Was folgt nun eigentlich nach den Vorfällen in Clausnitz? Da es der Polizei am Abend des 18. Februar 2016 nicht gelang, die pöbelnde Menge aufzulösen, ziehen nun die Ereignisse von Clausnitz weitere Ermittlungen nach sich. Bei der kurz nach 19 Uhr begonnenen Bus-Blockade von 30 bis 40 Personen scheint es sich entgegen erster Überlegungen maßgeblich um Menschen aus dem 1.000-Seelen-Dorf Clausnitz und Umgebung gehandelt zu haben. Auch der nachfolgende Zulauf weiterer Beteiligten auf bis zu 100 Personen geschah wohl eher vor Ort, als aus der Ferne. Dies und weitere Einblicke in die sächsische Provinz und die Arbeit der Polizei gab es am 20. Februar bei einer Pressekonferenz mit dem Chemnitzer Polizeipräsidenten Uwe Reißmann.

Es ist der 18. Februar, den Zeitverlauf gibt die Polizei in ihrer eigenen Information zum Abend mit „ab 19.54 Uhr“ an. Laut Protokoll der Polizei sind weniger als 20 Beamte vor Ort, weitere werden bei den Revieren Freiberg, Zwickau, Chemnitz, Marienberg und von der Bundespolizei angefordert. Eilig hat man sie zusammengeholt, Vorabinformationen habe man nicht gehabt, so Uwe Reißmann, doch die Anforderung einer Einsatzstaffel erfolgte trotz eskalierender Situation nicht. Ihnen gegenüber stehen zu diesem Zeitpunkt etwa 100 Personen, der Bus mit den 25 Flüchtlingen wird von insgesamt zwei Pkw und einem Traktor blockiert, Bürgermeister Michael Funke und mindestens ein Vertreter des Landratsamtes sind vor Ort, nachdem man sie dazugeholt hat. Laut Reißmann äußert Bürgermeister Funke vor Ort, es handele sich bei der Menge vor allem um Menschen aus Clausnitz und Umgebung.

In der polizeilichen Chronik steht, bestätigt durch Polizeipräsident Uwe Reißmann, zum ersten Vorgehen der Beamten zu lesen: „Nach einem Lageüberblick bittet der zu diesem Zeitpunkt den Einsatz führende Beamte des Reviers die Versammelten um Ruhe und erteilt der Personengruppe einen Platzverweis. Dem leistet niemand Folge. Der Beamte erklärt die drohenden Konsequenzen des Nichtfolgens (Räumung, ggf. unter unmittelbarem Zwang). Die Versammelten reagieren mit Gelächter.“ Nicht unwahrscheinlich in dem Zusammenhang auch, dass sich einige Polizeibeamte der umgebenden Reviere und Teilnehmer der Blockade aufgrund der dörflichen Nähe der kleinen Gemeinden kennen könnten – das Lachen demnach ein Zeichen von Unglaube über eine tatsächlich anstehende Räumung zu verstehen sein dürfte.

Lachen über die Polizei

Später in der Pressekonferenz wird Reißmann eingestehen, dass man die Kontrolle über die Lage wohl nicht gehabt hat und nun ermittele, ob dahinter Vorbereitungen stecken würden, wenn sich 30 bis 40 Personen zeitgenau zum Eintreffen des Busses zusammenfinden konnten. Vieles deute darauf hin, doch die Polizei wusste im Vorfeld von nichts, mal wieder kamen auch keine Hinweise vom Verfassungsschutz. Es gäbe, so das Protokoll der Polizei, nun „Anzeigen gegen die drei Fahrzeugbesitzer aus Clausnitz und Frauenstein wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und Nötigung sowie gegen einen weiteren Tatverdächtigen wegen des Verdachts der Androhung von Straftaten.“

Was folgte, geschah wohl nur, weil die Beamten vor Ort schlicht überfordert waren und zeitnahe Verstärkung nicht in Aussicht stand. Statt das erteilte Platzverbot gegen die fremdenfeindliche Parolen skandierende Menge durchzusetzen und so die Ankunft der Flüchtlinge abzusichern, versuchte die Polizei nun, die in Videosequenzen sichtlich verängstigten, Frauen und Kinder unter Jubelrufen der Menge aus dem Bus zu holen. Mit „einfachem Zwang“, wie das im Polizeijargon heißt. Und zum Entsetzen vieler Menschen, die in einem Video etwas sehen, was schlicht wie Gewalt gegen einen vielleicht 10-jährigen Jungen aussieht.

Dienstrechtliche Maßnahmen gegen den Beamten, welcher die „einfache Zwangsmaßnahme“ durchführte, wird es nicht geben, so Reißmann. Diese wäre vor allem zum Schutz der Flüchtlinge selbst nötig gewesen, man befürchtete Attacken gegen den Bus mit Steinen.

Wer sich wehrt, lebt verkehrt

Der aus dem Bus gezerrte Junge soll nun nach Informationen der Polizei zudem selbst schuld sein. Er habe mit eindeutigen Gesten die aufgebrachte Menge provoziert und wollte den Bus nicht verlassen. Gegen ihn und zwei weitere Insassen des Busses wird nun ermittelt. Weitere Anzeigen gegen die Polizei und Teilnehmer der Zusammenrottung seien eingegangen. Apropos Zusammenrottung. Diese deklarierte Reißmann in der Pressekonferenz zur Versammlung, mit den entsprechenden Rechten. Warum es dann auch vor Ort keinen verantwortlichen Versammlungsanmelder gab, erklärte er nicht.

Offen ebenfalls, wie die Information über den genauen Zeitpunkt der Ankunft der Flüchtlinge in die Öffentlichkeit gelangen konnte, was die Vorbereitungen der anfangs 30 bis 40 Personen und die Straßensperre möglich gemacht hatte. Sidefact für Zyniker an dieser Stelle: Der seitens des Landkreises Verantwortliche für Flüchtlinge in der Unterkunft Clausnitz und weiteren in der Umgebung ist mit Thomas Hetze ein Mitglied der AfD. Nachdem er laut Süddeutscher Zeitung selbst gegen Flüchtlinge demonstriert hatte und Vorträge im Nachbarort Holzhau zum Thema “Asyl und andere politische Amokfahrten” hielt, scheint es kein Problem für Hetze und den Landkreis zu sein, mit der Unterbringung von Flüchtlingen selbst Geld in staatlicher Anstellung zu verdienen.

Das Fazit von Polizeipräsident Uwe Reißmann heute zum Einsatz: „An diesem Einsatz gibt es nichts zu rütteln. Um die Situation nicht noch mehr zu verschärfen und damit Verletzte und Sachschäden zu riskieren, war es notwendig, die Asylsuchenden schnellstmöglich in ihre Unterkunft zu bringen. Dafür war einfacher unmittelbarer Zwang zum Schutz bei drei der Ankommenden notwendig. Für unseren mehrstündigen, hochemotionalen Einsatz, bei dem es am Ende keine Verletzten und Sachschäden gab, mit einer kurzen, losgelösten Videosequenz und ohne bisherige Kenntnis der Hintergründe öffentlich angeprangert zu werden, weise ich entschieden zurück. Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Kollegen der Bundespolizei dafür, dass sie Unterstützung für die Landespolizei geleistet haben.“

Der Staatsschutz ermittelt nun mit 8 Beamten wegen der Vorgänge am 18. Februar 2016. Er dürfte auf jede Menge „normale, besorgte Bürger“ aus der Umgebung von Clausnitz dabei treffen. Einen Nachtrag hat Clausnitz bereits jetzt bei Wikipedia erhalten, Dort steht unter anderem zum 18. Februar 2016 zu lesen: “Vor einem Bus mit Flüchtlingen skandierten sie den Spruch „Wir sind das Volk“ und fremdenfeindliche Parolen wie „Ausländer raus“.”

Die Pressekonferenz in voller Länge bei Periskop, Cornelius Pollmer

https://twitter.com/cpollmer/status/701043810411880448

Das Protokoll der Polizeidirektion Chemnitz

Die Polizeidirektion Chemnitz hat den Polizeieinsatz im Zusammenhang mit der Erstbelegung der Asylunterkunft in Clausnitz am Abend des 18. Februar 2016 ausgewertet. Danach stellt sich der Einsatz mit Stand heute, 20. Februar 2016, 12 Uhr aus Sicht der Beamten folgendermaßen dar:

Ausgangslage: Die Polizeidirektion Chemnitz war seit dem 17. Februar 2016 vom Landratsamt Mittelsachsen darüber informiert, dass am Abend des 18. Februar 2016 die Erstbelegung einer Asylunterkunft in der Cämmerswalder Straße mit 25 Personen erfolgen soll.

Unmutsbekundungen während einer vorangegangenen Einwohnerversammlung zur neuen Asylunterkunft waren bekannt. Im unmittelbaren Vorfeld der Belegung gab es keine Erkenntnisse zu geplanten Protestaktionen, mit denen die Erstbelegung verhindert werden sollte. Aus diesem Grund war von einer störungsfreien Belegung auszugehen. Eine Streifenwagenbesatzung des Standortes Sayda wurde mit deren Absicherung beauftragt. Die Chronologie des Einsatzverlaufs.

19.20 Uhr: Bei Eintreffen der Streifenwagenbesatzung befinden sich 30 bis 40 Personen im Zufahrtsbereich der Asylunterkunft. Zudem sind drei Fahrzeuge (Traktor mit Schiebeschild, Klein-Lkw und Pkw) in Form einer Blockade in der Zufahrt abgestellt. Ein Protesttransparent wird gezeigt.

Die Beamten informieren das zuständige Polizeirevier Freiberg, dieses wiederum das Führungs- und Lagezentrum (FLZ). Ein Polizeieinsatz wird aufgerufen. Der Außendienstleiter des FLZ wird als Polizeiführer nach Clausnitz geschickt. Die Bundespolizei wird um Unterstützung gebeten.

ab 19.54 Uhr: Drei Streifenwagen des Reviers Freiberg und sechs Beamte der Bundespolizei sind vor Ort. Die Gruppe der Versammelten ist inzwischen auf ca. 100 angewachsen. Der Bürgermeister und das Landratsamt werden über die Situation informiert und kommen vor Ort.  Es wird Unterstützung aus der PD Zwickau angefordert. Zwei Diensthundeführer der Polizeidirektion Chemnitz sowie zwei Funkwagen des Reviers Marienberg werden aktiviert. Nach einem Lageüberblick bittet der zu diesem Zeitpunkt den Einsatz führende Beamte des Reviers die Versammelten um Ruhe und erteilt der Personengruppe einen Platzverweis. Dem leistet niemand Folge.

Der Beamte erklärt die drohenden Konsequenzen des Nichtfolgens (Räumung, ggf. unter unmittelbarem Zwang). Die Versammelten reagieren mit Gelächter.

Daraufhin werden die Halter der drei Blockadefahrzeuge ermittelt. An sie ergeht die Aufforderung, die Fahrzeuge wegzufahren, mit der Androhung des Abschleppens. Dies wird kurz darauf befolgt.

20.40 Uhr: Eintreffen des Außendienstleiters der Polizeidirektion Chemnitz und Übernahme des Einsatzes. Der Bus steht unverändert ca. 50 m vor der Unterkunft.

Ab 21 Uhr: Der Bus mit 20 Asylsuchenden wird nach Beenden der Fahrzeugblockade direkt vor den Eingang der Unterkunft gelotst. Gleichzeitig setzen sich die Versammelten in Richtung Eingang in Bewegung. Der Polizeiführer verfügt jetzt über 23 Einsatzkräfte. Aufgrund des Kräfteverhältnisses und der frei zugänglichen Örtlichkeit ist ein Fernhalten der Protestierenden vom Bus nicht möglich. Deshalb wird sich auf den unmittelbaren Eingangsbereich konzentriert. Es gibt lautstarke Protestrufe. Ein Rufer droht das Begehen einer Straftat an.

Die Businsassen wollen das Fahrzeug nicht verlassen. Mit einem Dolmetscher, der die Asylbewerber bereits in der Unterkunft erwartet, versuchen die Einsatzkräfte die Ankommenden zum Aussteigen zu bewegen.

Die Lage verschärft sich, als aus dem Bus heraus die Protestierenden gefilmt werden und von einem Jungen provozierend gestikuliert wird (u.a. Zeigen des Mittelfingers). Um die Situation zu beruhigen, wird der Junge aus dem Bus in die sichere Unterkunft gebracht. Für diese Maßnahme macht sich einfacher unmittelbarer Zwang notwendig.

21.20 Uhr: Um Angriffe gegen den Bus und die Insassen vorzubeugen, entschließt sich der Polizeiführer nach Rücksprache mit dem Vertreter des Landratsamtes, die Businsassen schnellstmöglich in die Unterkunft zu bringen. Bei zwei weiteren Ankommenden macht sich dafür ebenfalls einfacher unmittelbarer Zwang notwendig. Die anderen Asylsuchenden beziehen nach Aufforderung selbstständig ihre Unterkunft.

22 Uhr: Die Unterstützungskräfte aus Zwickau treffen ein. Zu diesem Zeitpunkt sind alle Asylsuchenden in der Unterkunft und ihr Gepäck ist ausgeladen. Die Zahl der Versammelten reduziert sich rasch.

22.26 Uhr: Alle Versammelten haben den Ort verlassen. Das Lagezentrum wird informiert.

22.30 Uhr: Der Einsatz wird beendet. Es gibt keine unmittelbar Verletzten und keine Sachschäden. Aufgrund gesundheitlicher Beschwerden muss eine Asylbewerberin medizinisch betreut werden. Es gibt Anzeigen gegen die drei Fahrzeugbesitzer aus Clausnitz und Frauenstein wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und Nötigung sowie gegen einen weiteren Tatverdächtigen wegen des Verdachts der Androhung von Straftaten. Die Bestreifung des Bereiches beginnt.

Das Video vom polizeilichen Eingriff gegen den Jungen

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Es gibt 3 Kommentare

Was ist hier nur los? Diese Leute machen den Ruf unseres schönen Sachsens kaputt. Man hat den Eindruck, dass alle Sachsen rassistisch, fremdenfeindlich und Nazis sind. Und bei Brandanschlägen wird geklatscht und die Helfer behindert. Ich bin so entsetzt, das sind doch keine Menschen mehr. Die ganze Welt schaut auf diese Rassistenfratzen. Und die Polizei ist überfordert. Das hat mit Meinungsfreiheit nichts zu tun.

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