Im Prozess um den Mord an Hamza G. (24) kamen am Montag Details über die möglichen Hintergründe der Bluttat zur Sprache. Sichergestellte WhatsApp-Nachrichten legen den Schluss nahe, dass sich in Grünau bis zu der Gewalttat am 21. Oktober zwei rivalisierende Jugendbanden eine gewalttätige Fehde geliefert hatten.

Am 21. Oktober begegneten sich in der Stuttgarter Allee um halb sechs Uhr morgens herum vier junge Männer auf verhängnisvolle Weise. Hamza G. hatte gerade seinen Freund Mohammed H. (24) abgeholt, der mit dem Nachtbus von Leverkusen nach Leipzig gereist war. Argjent K. (20) suchte gemeinsam mit einem Kumpel Streit. Nach einer kurzen Rennerei lag Hamza, von zwei Messerstichen tödlich verwundet, am Boden. Die Angreifer flüchteten. Mohammed H., der kein Deutsch spricht, versuchte panisch, Hilfe zu rufen. Als die Retter endlich am Tatort eintrafen, war sein Freund schon tot.

Hamzas Bruder Marouane (28), den Mohammed über das Handy des Getöteten informiert hatte, gehörte zu den ersten, die früh am Tatort eintrafen. Vor Ort zugegen war auch Emely J. (16). Was damals noch niemand ahnte: Die Tochter von Hamzas Verlobten hielt das Umfeld der Täter über alle polizeilichen Maßnahmen am Tatort auf dem Laufenden. Die Teenagerin chattete nämlich lebhaft mit ihrer Freundin Sandra H., die seinerzeit zum engsten Umfeld Argjents und dessen Bruder Albert zählte. Ein Polizeibeamter berichtete am Montag, H. habe alle Infos „eins-zu-eins“ in einer großen WhatsApp-Chatgruppe gepostet, der unter anderem die Gebrüder K. angehörten.

Die Kommunikation ist ein Schlüssel, um den Ablauf der tragischen Ereignisse nachvollziehen und das diffuse Beziehungsgeflecht zwischen Beteiligten durchblicken zu können. Fest steht, dass Hamza bis 5:24 Uhr mit Mohammed telefoniert hat. Dieser hat bereits ausgesagt, er habe sich von seinem Kumpel zum Treffpunkt an der LVB-Haltestelle in der Schönauer Allee lotsen lassen. Argjent schickte um 5:28 Uhr eine WhatsApp-Nachricht an Sandra. Um 5:30 las er eine Antwort-Message. Die nächste WhatsApp-Aktivität des mutmaßlichen Mörders registrierten die Ermittler erst um 5:42 Uhr.

Um 5:40 Uhr versuchte jemand, wahrscheinlich Mohammed, mit Hamzas Handy Marouane anzurufen. Die Ermittler registrierten bei Auswertung der Verkehrsdaten, dass jemand nacheinander diverse Nummern aus dem Telefonbuch Hamzas anwählte. Mohammed sagte aus, er habe auf gut Glück versucht, irgendjemanden zu erreichen, der Polizei und Rettungskräfte alarmieren könnte.

Vom Tatort aus teilte Emely um 6:10 Uhr ihrer Freundin Sandra mit, Mohammed habe Argjent als einen der Angreifer identifiziert. Familie K. konnte sich auf das Eintreffen der Polizei somit in aller Seelenruhe vorbereiten. „Es ist klar gewesen, dass die Polizei die Wohnung ansteuert“, schilderte der Ermittler Uwe C. (49).

Argjents Bruder Armend K., nicht an der Tat beteiligt, organisierte gemeinsam mit Freunden die Flucht der beiden Angreifer. Sein Name taucht auf der Passagierliste eines Fernbusses nach Dortmund auf. Die Ermittler gehen davon aus, dass tatsächlich Argjent die Reise angetreten hat, denn Armend, der die Tickets bezahlt hatte, hielt sich weiter in Leipzig auf. In Dortmund wurde das Duo nach Erkenntnissen der Ermittler von einem in Hamm lebenden Bekannten abgeholt. Argjent stellte sich später in Leipzig den Behörden. Nach seinem mutmaßlichen Mittäter, Mehmet C. (21), wird öffentlich mit europäischem Haftbefehl gefahndet.

Die sichergestellten WhatsApp-Chats lassen derweil tiefgreifende Schlüsse auf die Verflechtungen zwischen den Beteiligten schließen. Der Chatgruppe gehörten zeitweilig bis zu 40 User an. Viele sind der Polizei als jugendliche Intensivtäter bekannt. Uwe C. wertete rund 17.000 Nachrichten aus. „Innerhalb dieser Chats wurde deutlich, wie sich die Situation in Grünau seit Juli zugespitzt hatte.“ Mehrfach sprachen die Beteiligten über Übergriffe. Am 4. September ereignete sich am Markt in Grünau eine Auseinandersetzung mit Beteiligung des Angeklagten. Am 4. Oktober griffen mehrere Personen Marouane G. an.

Emely J. spielte ihrer Freundin Sandra H. eine Namensliste zu. Darauf standen die Namen mehrerer mutmaßlicher Angehöriger der Gruppe um Argjent K. Die Liste wanderte prompt in die Chatgruppe. Das Resultat waren Drohungen in Richtung Hamzas. „Ich ficke deine Mutti.“ „Ich stecke dir ein Messer in den Arsch.“ Hamza bekam Angst, kaufte sich in einem Waffenladen auf der Eisenbahnstraße eine Machete. Damit soll er Armend K. verfolgt und leicht verletzt haben. „Das ist offensichtlich eine Reaktion auf den Angriff auf seinen Bruder gewesen“, beurteilte Uwe C. die Gemengelage. Der Kriminalist bemerkte bei der Analyse der Vorfälle ein immer-weiter-sich-hinein-steigern in eine Spirale aus Gewalt und Gegengewalt zwischen beiden Lagern. „Es wird mit mehreren gegen eine Einzelperson vorgegangen und die dann traktiert.“

Der Prozess wird fortgesetzt.

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Es gibt 5 Kommentare

“oder muss es heißen: „Die Tochter von Hamzas Verlobter“?”
Ne, ich denk das ist so richtig. Wenn man schreibt “von seiner Verlobter” wirds deutlicher, das passt nicht.

Liebe Monika,

sehr fein beobachtet (TKÜ) 😉 Es ist natürlich jetzt bereits möglich, ein Richter stimmt der Überwachung zu und schon kanns (bei entsprechenden Ermittlungen der Polizei vorab / begründetem Verdacht) losgehen. Auch jetzt schon …

Warum verlangt der Innenminister ein neues Gesetz, dass auf WhatsApp-Nachrichten Zugriff erhalten werden muss? Das ist doch jetzt schon möglich! Das ist wohl nur ein Vorwand, um unbescholtene Bürger zu überwachen!

“Die Tochter von Hamzas Verlobten” (War Hamza mit einem Mann verlobt)? oder muss es heißen: “Die Tochter von Hamzas Verlobter”?

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