Philipp Preuss hat das Leipziger Publikum am Samstag mit einer Neudeutung der Shakespeare-Komödie "Ein Sommernachtstraum" überrascht. Umrahmt von Mendelssohns Schauspielmusik interpretiert der Hausregisseur den populären Klassiker als atmosphärisch dichten Alptraum.

Theaterfans mit schwacher Blase sind gut beraten, die Produktion zu meiden. Die Aufführung dauert knapp vier Stunden. Mehr als zweieinhalb vergehen bis zur (einzigen) Pause nach dem dritten Akt. Der Abend beginnt heiter. Vor dem Eisernen stehen die Handelnden aufgereiht. Alle tragen Pelz und sind darunter mehr oder weniger freizügig gekleidet. Wer hier zu wem (nicht) gehört, wird aus der räumlichen Positionierung der Figuren deutlich. Theseus (Andreas Keller) in der Mitte, Hippolyta (Anna Keil) links daneben. Demetrius (Felix Axel Preißler) und Hermia (Daniela Krebs) stehen rechts, Lysander (Ulrich Brandhoff) und Helena (Runa Pernoda Schäfer) links neben dem Athener Königspaar. Egeus (Markus Lerch) ist zwischen Demetrius/Hermia drapiert.

Shakespeares Wortwitz – in der Übertragung von Angela Schanelec, Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens – prallt im ersten Akt auf Preuss’sche Situationskomik. Das Publikum hat viel zu Lachen. Die Hofszene vergeht fast wie im Flug. Furios der erste Auftritt der Handwerker. Squenz (Jonas Fürstenau), Zettel (Denis Pekovic), Flaut (Sebastian Tessenow), Schnauz (Dieter Jaßlauk), Schnock (Andreas Herrmann) und Schlucker (Roman Kanonik) planen anlässlich der anstehenden Hochzeit von Theseus und Hippolyta die Aufführung der tief tragischen Komödie “Pyramus und Thisbe”. Preuss inszeniert die Szene als flapsige Probensituation. Squenz gibt den Regisseur. Klaus-Maria Zettel – eine Anspielung auf einen gewissen Herrn Brandauer – ist der übermotivierte, aber untalentierte Charakterdarsteller. Die übrigen Beteiligten haben eigentlich nicht so wirklich Lust auf die Produktion, aber man muss ja… Dank des herrlichen Zusammenspiels von Fürstenau und Pekovic erlebt der Zuschauer köstliche Spitzen, die das Zwerchfell herausfordern.

Lost in the forest. Foto: Rolf Arnold
Lost in the forest. Foto: Rolf Arnold

Fiel der erste Akt noch bildarm aus, gibt es im zweiten und dritten umso mehr zu sehen. Preuss schöpft bei der bildhaften Inszenierung des Traumwaldes aus den Vollen. Ausstatter Ramallah Aubrecht hat Laubbäume, Gehölz, Erde und einen kleinen Teich auf die sich fortwährend bewegende Drehbühne gesetzt. Licht und Nebel tauchen den Ort in eine dunkle, nihilistische Atmosphäre. Spätestens, wenn Oberon (Keller) und Titania (Keil) sich während eines erotisch aufgeladenen Streits mit unflätigster Wortwahl (“Wo bist du, Schlampe?”) bashen, ist klar, in welche Richtung sich der Traum entwickeln wird.

Philipp Preuss, der seit Jahren die Grenzen von bildender und darstellender Kunst auslotet, erweist sich als Meister visueller Effekte. Der Zuschauer erlebt in XXL-Projektion, wie Demetrius und Helena durch den Wald irren (Video: Konny Keller). Das Aufeinandertreffen von Lysander und Hermia untersetzt der Regisseur mit einer Kamerafahrt im grünlich schimmernden Nachtmodus über den Waldboden. Blair Witch Project lässt grüßen. Den magischen Zaubersaft deutet Preuss visuell als literweise Theaterblut, das Puck (Lerch), der als ständiger Beobachter von Bild zu Bild hüpft, seinen Opfern über das Gesicht schütten darf. Auch diese Szenen werden mittels Kamera auf einen transparenten Vorhang vor dem Bühnenraum projiziert. Schauspielerisch zählt Markus Lerch angesichts seines präsenten Spiels bei wenig Textanteil zu den Gewinnern des Abends. Tonkünstler Kornelius Heidebrecht untermalt die Waldszenen mit einem synthetischen Klangteppich aus betont dunklen Geräuschen. Die Gesamtatmosphäre sorgt für eine knisternde Spannung, die sich durch die gesamte Waldsequenz hindurch zieht.

Sinnliches Highlight ist aber Mendelssohns bekannte Schauspielmusik, die von einem zehnköpfigen Kammerensemble dargeboten wird. Neun Bläser und ein Kontrabassist, die meisten von ihnen Musiker des Gewandhausorchesters, sitzen in einem kleinen Orchestergraben vor der Bühne. Die romantischen Melodien aus dem 19. Jahrhundert, allen voran der Hochzeitsmarsch, bilden den Kontrast zu der postmodernden Visualisierung, der Preuss den Stoff unterzogen hat. Sein Sommernachtstraum ist für die Träumenden ein psychologischer Alptraum, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Wer hier eigentlich wen liebt und wen nicht, ist im Traum-Finale gleichgültig geworden. Puck überschüttet Demetrius, Lysander, Hermia und Helena mit Blut und Fäkalien, in denen sich das splitternackte Quartett sodann ausgiebig einem erotischen Gruppengelage hingibt.

Vor dem Eisernen stehen die Handelnden aufgereiht. Foto: Rolf Arnold
Vor dem Eisernen stehen die Handelnden aufgereiht. Foto: Rolf Arnold

Im zweiten Teil des Werks hat Preuss deutliche Kürzungen vorgenommen. Der Zuschauer ist jetzt Teil des Spiels im Spiel. Die Handwerker führen – wieder vor dem geschlossenen Eisernen – in goldig-glitzernder Glamour-Ästhetik ihr Stück vor. Natürlich geht die Aufführung vollends in die Hose. Das Publikum hat zu fortgeschrittener Stunde wieder allerhand zu lachen. Die Szene ist witzig anzusehen, entschärft aber ein ganzes Stück die Bilderwucht, mit der Preuss zuvor das Publikum konfrontiert hat. Vielleicht eine versöhnliche Geste in Richtung der orthodoxen Shakespearianer im Saal. Vermutlich wäre der Abend auch ganz ohne die Handwerker ausgekommen. Die Hochzeitsfeier am Athener Hof fällt dagegen aus. Das Premierenpublikum war in Anbetracht der alptraumhaften Überzeichnung und der einschneidenden Eingriffe in den Text tief gespalten. Einigkeit herrschte lediglich ob der exzellenten Darbietung der Musiker, die mit tosendem Beifall bedacht wurden.

Nächste Termine: 20.9., 26.9., 25.10., 21.11.

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