Der Kerl war ein Widerspruch. Schon immer. Ein Aufschneider, der seine brave bürgerliche Umwelt nicht ernst nimmt. Und nicht vorsorgt, indem er seine materiellen Verhältnisse klärt. Logisch, dass dieser Peer Gynt schon bei seinen ersten Auftritten für Verstörungen sorgte. Man kommt doch nicht weit, wenn man nicht erst mal für Sicherheit sorgt, oder? Gute Frage für den 28. Januar. Dann ist Premiere im Schauspiel.

 

„Peer Gynt erzählt, und er ist bekannt für seine unerschöpflichen Geschichten, die die Anderen zum Staunen bringen. In einer Dorfgemeinschaft, die nur Spott für ihn übrig hat, gerät er ins Träumen über all das, was er sein könnte. Dieser Peer Gynt ist ein Außenseiter und ein Phantast. Er verpasst die Chance, reich zu heiraten, sich selbst und seine Mutter abzusichern, doch gleichermaßen weiß er, dass Größeres auf ihn wartet“, beschreibt das Schauspiel den Burschen, den Regisseur Philipp Preuss nun wieder auf die Bühne holt.

Ist das vielleicht eine Type von heute? Oder gibt es solche Kerle nicht mehr, weil Anpassung oberste Berufsstarterpflicht ist?

„Er lässt sich verführen von jeder Zerstreuung, der nächsten Schlägerei, von seinen Gedanken, die ihn sich als Kaiser sehen lassen, als einen, der Großes vollbringt. Taumelnd geht er diesem Bild nach. Er wird zum Verführer, der nach seinem lächerlichen Auftritt bei der Hochzeitsgesellschaft die Braut raubt und anschließend vogelfrei ins Reich der Trolle flieht, um dort das erstbeste Mädchen zu schwängern.“

Klingt schlimm. Nach diesem lustsuchenden Baal, der das Maul nicht voll genug bekommt. Der aber dieselbe Frage an sein Leben gestellt hat: Worum geht es eigentlich? Was will ich wirklich? Was macht das Leben erst wirklich greifbar?

Andere gehen da bis zum Exzess. Dieser Peer aber sucht seinen eigenen Weg, auch wenn es keiner von den ausgetrampelten Wegen ist, die alle für normal halten. Da weicht man doch nicht ab und latscht in unbekannte Gefilde. Ein höchst gefährlicher Weg. Aber wovor will Autor Ibsen da warnen?

„Es ist aber auch Peer Gynt, der sich in Solveig verliebt, ihr ein Haus baut. Der Gleiche, der nicht ankommen will, der sich nicht für einen Weg entscheidet. Er füllt sich an mit Identität, getrieben von der Sehnsucht, jemand sein zu können, für sich und für die Anderen. Er reist um die Welt, arbeitet als Reeder in Amerika, wird zum Propheten, zum Kaiser der Selbstsucht und kommt seinem Ich trotzdem nicht näher. Gleich wie vom Duft der modernden Zwiebel, Haut um Haut, ist er betäubt, gerät in einen Wahn, der nicht mehr offenbart, was Realität oder Fiktion ist, was Gedankenvergehen oder utopischer Entwurf des gyntschen Ichs ist. Es ist eine ekstatische Flucht, angetrieben vom beständigen Scheitern der Lüge und der Angst, in der eigenen Erfindung verloren zu gehen – sein Dasein eine hohle Form, die am Ende nur dazu taugt, eingeschmolzen zu werden. Es ist der Peer Gynt, der zu seinem eigenen Abgrund wird.“

Alles klar?

Manche mögen Ibsen, weil sie damit glauben, das moderne Ich begreifen zu können. Und aushaltbar ist der Kerl ja am Ende auch nicht.

Aber die Alternative ist genauso wenig aushaltbar. Wer nicht mal sein eigenes Ich sucht – ist der ein besserer Mensch? Oder ist die Frage, die Ibsen stellt, falsch gestellt? Oder ist die Antwort falsch? Muss man scheitern, wenn man das Unmögliche versucht?

Zumindest eins ist klar: Wenn keiner losgeht, bleibt alles beim Alten. Es soll Leute geben, die wollen es genau so.

Zeit zum Nachdenken also am 28. Januar.

Seit der Spielzeit 2015/16 ist Philipp Preuss Hausregisseur am Schauspiel Leipzig. Nach den Erfolgen von „Der Reigen oder Vivre sa vie“ und „Wolokolamsker Chaussee I-V“ sowie „Ein Sommernachtstraum“ (2015) inszeniert er erneut für die Große Bühne. Der Musiker Kornelius Heidebrecht, der schon bei der Inszenierung „Ein Sommernachtstraum“ die musikalische Leitung übernahm, entwirft für „Peer Gynt“ eine eigene Komposition, die von ihm live auf der Bühne mit Opernsängerinnen umgesetzt werden wird.

Mit: Timo Fakhravar, Dieter Jaßlauk, Andreas Keller, Markus Lerch, Denis Petković, Felix Axel Preißler, Florian Steffens und den Opernsängerinnen Joanne D’Mello, Fanny Lustaud, Amanda Martikainen und Hiltrud Kuhlmann

Regie: Philipp Preuss, Bühne & Kostüme: Ramallah Aubrecht, Musik: Kornelius Heidebrecht, Video: Konny Keller

Premiere ist am Samstag, 28. Januar, um 19:30 Uhr auf der Großen Bühne im Schauspielhaus. Weitere Vorstellungen am 4. und 25. Februar, jeweils 19:30 Uhr.

In eigener Sache: Für freien Journalismus aus und in Leipzig suchen wir Freikäufer

https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/11/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar