Rundfunk gestreamt:
http://www.br.de/radio/br-klassik/themen/bayreuther-festspiele-richard-wagner100.html

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