Amtsrichterin Claudia Webers wird sich am Mittwochnachmittag gefragt haben, warum sie diesen Fall überhaupt verhandeln muss: Michael P. (30) war angeklagt seine Nachbarin, ihren Freund und deren Kinder beleidigt zu haben. Dabei soll mehrmals das Unwort „Kanake“ gefallen sein. Vor Gericht entpuppte sich die Situation als eine schwierige Gemengelage zwischen zweier Familien, die unter ihrer Wohnungssituation zu leiden haben.

In der Wurzner Straße in Leipzig kochten am 4. Februar die Gefühle hoch. Michael P. und seine Verlobte Stefanie G. (25) fühlten sich schon eine Weile durch den Lärm aus der Wohnung über ihnen gründlich genervt. Der Angeklagte war überzeugt. „Es ist beabsichtigter Trampellärm.“

Am Abend suchte Stefanie G. den Kontakt zu ihrer Nachbarin Yvonne R. (33). Die Dame habe geöffnet, einen hämischen Kommentar über die „Assi-Alte von unten“ von sich gegeben und die Tür wieder zugeknallt. Michael P. war stinksauer. Er tobte vor Wut. „Du Drecksnutte, kauf deinen Kindern Hausschuhe.“ Yvonne konterte, indem sie ihren Nachbarn als „Glatzkopf“ schmähte.

Vor Gericht kam die Lebenssituation beider Parteien zur Sprache. „Ich habe ein krankes Kind“, klagte der Angeklagte. Seine Tochter sei stark pflegebedürftig und regelmäßig im Krankenhaus. Zur damaligen Zeit war seine Verlobte mit dem dritten Kind schwanger. „Hut ab, was sie da leisten müssen“, würdigte Webers die Bemühungen des Mannes.

Für die gestresste Nachbarin ist das Leben ebenfalls nicht einfach. Die ledige Frau sorgt sich um sechs Kinder. „Was soll ich noch machen?“ fragte sie die Vorsitzende. Ihr sechsjähriges Kind ist hyperaktiv und bei ihrem Dreijährigen gibt es zurzeit Indizien auf dieselbe Verhaltensstörung.

Das allgemeine Verständnis der Richterin über die Situation der zwei Familien führte zu einem recht unkonventionellen Verlauf der Zeugenvernehmung von Yvonne R. „Es kam aus mir herausgesprudelt“, entschuldigte sich Michael P. für seine unüberlegten Äußerungen. „Ich entschuldige mich auch“, erwiderte R. Danach kam man etwas ins Gespräch über die verhängnisvolle Wohnungssituation. „Man hört alles“, so die Zeugin.

Der Ausgang der Verhandlung war voraussehbar. Das Verfahren wurde gegen eine Auflage eingestellt. Michael P. soll 50 Euro bezahlen und 50 Stunden gemeinnütziger Arbeit ableisten. Einen Verein dafür hatte er schon parat: Das Ronald-McDonald-Haus in Leipzig. Wegen der Erkrankung seiner Tochter hatte er bereits früher intensiven Kontakt mit der Einrichtung. „Die Zeit nehme ich mir“, stimmte er reumütig dem Arbeitseinsatz zu. „Es ist doch eine vernünftige Lösung“, befand Webers.

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