Seit seiner Jugend leidet ein heute knapp 30-jähriger Verurteilter unter Alkoholsucht. Wegen Raub, Körperverletzung und Sachbeschädigung wurde er bereits zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Nun stand er erneut vor Gericht: Unter anderem weil er kurz nach seiner jüngsten Haftentlassung Polizisten getreten, bespuckt und beleidigt hat. Da er in Kürze eine Langzeittherapie beginnen wird, beließ es Amtsrichter Marcus Pirk bei einer Bewährungsstrafe.

Für Amtsrichter Marcus Pirk war es ein schwieriger Fall, wie er im Rahmen der Urteilsbegründung selbst zugab. Der Angeklagte Johann S.* ist bereits mehrfach vorbestraft: Er wurde unter anderem wegen Diebstahls, Trunkenheit im Verkehr, Leistungserschleichung, Sachbeschädigung, räuberischer Erpressung und Körperverletzung zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Dabei ist er noch nicht einmal 30 Jahre alt.

Zuletzt kam er am 5. September vergangenen Jahres aus dem Gefängnis – und wurde nur wenige Tage später innerhalb eines kurzen Zeitraums erneut mehrfach straffällig. Am 14. September fuhr er ohne gültigen Fahrschein mit der Bahn nach Leipzig und widersetzte sich am Hauptbahnhof mit Tritten, Spucken und wüsten Beschimpfungen einer polizeilichen Maßnahme. Wenige Tage später klaute er in zwei Supermärkten alkoholische Getränke im Gesamtwert von unter 20 Euro. Zudem wurde er mit einer nicht messbaren, also sehr geringen Menge Crystal Meth erwischt.

Das alles deutet in Anbetracht der Vorstrafen im Normalfall auf eine weitere Freiheitsstrafe hin. Eine solche – in Höhe von elf Monaten ohne Bewährung – forderte schließlich auch der Vertreter der Staatsanwaltschaft.

Doch der Fall ist kompliziert. Nach eigenen Angaben ist Johann S. seit etwa zehn Jahren alkoholsüchtig. An jenem 14. September war er erst von seiner Freundin verlassen und dann vor Fahrtantritt bestohlen worden. Vor dem Leipziger Hauptbahnhof geriet er schließlich – stark alkoholisiert – in eine Schlägerei. Die Polizisten fanden ihn auf dem Boden liegend, sein Ohr blutete. Weil er während der Schlägerei offensichtlich gegen einen kurz zuvor gegen ihn ausgesprochenen Platzverweis verstoßen hatte, nahmen ihn die Polizisten mit. Daraufhin verlor Johann S. offenbar die Kontrolle über sich selbst.

„Es war so wie in der Anklage beschrieben“, sagte seine Strafverteidigerin Angela Schröder-Scherrle gleich zu Beginn der Verhandlung. Der Angeklagte selbst bat einen der damals von ihm bespuckten und beleidigten Polizisten, der als Zeuge anwesend war, um Entschuldigung.

Was Johann S. vor einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung bewahrt haben dürfte, ist sein Lebenswandel innerhalb der vergangenen neun Monate. Er ist zu Familienmitgliedern gezogen, hat eine neue Freundin gefunden und wird Ende Juni eine Langzeittherapie beginnen. Bereits für den Tag nach der Verhandlung war ein Termin zur Entgiftung angesetzt. Eine Bewährungshelferin bezeichnete ihn in einem Bericht als zuverlässig, höflich und kooperativ. Zudem bescheinigte ihm ein Richter am Landgericht kürzlich eine „günstige Sozialprognose“.

Amtsrichter Marcus Pirk stand deshalb vor der Frage, ob er die seit mehr als einem halben Jahr andauernden und teilweise schon von Erfolg gekrönten Bemühungen des Alkoholabhängigen, von seiner Sucht wegzukommen, mit einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung zunichte machen sollte – und entschied sich dagegen: elf Monate auf Bewährung. Zudem erteilte Pirk die „für meine Verhältnisse harsche Auflage“, die Langzeittherapie erfolgreich durchzuführen. Anderenfalls seien weitere Straftaten zu erwarten.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Innerhalb einer Woche kann die Staatsanwaltschaft Berufung oder Revision einlegen. Verteidigung und Verurteilter erklärten bereits ihren Verzicht auf Rechtsmittel.

*Name von der Redaktion geändert

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