Das Theater der Jungen Welt widmet sich einem fast vergessenen Kapitel deutscher Fußballgeschichte. Das Auftragswerk „Juller“ aus der Feder von Jörg Menke-Peitzmeyer beleuchtet das Schicksal des deutsch-jüdischen Nationalspielers Julius Hirsch (1892 – 1945), der von den Nazis im KZ Auschwitz ermordet wurde.

„Politik hat im Sport nichts zu suchen“, lässt Regisseur Jürgen Zielinski einen der fünf Schauspieler mit bierseligem Unterton in den Saal posaunen. Die Losung fasst kurz und bündig die (nicht stattgefundene) Erinnerungspolitik zusammen, wie sie der DFB jahrzehntelang betrieben hat. Erst kurz vor der WM im eigenen Land besann sich der Verband seiner historischen Verantwortung.

Seit 2005 werden mit dem Julius-Hirsch-Preis alljährlich engagierte Initiativen, Projekte und Vereine aus dem Umfeld des Fußballs für ihr Engagement gegen Rassismus und Diskriminierung ausgezeichnet. Das TdJW profitiert ebenfalls von dem Engagement des Verbands. Die DFB-Kulturstiftung fördert in der kommenden Spielzeit eine Tournee der Produktion durch zehn Bundesligastädte. Die Details sind noch in Planung.

Dieser Linksaußen spielt jetzt immer. Foto: Tom Schulze
Dieser Linksaußen spielt jetzt immer. Foto: Tom Schulze

„Juller“ hangelt sich binnen eineinhalb Stunden lose an den wichtigsten Stationen im Leben des Protagonisten (gespielt von Philipp Oehme) entlang. Julius Hirsch entdeckt als Kleinkind auf der Karlsruher Engländerwiese seine Liebe zum runden Leder. Mit dem Karlsruher FV wird er 1910 Deutscher Meister. Im Trikot der Nationalmannschaft schießt er 1912 gegen die Niederlande vier Tore. Hirsch verliebt sich in Ella, mit der er zwei Kinder haben wird. Für sein Vaterland zieht der Fußballstar 1914 in den Krieg. Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 verkennt Hirsch die Zeichen der Zeit. Späte Versuche, dem Grauen der Nazis zu entkommen, scheitern. 1943 wird Hirsch nach Auschwitz deportiert und vermutlich direkt nach der Ankunft ermordet. Sieben Jahre später wird er rückwirkend zum 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Zielinski erzählt Hirsch‘ Schicksal auf der kleinen TdJW-Bühne mit simplen Mitteln. Das Bühnenbild besteht im Wesentlichen aus einer multifunktionalen Rückwand. Davor einige Wellenbrecher und Schalensitze. Den Rest erledigen Requisiten, Licht und Ton. Philipp Oehme ist als Julius Hirsch auf der Bühne in nahezu jeder Szene präsent. Sven Reese, Martin Klemm, Sonia Abril Romero und Laura Hempel verkörpern die übrigen 28 Figuren, die Menke-Peitzmeyers einfach gestrickter Bühnentext kennt.

Trotz des ernsten Sujets ist „Juller“ ein heiteres Stück. Menke-Peitzmeyer lässt Hirsch gemeinsam mit seinen sportlichen Weggefährten Gottfried Fuchs (Sven Reese) und Fritz Förderer (Martin Klemm) retrospektiv aus dem Paradies – von der Bühnenwand herab – aus heutiger Perspektive in launigen Dialogen das Zeitgeschehen kommentieren. Zielinski setzt zusätzlich viel Musik ein, um nicht im elendigen Dialoggewitter zu landen. Laura Hempel darf mit ihrer geschulten Sopranstimme die Zuschauer mit zeitgenössischen Chansons und der Fußballhymne schlechthin, „You’ll never walk alone“, unterhalten.  Doch spätestens, als sich Hirschs unausweichliches Schicksal abzeichnet, kullern bei manchem Zuschauer die Tränen.

Alles in allem ist die Produktion ein gelungener Beitrag zur Erinnerung an ein dunkles Kapitel des deutschen Fußballs. Dem TdJW ist zu wünschen, dass die geplante Bundesligatour so erfolgreich verläuft wie die Premiere am vergangenen Samstag.

Theater der Jungen Welt
Juller
Jörg Menke-Peitzmeyer

Nächste Termine: 5.5., 23.5., 8.6.

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