Im Prozess um die "Herrenlosen Grundstücke" ist am Donnerstag die Anklage verlesen worden. Die Staatsanwaltschaft wirft drei ehemaligen Mitarbeitern des Rechtsamts und einer Rechtsanwältin Untreue vor. Die frühere Amtschefin Gesa D. (48) und ihr Assistent Torsten M. (60) müssen sich auch wegen Betrugs verantworten.

Schon nach kurzer Zeit wird die kommunalpolitische Dimension des Verfahrens deutlich. Der Vorsitzende, Rüdiger Harr, sah sich schon im Zwischenverfahren genötigt, Richterkollegen und Verfahrensbeteiligte auf seine SPD-Mitgliedschaft hinzuweisen, da auch Boysen-Tilly dieser Partei angehörte. Dass Berichterstatterin Andrea Niermann künftig für die CDU im Stadtrat sitzt, finden ein paar Verschwörungstheoretiker im Publikum anstößig. Und im Publikum hat neben Mitarbeitern der Stadtverwaltung der Leipziger FDP-Fraktionsvize René Hobusch Platz genommen, der sich persönlich ein Bild von den Missständen machen möchte, die im Rechtsamt geherrscht haben müssen

Die Anklage gliedert sich in drei Tatkomplexe. Für fünf Grundstücke soll Torsten M. gesetzliche Vertreter bestallt haben, die deren Verkauf an Investoren teils erheblich unter Wert abwickelten. Zuvor soll die Behörde keine oder nur unzureichende Recherchen nach den wahren Eigentümern angestellt haben. Amtschefin Gesa D., Stellvertreterin Marita H. (42) und D.’s Vorgängerin Heide Boysen-Tilly billigten die fragwürdigen Deals.

Die Verkaufserlöse wurden in 43 Fällen auf einem Anderkonto der Stadt geparkt und an die Berechtigten oder deren Erben ausgezahlt. Allerdings ohne angefallene Zinsen. Schaden: 136.000 Euro. Amtsleiterin Gesa D. soll in einem Fall der Anwältin einer Erbengemeinschaft sogar wider besseren Wissens mitgeteilt haben, dass Verwahrerlöse nicht verzinst werden. Torsten M. soll in 173 Fällen gegenüber Antragstellern keine Gebühren für die Bestallung eines gesetzlichen Vertreters erhoben haben. Der Stadtkasse sollen deshalb mindestens 21.625 Euro fehlen.

Die vier Angeklagten sind sich keiner Schuld bewusst. “Die Verteidigung erstrebt einen Freispruch”, kündigt Verteidigerin Gesine Reisert nach Verlesung des Anklagesatzes an. Gesa D.’s Anwältin glaubt, dass der Staatsanwaltschaft der Beweis der schweren Vorwürfe nicht gelingen wird. Die frühere Amtschefin macht von ihrem Recht zu Schweigen Gebrauch. Ebenso Marita H. meint, als gesetzliche Vertreterin ihren Verpflichtungen vollumfänglich nachgekommen zu sein.
Torsten M. lässt von seinem Rechtsbeistand eine Erklärung verlesen. Er sei 1995 bei der Gemeinde Liebertwolkwitz eingestellt worden. Nach der Eingemeindung wechselte er im Januar 2000 ins Leipziger Rechtsamt. Eine besondere Qualifikation für den Job hatte er freilich nicht. Das Jura-Examen benötigte man Anfang der 2000er offenbar nicht, um in der ostdeutschen Großstadt Leipzig eigenverantwortlich mit komplexen juristischen Sachverhalten, etwa der Veräußerung brachliegender Häuser und Grundstücke, betraut zu werden. “Rechtliche Bewertungen hatte ich nicht vorzunehmen”, liest Verteidiger Hagen Karisch vom Blatt ab. Und: “Eine durchstrukturierte Arbeitsanweisung zur Bestallung eines gesetzlichen Vertreters bestand nicht”.

Anders ausgedrückt: Ohne juristisches Fachwissen sah sich Torsten M. offensichtlich mit einer Tätigkeit konfrontiert, für die er weder ausgebildet noch in welcher er ausreichend angeleitet worden war. Natürlich seien “angemessene” Nachforschungen nach den Eigentümern durchgeführt worden. Aber klare Dienstanweisungen? Die gab es ebenso wenig wie gut dokumentierte Arbeitsabläufe.

Das Gericht hat als ersten Zeugen Michael H. (57) geladen. Der Leiter des städtischen Rechnungsprüfungsamtes stellt dem Rechtsamtsmitarbeiter ein miserables Zeugnis aus. Seine Behörde hatte für einen ersten Prüfbericht nach Bekanntwerden des Skandals 754 Akten begutachtet. “Wahrscheinlich die größte Prüfung unserer Geschichte”, so der Amtsleiter. Die Aktenführung sei katastrophal gewesen. “Was wir da gemacht haben, war fast ‘ne archäologische Ausgrabung”, gibt er zu Protokoll. Heftsysteme, Inhaltsverzeichnisse und Übersichten fehlten. “Ich glaube nicht, dass da einer durchgesehen hat.”

Die Arbeit ging weit über den Umfang einer gewöhnlichen Haushaltsprüfung hinaus und wurde schließlich in das Sonderprojekt “Gesetzliche Vertretung” überführt, welches im Geschäftsbereich von OBM Burkhard Jung (SPD) angesiedelt ist. Der Rechnungsprüfer schätzt, dass die Arbeit frühestens Ende 2015 abgeschlossen sein wird.

“Wir haben keine Korruption festgestellt”, berichtet H. Das war dann aber auch die einzige gute Nachricht. Hinsichtlich der Grundstücke stieß das Amt auf Fälle, in denen die Bestallung des gesetzlichen Vertreters nicht ausreichend begründet war. In manchen Akten fanden sich Hinweise auf unzureichende Recherchen nach den Eigentümern, in anderen Fällen wurde nach Aktenlage gar nicht nachgeforscht. In wieder anderen Fällen erfolgte nach Bekanntwerden der Eigentümer der Widerruf der Bestallung zu spät. Eine wirkliche Erklärung für all das habe man nicht.

Hinsichtlich der Auszahlung von Zinsen gingen die Meinungen von Rechts- und Rechnungsprüfungsamt schon 1999 auseinander. “Wir haben schon 1999 angeregt zu prüfen, inwieweit Zinsen den Grundstücken zuzuführen sind”, so H. “Das wurde vom Rechtsamt immer mit sehr abenteuerlichen Begründungen abgelehnt.”

Der Prozess wird fortgesetzt.

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