Unter dem Druck der Beweislast knickte Dirk S. am Ende schließlich ein: „Ich habe das geschrieben. Ich habe es aus Wut gesagt“, gestand der 37-Jährige mit leiser Stimme. Gemeint war eine gegen LEGIDA gerichtete Bombendrohung auf Twitter vom 21. April 2016, die der Angeklagte zuvor vehement geleugnet hatte. Nun kommen 2.250 Euro Geldstrafe auf ihn zu.

„Gegen 18:45 fliegt eine Bombe am Goerdelerring hoch, in einem Brunnen versteckt“ – dieser Tweet sorgte am 21. April 2016 für eine Vollsperrung des Richard-Wagner-Platzes, wo sich das LEGIDA-Bündnis zu einer Kundgebung versammelt hatte. Erst nachdem sich die Nachricht als Fehlalarm herausgestellt hatte, konnten die Rechtsaktivisten damals mit fast einstündiger Verzögerung zu ihrem Demozug aufbrechen.

Das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheit sei hier untergraben worden, was er zumindest billigend in Kauf genommen habe, lastete Staatsanwalt Dr. Andreas Heckler dem Angeklagten Dirk S. am Freitag vor dem Leipziger Amtsgericht an. Der Bürokaufmann war schnell als mutmaßlicher Urheber der Drohung ermittelt worden, hatte gegen einen Strafbefehl von 75 Tagessätzen zu je 30 Euro aber Widerspruch eingelegt, was zwangsläufig zu einem Prozess führt.

Ein von Verteidiger Jürgen Kasek angeregtes Rechtsgespräch endete nach kurzer Zeit ohne Resultat: „Er sagt, er war es nicht“, sagte Kasek. Auf dieser Version bestand Dirk S. auch in seiner Einlassung vor dem Richter. Wohl habe er Twitter intensiv genutzt, aber: „Den fragwürdigen Tweet habe ich nicht geschrieben“, beharrte der 37-jährige Familienvater und verwies auf eine Reihe von Anmeldeversuchen in dem sozialen Netzwerk, die schon vorher ohne sein Zutun passiert seien.

Das veranlasste Rechtsanwalt Kasek, die als Zeugen geladenen Ermittler genauer zu befragen: Sei es nicht möglich, dass der Twitter-Account gehackt wurde, etwa durch einen Trojaner, der die IP-Adresse des fraglichen Rechners benutzt? Und wieso seien im Zeitraum von 3 Stunden 6 verschiedene IP-Adressen aufgezeichnet worden?

Das sei nichts ungewöhnliches, wenn man sich in verschiedenen Funkzellen bewege und auf Hinweise auf eine technische Manipulation habe er keine gefunden, hielt Kriminalhauptmeister Alexander E. (39) entgegen. Sein Kollege Stefan G. (37) erinnerte sich, dass der Angeklagte in der Vernehmung emotional wurde, auf seiner Unschuld bestand und zugleich signalisierte, trotzdem zu gestehen, um sich des Problems zu entledigen.

Ähnliches wiederholte Dirk S. im Prozess nach einem kurzen Gespräch mit seinem Verteidiger: „Er ist sich sicher, dass er es nicht war, würde den Strafbefehl aber trotzdem akzeptieren“, sagte Kasek. Der seltsamen Erklärung war ein Signal des Staatsanwalts vorangegangen: Er sehe nichts, was den Vorwurf zu Fall bringe, und der Angeklagte könne überlegen, wie er sich weiter verhält. Es schien eher der Versuch eines fairen Brückenschlags statt einer Drohung.

Auf eine Rücknahme des Strafbefehls ohne Geständnis jedoch wollte sich der Ankläger nicht einlassen: „Ich kann dem nicht zustimmen. Ich bin der Sachaufklärung verpflichtet.“

Die Situation schien verfahren, zwei Auswege denkbar: Ein zermürbender Fortgang der Ermittlungen mit unklarem Ausgang, einer womöglich höheren Sanktion am Ende – oder die Flucht nach vorn. Dirk S. wählte dann doch letzteren Weg. Wie ernst die Drohung genommen werden könnte, die seinerzeit zu einem Polizeieinsatz führte, daran hat er nach eigenen Angaben nicht gedacht. Trotzdem: „Ich finde es gut, dass Sie den Mut gefasst haben“, hielt Staatsanwalt Dr. Heckler Dirk S. sein spätes Geständnis zugute.

Der Anklagevertreter stimmte der Rücknahme des Strafbefehls nun zu. Mit unter 90 Tagessätzen gilt Dirk S. offiziell weiterhin, wie bisher, als nicht vorbestraft. Der Vorsitzende gab ihm klare Worte mit auf den Weg: „Es ist nichts dagegen einzuwenden, sich Hetze und Fremdenhass entgegenzustellen. Aber bitte nicht so und im Rahmen der Gesetze.“

Das Urteil ist rechtskräftig.

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