Mit einem äußerst brutalen Überfall auf ein Gohliser Bäckereigeschäft befasst sich seit Freitag die 8. Strafkammer des Leipziger Landgerichts. Der Angeklagte Marcus V. (28) bestritt die Tat gegenüber der Polizei, am ersten Verhandlungstag machte er eisern von seinem Schweigerecht Gebrauch. Die Hintergründe des Geschehens bleiben bisher mysteriös.

Claudia B.* wird wohl nie vergessen, was ihr am 5. Februar 2017 widerfuhr. Die 32-Jährige war allein in einer Gohliser Bäckerei auf der Georg-Schumann-Straße, als gegen 18:15 Uhr ein junger Mann den Laden betrat, ihr in die Geschäftsräume folgte. Dann ging alles blitzschnell: Der Angreifer schlug und würgte die Angestellte bis zur Bewusstlosigkeit, trat mit dem Knie gegen den Brustkorb der jungen Frau, als sie bereits am Boden lag, und versuchte vergeblich, knapp 1.200 Euro Bargeld aus dem Tresor des Ladens zu entwenden. Die potenziell tödlichen Folgen – unter anderem Schwellungen, Schluckbeschwerden und Platzwunden – habe er zumindest billigend in Kauf genommen, warf Staatsanwalt Christoph Kruczynski Marcus V. in seiner Anklage vor.

Schon kurz nach der Tat wurde der 28-Jährige gefasst, kam am 6. Februar in Untersuchungshaft. „Er macht vorerst von seinem Schweigerecht Gebrauch“, sagte sein Anwalt Malte Heise am Freitag. Der kurzen Erklärung war ein Hinweis des Vorsitzenden Richters Rüdiger Harr vorausgegangen, wonach neben dem angeklagten Versuch der schweren räuberischen Erpressung noch weitere Tatbestände im Raum schweben. Hintergrund: Der Vorfall war ursprünglich als versuchter Mord angeklagt. Immerhin fiel laut den Ermittlern während des Überfalls die sinngemäße Bemerkung des Aggressors „Ich kann dich jetzt nicht gehen lassen, du würdest mich sonst verraten.“

Diese rechtliche Wertung fiel schließlich weg, da man Marcus V. zu dessen Gunsten einen „strafbefreienden Rücktritt vom Versuch“ unterstellte. Zudem erging zum Prozessauftakt der obligatorische Wink auf deutliche Strafminderung bei einem frühen Geständnis. „Ich spiele gern mit offenen Karten, jeder soll wissen, woran er in meinem Prozess ist“, sagte der Richter.

„Ich spiele gern mit offenen Karten.“ Der Vorsitzende der 8. Strafkammer Rüdiger Harr. Foto: Lucas Böhme

Am Freitag sagten unter anderem mehrere Polizisten als Zeugen aus, die am Einsatzort zugegen waren. „Sie war blutüberströmt, hatte schwere Gesichtsverletzungen“, erinnerte sich ein Streifenbeamter (37) an den Zustand des Opfers kurz nach dem Überfall. Trotz ihres Schocks hatte Claudia B., der die Flucht aus den Räumen gelungen war, den Ermittlern umgehend sowohl Klarnamen als auch eine Beschreibung von Marcus V. geben können, der offenbar seit Jahren als Stammkunde in der Bäckerei ein- und ausging. Wenig später trafen vier Gesetzeshüter den jungen Mann an dessen Wohnung in Tatortnähe an, eröffneten ihm den Verdacht. Er habe gelassen darauf reagiert, jedoch behauptet, er sei zur Tatzeit mit seiner Tante unterwegs gewesen und käme jetzt gerade vom Joggen zurück. Warum er dazu allerdings Portemonnaie, Zigaretten und Feuerzeug mitnahm, konnte er nicht erklären. Eine Wohnungsdurchsuchung förderte zudem Kleidungsstücke zutage, die auf die Beschreibung der Geschädigten passten. Der anschließende Drogen -und Alkoholtest bei dem Beschuldigten endete negativ.

Über die genauen Hintergründe der mutmaßlichen Tat von Marcus V. brachte der erste Prozesstag keine Klarheit. Denn nach L-IZ-Informationen waren er und Claudia B. sich bereits Jahre zuvor auf einer Party begegnet. Der vorbestrafte Marcus V. soll damals mit seinen Avancen bei der jungen Frau gescheitert sein, dies aber akzeptiert haben. Liegt doch hier ein eigentliches Motiv verborgen?

Marcus V. schwieg zu den Vorwürfen durchweg, bestätigte lediglich knapp seine Personalien und ließ seinen Verteidiger noch vor Beginn der Sitzung erklären, er untersage den anwesenden Pressefotografen (darunter dem Autor dieses Artikels) eine Veröffentlichung der Bilder seiner Person aus dem Gerichtssaal.

Da sich ein Armband samt Kettenglied, welches bei der Rangelei im Laden kaputt ging, trotz einer entsprechenden Anfrage des Gerichts noch immer in den Händen der Polizei befindet, fiel die geplante Begutachtung dieses Beweismittels aus. Der Vorsitzende zeigte sich darüber verärgert, deutete zugleich an, dass die juristische Option eines Mordversuchs nach seinem Eindruck bisher nicht ausgeräumt sei. In diesem Fall müsste der Sachverhalt zur Neuauflage an eine andere Kammer verwiesen werden.

Das Verfahren wird am 6. Juli fortgesetzt. Dann soll auch Claudia B., die aktuell noch immer mit den Folgen des Gewaltexzesses kämpft und derzeit eine stundenweise Wiedereingliederung versucht, im Zeugenstand aussagen.

*Der Name wurde verfremdet.

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