„Die Entführung aus dem Serail“ gilt unter Mozartfans gemeinhin als heiteres Werk. Dietrich W. Hilsdorf inszenierte den Klassiker 2006 in Leipzig als knisternden Opernthriller. Nach mehrjähriger Pause steht die spannende Inszenierung seit Sonntag wieder auf dem Spielplan.

Mozarts „Entführung“ einmal anders. Dietrich W. Hilsdorf verlagert die Handlung aus der Türkei in ein fiktionales Wien, das 1782 – dem Entstehungsjahr der Oper – von Bassam Selim (Jonas Fürstenau) und seinen Soldaten besetzt ist. Im Fokus der Inszenierung liegt die omnipräsente Gewalt.

Während das Gewandhausorchester die Ouvertüre spielt, bekommt das Publikum eine Beinahe-Hinrichtung zu sehen. Konstanze (Eleonore Marguerre) kann den Mord abwenden, indem sie zum Gift greift und ihr Schicksal den Osmanen überlässt.

Im Mikrokosmos eines galanten Speisesaals, der bei der Eroberung Wiens einigen Schaden genommen hat, entwickelt sich nun ein psychologisch dichtes Kammerspiel. Belmonte (Sergei Pisarev) möchte seine Konstanze aus Selims Fängen retten, Selim ist untröstlich in Konstanze verliebt, Konstanze kann dem grausamen Herrscher nichts abgewinnen.

Der sadistische Diener Osmin (Rúni Brattaberg) ergötzt sich an Gewaltexzessen gegen die Wiener Zivilbevölkerung, nachdem er sich von Konstanzes Freundin Blonde (Danae Kontora) eine eiskalte Abfuhr eingehandelt hat. Pedrillo (Dan Karlström) unterstützt Belmonte tatkräftig bei der Planung der Befreiungsaktion, kann aber nicht verhindern, dass die Flüchtigen entdeckt werden.

Das Bemerkenswerte an Hilsdorfs tiefenpsychologischer Deutung des Stoffs ist ihre Zeitlosigkeit. Der Regisseur wirft vor dem Hintergrund von Mozarts humanistischen Aussagen, die sich in der „Entführung“ in der Figur des Bassa Selim widerspiegeln, die philosophische Frage auf, inwiefern Krieg und Unterdrückung überhaupt Anflüge von Menschlichkeit zulassen? Seine Antwort: Ja, wenn die Menschen trotz aller Barbarei auf ihr Herz hören. Bassa Selim lässt Gnade vor Recht ergehen. Osmin, der auf blutige Rache gesinnt hat, wird – anders als im Libretto – standrechtlich erschossen.

Von den Solisten überzeugte bei der Wiederaufnahme vor allem Eleonore Marguerre, die die tonalen Bögen der Konstanze-Partie emotional aufgeladen interpretierte und auch die anspruchsvollen Koloraturen souverän meisterte. Sergei Pisarevs zart dahinschmelzender Tenor war wieder einmal ein Fest für die Ohren. Rúni Brattabergs sonorer Bass verstärkte die boshafte Wirkung, die Hilsdorf dem Osmin zugeschrieben hatte.

Die stärkste Performance bot ausgerechnet Jonas Fürstenau, der normalerweise auf der Schauspielbühne beheimatet ist. Der Schauspieler sorgte im Zuschauersaal für Eiseskälte, indem er den Bassa Selim als einen jungen, ungestümen Psychopathen in der Tradition deutscher Sturm-und-Drang-Rollen wie Schillers Karl Moor interpretierte.

Anthony Bramall sorgte am Pult leider nicht in allen Momenten für die passende Balance zwischen Solisten und Orchester, so dass manche Arien nur schwer verständlich bei den Zuhörern ankamen. Ein kleines Manko bei einer ansonsten gelungenen Wiederaufnahme.

Oper Leipzig
Die Entführung aus dem Serail
W.A. Mozart

Nächste Termine: 27.01., 10.02., 02.06.

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