Um die eigene Position zu hinterfragen braucht es hin und wieder Gespräche. Einfach sagen: "Das ist Mist!" kann jedermensch. Doch warum sich dieses Statement durch die logischen Beweggründe bohrt, sollte eben auch eruiert werden. Denkanstöße bietet hier, besonders beim Thema Theater in Leipzig, das Treffen von Theatervordenker und Regisseur Olav Amende mit Volly Tanner, der sich eben gern selber eine Meinung bildet. Bildet Euch doch einfach mit.

Gut, dass ich Dich treffe. Du machst doch in Theater, bist sozusagen ein Insider. Wenn ich mir so Leipzig und seine Off-Szene anschauen, dann ist das doch ein einziges Hick-Hack, ein Kindergarten der Emotionen, ein sich gegenseitig das Wasser abgraben…bin ich da dem falschen Pferd aufgesessen? Wo sind die relevanten Stücke? Und Produktionen?

Ich grüße Dich, Volly! Das ist schön, dass wir miteinander sprechen (damit berühren wir ja schon den Kern der Sache). Ich muss gleich zu Beginn sagen: Ich sehe mich längst nicht als Insider des Theaters. Dafür ist mein bisheriger Weg zu kurz; vor allem aber ist er nicht geradlinig. Und vielleicht ist das auch ganz gut so. Wer Insider ist, der läuft immer Gefahr, Outsider zu sein – für die Vielen nämlich, die nicht inside sind, die schlicht draußen bleiben. Und blöd ist es, wenn man, einem albernen Zirkusdirektor gleich, mit einer großen Geste die Türen des Saales öffnet, die Vielen “von draußen”, dazu einlädt, dem Spektakel beizuwohnen, doch mit dem, was man ihnen bietet, ihnen im Eigentlichen zeigt, dass man sie nie ein- sondern von Beginn an schon immer ausgeladen hat …

Wie lange schon bestimmt die Frage nach der Relevanz die Reden der Theater? Nicht, dass die Frage nicht wichtig wäre. Das ist sie durchaus. Aber wie viele Stücke speisen sich heutzutage genau hieraus; wie viele dieser Inszenierungen sind nichts anderes als Reflexionen metadramatischen Jammerns?

Nur, ich beziehe das nicht auf die Offszene, sondern auf das Theater im Allgemeinen und das Hickhack spiegelt sich für mich eher darin wieder, dass man es überhaupt als so wichtig erachtet, zwischen Stadttheater und sogenannter Off-Szene zu unterscheiden, was umso komischer wird, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie viele Menschen überhaupt ins Theater gehen beziehungsweise Theater machen. Man ist hier schnell ein “Insider”. Man kennt sich ja. Und am Ende sind diejenigen, die sich die Stücke anschauen, dieselben, wie die, die sie machen: Da stehen dann Spiegel auf der Bühne und wir laden uns selbst ein und aus … Aber Volly, wie siehst Du das mit der Relevanz und mit dem Tanz um Off- und Stadttheater?

Nun ja, ich persönlich ziehe da keine Linie. Ich gehe in Stücke, die mich interessieren, dies werden nur immer weniger, weißt Du. Ich denke, es ist fast unmöglich heute wirklich nachhaltiges und dabei auch subversives Theater zu machen – in der Literatur (meinem Metier), also der Texterstellung, ist es ja ähnlich. Immer dieses: Lohnt sich das? Ganz, ganz selten das: Ich mache das jetzt, weil es ein Statement ist und weil ich auf Fragen eine Lösung anbieten möchte, sie zur Diskussion stellen möchte. Der neoliberale Denkansatz hat sich in den letzten 25 Jahren durchgesetzt, dass, was kein Geld bringt oder was nichts kostet nichts wert ist. Und damit niemand die Leere in den Produktionen sieht, wird halt herumkrakeelt und gestritten. Und große Plakate & Verwertung etcpp. Es ödet mich an. Du bist aber noch jung, mein Freund, ich bin da schon etwas desillusioniert – Deine und Deiner Generation Aufgabe ist es doch, unkonventionelle Ideen einzuspeisen – auch mit den Mitteln der Kunst! Oder?

Mich zieht vielleicht der Sog an, denn ich gehe ja immer häufiger in Stücke (und schön wäre es, der stille Automatismus des Kategorisierens ließe sich einfach mal abschalten und mir gelänge es, mir Stücke völlig unvoreingenommen anzuschauen…). Das wünsche ich mir aber auch von denjenigen, die das Theater machen: dass sie sich aus dem engen Korsett befreien. Ja, die pragmatische Art zu denken hält Einzug ins Theater. Man riegelt die Labore ab und das Tageslicht dringt nicht hindurch, dafür aber der Neoliberalismus und zwar durch die Ritzen! Man gleicht also auch hier seine Wertmaßstäbe an das Geld an; je mehr Geld rausgeschmissen und dann wieder eingespielt wird, desto besser – das Theater als Geldmaschine; herrlich! Aber das betrifft wohl eher das Stadttheater, als die Freie Szene (Da haben wir sie wieder, die Unterscheidung!), denn die Freie Szene ist zwar frei, hat aber kein Geld…

Ich finde zwar, dass es nicht notwendig eine Verbindung zwischen gutem und teurem Theater geben muss. Gerade in diesen Wochen habe ich einige Sommertheaterstücke gesehen, die ganz und gar nicht aufwendig, aber großartig waren. Andererseits möchte ich aber auch nicht eine Abwärtsspirale bejahen, die dazu führt, dass nur noch eine kleine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern von ihrer Arbeit leben kann und die Allermeisten um die Zu- oder Absage ihres Förderantrages derart bangen, wie zu anderen Zeiten und woanders vor der Zensur. Oh! Da sind wir ja bereits.

Aber die neoliberale, pragmatische Art zu denken reicht noch weiter: Man will (und sieht sich dazu aufgefordert) aktuelles und subversives und nachhaltiges, also relevantes Theater zeigen. Und das ist natürlich auch richtig so, denn wir wollen ja keine Quatscherei veranstalten, geschweige denn erleben oder wenn, dann richtig. Aber versperrt man sich mit dieser Einstellung nicht schon von Beginn an den Weg?

Nun mal Butter bei die Fische, mein Freund. Wenn Kunst (auch Theater) im kapitalistischen System zum Broterwerb erstellt wird, kann sie doch nie frei sein! Oder glaubst Du tatsächlich an irgendeine Lösung? Eigentlich ist das doch alles nur Entertainment.

Das stimmt. Aber das kann nicht der Schluss sein. Die Künstler müssen mit ihrer Kunst ja irgendwie zu Fisch und Butter kommen; es sei denn, sie betrachten das, was sie tun, nur als Hobby, als Zeitvertreib, als etwas, was man halt nebenbei mal macht. Aber was, wenn man sich der Kunst eben nicht nur nebenbei widmen möchte, es einem ernst mit ihr ist? Und das Dilemma oder wenigstens der schmale Grat ist dann doch: Ich will nicht, dass meine Kunst etwas mit Kapitalismus zu tun hat, aber zu meinen, man könnte das eine vom anderen einfach so ablösen, wäre blauäugig, zumal wenn wir an den ganzen Kulturbetrieb, Kunst als Instrument der Gentrifizierung etc. denken. Das ist diese fiese Verbindung aus Kreation und Depression …

Kunst verstehe ich übrigens keinesfalls nur als Entertainment, aber ich meine zu verstehen, worauf Du zielst. Und natürlich glaube ich an eine Lösung oder sagen wir so: daran, dass die Kunst wichtig, dass sie nützlich ist. Du etwa nicht? Du gehörst doch selbst zu diesen Künstlern.

Schön zurückgespielt den Ball, junger Freund. Bei mir persönlich ist es eher so, dass da was raus muss und ich glücklicherweise nicht mehr alles machen muss, wofür es Kohle gibt. Sozusagen die Freuden des Alters. Ganz verstummen geht ja auch nicht. Ich hab nur keine Lust, reine Konsumisten in meinem Publikum zu haben, deshalb stelle ich mich gern mal quer. Wie sorgst Du dafür bei Deinen Produktionen zu verhindern, dass die Deppen Dich gut finden? Früher hat man auf die T-Shirts geschaut – heute ist aber das Deppenpotenzial, der Rassismus und all dieses undifferenzierte Alltagsirre flächendeckend. Was tust Du?

Den Ball musste ich Dir einfach zuspielen. Aber auch Deine Frage ist gut, lieber Volly. Und es ist ja so, dass man sich bei dem, was man für ein Publikum macht, sich das Gegenüber immer mitdenkt; vor allem im Theater. Hier bildet sich ja, wenigstens für eine Sekunde, eine Gemeinschaft und noch dazu eine, die sich dessen bewusst wird, die irgendwie spürt, dass ein Dialog zwischen Bühne und Publikum entsteht – zumindest möchte ich so ein Gefühl erwecken. Aber zurück zu Deiner Frage und vielleicht habe ich die Antwort schon gegeben; ich bin mir nicht sicher.

Um zu verhindern, dass man das, was ich da präsentiere, nur konsumiert oder dass es von irgendwelchen Misanthropen vereinnahmt wird, versuche ich beispielsweise, auf eine Art politisch zu sein, die nicht explizit politisch ist. Ich will tiefer ansetzen, Elementares ansprechen und ich glaube, die Sprache der Kunst ist prädestiniert dafür; mit ihr kämpft und streitet es sich freier, als auf rein sachlicher, rationaler Ebene (und es macht auch mehr Spaß) … Aber ich möchte noch mal auf die Frage zurückkommen, warum Du Kunst machst: Was ist das, das da bei Dir raus muss?

Nun ja, aufgrund meiner Geschichte ist es zuallererst das permanente Infragestellen von Autoritäten, ich denke, dass mein großes Thema das richtige Leben im falschen ist, wie Adorno einst versuchte zu postulieren. Ich möchte gern wissen was den Menschen zum Menschen macht. Und bei Dir? Was drückt?

Uns treiben wohl ähnliche Fragen um – vielleicht, weil sich so wenig tut oder im Gegenteil so vieles und derart rasant, dass es einen plötzlich überrascht, wenn sich die Dinge wiederholen … Mich beschäftigt auch die Frage, was das Menschliche im Menschen ist, beziehungsweise, was den Menschen unmenschlich macht. In diesen Monaten, Wochen, Tagen gelange ich immer wieder zum Zynismus, der für mich eine direkte Verbindung zur Dekadenz vor hundert Jahren darstellt …

Mit gewissen Erklärungsmustern will ich mich einfach nicht abfinden; insbesondere nicht, wenn gewisse Erscheinungen nur als eine Verkettung von Kausalitäten, als rein strukturelle Probleme gedeutet werden und der Mensch dahinter sich so aus der Affäre zu ziehen versucht. Das nenne ich zynisch. Mit logischen Argumenten allein, mit der Vernunft, kommt man dem nicht immer bei; ab einem gewissen Punkt stößt man dann gegen Mauern. Aber auf der Ebene der Kunst – und für mich immer häufiger auf der des Theaters – kann ich diese Mauern zerpickern. Die Kunst stellt für mich also (nicht nur, aber auch) ein Instrument dar, mit der ich mich aus der scheinbar perfekten Ordnung des Diskurses befreien kann. Ich kann den Menschen an sich auf eine ganz andere Weise ansprechen. Das fasziniert mich.

Danke Olav, für Deine Worte. Auf das mehr Menschen hinterfragen warum sie handeln wie sie handeln und wessen Leben sie wirklich leben, was wichtig ist und was nur wichtig scheint. Danke.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar