Seit dem 2. August sitzt Enrico Böhm (32) in Untersuchungshaft. Der NPD-Stadtrat hatte sich auf dem Weg zu einer Anti-Asyl-Kundgebung in Grimma mit einem Radfahrer angelegt. Die Staatsanwaltschaft erwirkte wegen Verdunkelungsgefahr einen Haftbefehl. Während Böhms Kameraden gegen die Inhaftierung des Kreisvorsitzenden protestieren, sieht sich der Kommunalpolitiker mit mindestens vier laufenden Verfahren konfrontiert.

Die Botschaft war eindeutig. “Freiheit für Enrico” war auf dem blau-gelben Transparent zu lesen, das NPD-Aktivisten am Sonntag vor dem Völkerschlachtdenkmal und auf den Stufen des Opernhauses am Augustusplatz entrollten. Die Kameraden gehen nach wie vor von der willkürlichen Verhaftung des Leipziger NPD-Chefs aus.

Allerdings erscheinen die Haftgründe keineswegs an den Haaren herbeigezogen. Böhm ist wegen Bedrohung vorbestraft. Einschüchterungsversuche gegen Zeugen stehen in dem kriminellen Hooligan-Milieu, in dem sich der Familienvater seit Jahren bewegt, auf der Tagesordnung. Hinzu kommt, dass der Kommunalpolitiker erst Anfang Mai wegen des grundlosen Angriffs auf eine Radfahrerin zu acht Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden war.

Die Berufungsverhandlung findet am 27. Oktober statt. Nachdem der NPD-Vorsitzende nun bei einer ähnlichen Tat ertappt wurde, scheint eine Bewährungsstrafe in weite Ferne gerückt zu sein. Nächste Woche Mittwoch müssen sich Böhm und zwei Mitstreiter wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Amtsgericht verantworten. Die Lok-Fans hatten am 24. Februar 2013 in der Linie 3 nach einem Eishockeyspiel Fahrgäste bepöbelt und geschlagen.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den NPD-Stadtrat außerdem wegen falscher Verdächtigung. Böhm hatte im Januar die Linken-Abgeordnete Juliane Nagel angezeigt. Die Politikerin sollte in einer Pressemitteilung zu Gewalttaten gegen Legida-Aktivisten aufgerufen haben. Als vermeintlichen Beweis verbreitete Böhm den Screenshot von einer Mitteilung des Aktionsnetzwerks “Leipzig nimmt Platz”. Dieser war jedoch manipuliert worden. Die inkriminierte Äußerung hatte Nagel nie in die Welt gesetzt. Die Politikerin erstattete Strafanzeige.

Ob er die NPD weiterhin im Stadtrat vertreten wird, ist im Augenblick ungewiss. Die Partei äußerte sich auf Anfrage bislang nicht zu dem Thema. Enrico Böhm hat das Mandat noch nicht niedergelegt. Von Amts wegen verliert er den Sitz in der Ratsversammlung nur, sollte er wegen eines Verbrechens zu wenigstens einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt werden. Der Anspruch auf die monatliche Grundentschädigung erlischt vorläufig nach unentschuldigter Abwesendheit in drei aufeinanderfolgenden Monaten.

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