Es ist Leibniz-Jahr - und was spielt man da im Theater? Natürlich den „Candide“, frei nach Voltaire, beschlossen die Cammerspiele. Denn über den Philosophen Leibniz würden heute nicht wirklich viele Leute reden, hätte Voltaire nicht 1757 unter dem Pseudonym Docteur Ralph seine geniale Persiflage auf die beste aller möglichen Welten veröffentlicht.

Leibniz hat davon ja nichts mehr mitbekommen. Er ist ja 1716 gestorben, was ja in diesem Jahr den Grund dafür gibt, dass Akademien und Leibniz-Städte so ein bisschen zu feiern versuchen. Leipzig ist ja nun einmal auch Leibniz-Stadt, hier wurde das Mathematik-Genie Gottfried Wilhelm Leibniz 1646 geboren, hier besuchte er die Nikolaischule, studierte Jura an der Uni Leipzig und wanderte dann in die Welt hinaus, als er hier seinen Doktorhut mit 20 Jahren nicht bekam. Da war er den Leipziger Professoren einfach zu schnell.

Das Problem an Leibniz’ Versuch, philosophisch die Frage zu klären, ob wir nun in der besten aller möglichen Welten leben, ist die Unbekannte, die er in seine logische Konstruktion eingebaut hat: Sie funktioniert nur mit Gott. Denn wenn man einen vollkommenen Gott annimmt (und welcher Gläubige wagte es, an der Vollkommenheit seines Gottes zu zweifeln?), dann muss die Welt, die dieser Gott schafft, logischerweise eine vollkommene sein – oder (man merkt, dass Leibniz selbst so seine unterdrückten Zweifel hatte, auch wenn er seine Welt doch irgendwie als „Welt im Progress“ sah, was ohne ein paar kleine Übel nicht abgeht) zumindest die beste aller möglichen Welten.

Cammerspiele: Candide oder Die letzte aller möglichen Welten. Foto: Dorothea Wagner
Cammerspiele: Candide oder Die letzte aller möglichen Welten. Foto: Dorothea Wagner

Wobei es auch die Philosophen gibt, die sich die Sache gar nicht so penibel schwer machen und sagen: Dann hat Gott eben alle möglichen Welten geschaffen. Wer fragt da federfuchserisch nach, ob eine besser ist als die andere?

Leibniz aber war an dieser Stelle – etwas, was man gern Voltaire unterstellt – ein ganz bürokratischer Pessimist: Er hat einfach postuliert, Gott habe nur die eine, die beste aller möglichen Welten geschaffen. Alles sei fein und akkurat aufeinander abgestimmt. Quasi wie in einer fein gebauten Maschine, die so lange schnurrt und klickert, wie alles akkurat aufeinander abgestimmt bleibt. Den Zustand nannte er „prästabilisierte Harmonie“. Man merkt: Mit Evolution hätte man ihm da nur bedingt kommen dürfen.

Das dürfte Voltaire ziemlich fuchsteufelswild gemacht haben, als er sich mit Leibniz beschäftigte. Vielleicht hat er sich auch gedacht: Das ist typisch deutsch.

Diese Welt-Konstruktion taucht dann übrigens später bei Hegel wieder auf, über den sich Heine aufregte. Denn Hegel brachte das Kunststück fertig, sogar Preußen zum besten aller möglichen Staaten zu erklären. Deutsche Geistesakrobaten sind zu echten Kunststücken fähig, wenn man sie in ihren Elfenbeintürmen allein lässt.

Aber nicht viele Leute haben darüber nachgedacht, warum der berühmte Voltaire, der ja nun einmal auch von der Berühmtheit seines Namens lebte, ausgerechnet den „Candide“ unter Pseudonym veröffentlichte. 1757.

1757 war das Jahr, in dem der berühmte Satiriker sich mit dem berühmtesten und gefährlichsten seiner Freunde wieder versöhnte: Friedrich II. von Preußen. Bei dem war Voltaire bekanntlich von 1750 bis 1753 zu Gast gewesen. Was man so Gast sein bei so einem König nennt. Der große Friedrich ließ seinen französischen Hausphilosophen zuweilen recht unverblümt wissen, wer hier der Herr war am Hofe. 1753 verließ Voltaire dann sehr überstürzt die königliche Gastfreundschaft und es kam zum berühmten Frankfurter Eklat, wo Friedrich ihn durch seine Handlager spüren ließ, wie weit seine Macht reichte.

Die Verstimmung hielt bis 1757 an. Und steckt zu großen Teilen im „Candide“, der zuallererst keine Leibniz-Kritik ist (der kriegt mit seinen ganzen „ausreichenden Gründen“ so ganz nebenbei sein Fett weg), sondern eine Kritik an machtbesessenen Typen wie Friedrich. Denn der ließ nicht nur seine Höflinge spüren, wer in Preußen den Dreispitz aufhatte, sondern auch seine Nachbarn und politischen Gegenspieler. Und das war 1757 hochaktuell. Erst im Jahr zuvor (als sich Voltaire wohl hinsetzte, um den „Candide“ zu schreiben), hatte Friedrich den Siebenjährigen Krieg vom Zaun gebrochen (von dem noch keiner wusste, dass er sieben Jahre dauern würde). Es war irgendwie aber auch wie 1914: Die anderen Kriegsspieler hatten ebenso mitgezündelt und ihre Allianzen geschmiedet. Der französische König hatte sich mit dem Kaiser in Österreich zusammengetan – gegen den Preußen. Es ging um Schlesien irgendwie, aber auch um das Kräftegleichgewicht auf dem Kontinent (nichts da mit: prästabilisierte Harmonie). Die Franzosen wollten England kleinkriegen, Friedrich wollte die Habsburger ärgern – und marschierte 1756 einfach in Sachsen ein, ein Fall, der auch im Deutschen Reich offiziell als Landfriedensbruch galt. Was Friedrich nicht daran hinderte, Sachsen sieben Jahre lang auszuplündern und in Leipzig seine Kriegskasse zu füllen.

Cammerspiele: Candide oder Die letzte aller möglichen Welten. Plakat: Matthi Vandersee
Cammerspiele: Candide oder Die letzte aller möglichen Welten. Plakat: Matthi Vandersee

Und – was für Voltaire zum wichtigen Thema wird: Er presste reihenweise Soldaten, versuchte auch die sächsische Armee in seine Dienste zu pressen. Aber nach der Schlacht bei Lobositz desertierten die sächsischen Soldaten scharenweise. So wie Candide nach einer Schlacht im Dienste des weltberühmten Königs von Bulgarien schleunigst flieht. Bulgarien. Na klar. Wenn man da flieht, landet man natürlich – wie Candide – ganz unverhofft in den Niederlanden. Wer’s glaubt, muss ein Preuße sein.

Die Story ist eigentlich klar: Während Candides alter Lehrer Pangloß immerfort voller Freude ist, dass sich in der besten aller Welten doch immer wieder alles zum besten fügt, freut sich Candide darüber, dass er irgendwie doch immer noch mit heiler Haut aus dem Schlamassel kommt. Aber dass er in der besten aller möglichen Welten lebt, kann er nach den ganzen Schlachtereien und Mordbrennereien ganz bestimmt nicht glauben. Im Gegenteil: Was er erlebt, beweist ihm, dass Habgier und Bosheit die Triebkräfte der Menschen sind.

Haben wir schon erwähnt, dass es ein verflixt modernes Buch ist und auch heute noch lesenswert?

Oder spielenswert.

Und damit sind wir bei den Cammerspielen, die den Candide aus gutem Grund im Leibniz-Jahr auf ihren Spielplan gesetzt haben.

„Das Leben ist das pure Glück! Man sollte den ganzen Tag nur tanzen!“, so erscheint es zumindest Candide noch ganz zu Anfang auf Gut Thunder-then-tronck, der besten aller möglichen Welten. „Doch schnell muss der naive und illegitime Neffe des Barons feststellen, dass das Leben nicht nur einfach ist. Der Krieg überrollt das Schloss, die Hofgesellschaft wird zerhackt und Candide muss fliehen“, machen die Cammerspiele neugierig auf das Stück. (Bei Voltaire muss Candide zuerst fliehen, weil er mit der Tochter des Barons hinterm Vorhang knutscht. Erst später erfährt er von Pangloß, dass die Schöne von den Soldaten des Königs erst vergewaltigt und dann zerhackt wurde. Warum kommt einem das nur so verflixt gegenwärtig vor?)

Mit dem Drama in der umkriegten Provinz beginnt für Candide in diesem Stück in der Textfassung von Rico Dietzmeyer und Sina Neueder (etwas anders als bei Voltaire) eine abenteuerliche Reise durch die unterschiedlichsten Utopien und Vorstellungen von Glückseligkeit. An seiner Seite, wenn auch widerwillig, sein Diener Cacambo, der das alles ganz anders sieht.

Das diesjährige Sommertheater verdreht – wie man sieht – die satirische Novelle von Docteur Ralph alias Voltaire und stellt die Frage in den Raum, ob das absurde Ineinander aktueller wie vergangener Lebensphilosophien Ursache dafür sein könnte, dass unsere vielleicht die letzte aller möglichen Welten ist.

Die Bearbeitung von Dietzmeyer/Neueder bricht deshalb mit der sarkastischen Brutalität der Vorlage und schöpft das komödiantische und rhythmische Potenzial von Candides grotesker Reise nach Eldorado aus. Ein spielerisches Abenteuer durch vier Weltbilder, getragen von der musikalischen Umsetzung des Leipziger Popmusikers LOT.

Es spielen: Lola Dockhorn, Anuschka Jokisch, Philipp Nerlich, Eric Schellenberger, Christian Strobl, Marie Wolff & Karsten Zahn. Spielleitung und Projektleitung: Rico Dietzmeyer und Dorothea Wagner. Bühne und Ausstattung: Lisa-Maria Totzke. Kostüme: Henrike Katharina Fischer. Dramaturgie: Sina Neueder. Assistenz: Martin Philipp Graf. Musik: Lothar Hansen (LOT)

Premiere für diese Sommerinszenierung der Cammerspiele ist am Mittwoch, 20. Juli, um 19:30 Uhr in der galerie KUB in der Kantstraße 18.

Weitere Termine: 21.-23. Juli, 27.-30. Juli, 3.- 6. August, 12.-13. August 2016 – jeweils 19:30 Uhr in der galerie KUB.

Ticketreservierungen: Tel. (0341) 30 67 606 oder cammer@cammerspiele.de

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