Der Stoff zählt zu den großen Klassikern der Jugendliteratur. Regisseurin Milena Paulovics hat im Theater der Jungen Welt Michael Endes Roman "Momo" auf der Bühne lebendig werden lassen. Das Premierenpublikum ließ sich von der Parabel über das kleine Mädchen, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbringt, verzaubern.

Das Publikum blickt im offenen Bühnenraum auf zwei stilisierte Hochhäuser und eine Menge Pappkartons. Paulovics braucht nicht die vielseitige Theatertechnik, wie man sie auf großen Bühnen vorfindet, um die bekannte Fantasygeschichte zu erzählen. Der Regisseurin und ihrem Ausstatter Mathias Rümmler genügen minimalistische Mittel, um Endes visionäre Gedankenwelten auf die Bühne zu übersetzen. Nebel, Videoprojektionen, Licht, zwei bewegliche, mannshohe Boxen und Michael Rodachs Soundinstallation reichen aus, um das Publikum Momo durch die anonyme Großstadt folgen zu lassen.

Vita Hubers Textfassung jagt im Schweinsgalopp durch den 300-Seiten-Wälzer. Der Rote Faden orientiert sich an den wesentlichen Stationen auf Momos abenteuerlicher Reise, an deren Ende der Sieg gegen die Grauen Herren steht. Paulovics übersetzt den Roman, der 43 Jahre auf dem Buckel und dessen Quintessenz an Strahlkraft über die Jahrzehnte hinweg nichts verloren hat, in einer kindgerechten Lesart in unsere heutige Zeit. Ninos Schnellrestaurant ist natürlich ein McDonalds. Die Puppen Bibigirl und Bubiboy sind lebendig gewordene Ebenbilder von Barbie und Ken. Und Träumer Gigi wird kein berühmter Geschichtenerzähler, sondern Popstar.

Bibigirl (Katja Göhler) und Bubiboy (Martin Klemm) ähneln auffällig Barbie und Ken. Foto: Tom Schulze
Bibigirl (Katja Göhler) und Bubiboy (Martin Klemm) ähneln auffällig Barbie und Ken. Foto: Tom Schulze

Milena Paulovics erzählt die Geschichte so figurativ wie ein Kindermärchen sein muss. Schnell ist klar, wer Gut und wer Böse ist. Das Publikum taucht schnell in Endes Romanwelt ein. Die zeitphilosophischen Ideen des Kinderbuchautors kommen in der handlungsorientierten Bühnenfassung allerdings ein wenig zu kurz. Das ist in Anbetracht der jungen Zielgruppe völlig okay. Momo ist in Paulovics Interpretation eine reichlich naive Außenseiterin. Elisabeth Fues verkörpert die Rolle auf eine sehr kindgerechte Weise, so dass sich die jungen Zuschauer sofort mit der Figur identifizieren können. Die Grauen Herren erscheinen als schnöselige Sparkassenbanker. Stilecht im grauen Anzug, mit grauen Perücken und Zigarren. Wer so auftritt, kann nichts Gutes im Schilde führen.

Die Grauen Herren haben die gestohlene Zeit in einem Tresor deponiert. Foto: Tom Schulze
Die Grauen Herren haben die gestohlene Zeit in einem Tresor deponiert. Foto: Tom Schulze

Endes Figurenreichtum sprengt schnell die Grenzen des schmalen TdJW-Ensembles. Zehn Schauspieler verkörpern insgesamt 24 Rollen. Neben Fues stechen Sonia Abril Romero als Schildkröte Kassiopeia und Sven Reese als Anführer der Grauen Herren besonders hervor. Neben einer starken Ensemble-Leistung ist es Paulovics’ Einfallsreichtum, mittels dessen in dieser Inszenierung mit verhältnismäßig kleinen Mitteln Großes erreicht wird. Das Premierenpublikum war nach zwei Stunden Theater hellauf begeistert und spendete Darstellern und Team reichlich Applaus.

Theater der Jungen Welt
Momo
Michael Ende (Bearbeitung: Vita Huber)

Nächste Termine: 2./3./5. Oktober

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