Irgendwann wurde es der Vorsitzenden zu bunt und sie schmiss die Mutter des Angeklagten aus dem Saal. Zuvor hatte diese wiederholt mit vernehmbarem Murmeln und einem Einwurf aus dem Publikum heraus die Geduld der Richterin herausgefordert. Am Ende verurteilte sie einen 21-Jährigen zu sechs Monaten auf Bewährung, der im September 2015 kurz hintereinander durch massive Beleidigungen, eine Würgeattacke und eine Schlägerei aufgefallen war.

Der junge Mann auf der Anklagebank, der ohne eigenen Verteidiger erschienen war, wirkte ruhig und war adrett gekleidet. Doch diese Fassade schien angesichts der Vorwürfe zu täuschen: So soll Labinod C. (21) im September 2015 die Mutter seiner damals 14-Jährigen Freundin mit Worten wie „Ich ficke dich in den Arsch, du Fotze“ und „Du Hurentochter“ beleidigt haben, als sie versuchte, ihre Tochter mit Hilfe der Polizei aus seiner Wohnung zu holen. Zudem habe er das Mädchen wenige Tage darauf aus Wut gewürgt.

Ende September schließlich kam es vor einem Leipziger Rewe-Markt zu einer Schlägerei mit einem Sicherheitsmitarbeiter und weiteren Beteiligten. Dabei habe Labinod C. einem Mann (32) mit einem Gürtel einen Faustschlag ins Gesicht verpasst und sich aggressiv gegen die eintreffende Polizei gewehrt – unter anderem mit einem Tritt ans Schienbein eines Beamten. Dabei fielen laut Anklage wüste Schimpftiraden und Drohungen, etwa „Wichser“, „Nazi“, „Bullenfotze“, „Ich bin Taliban“, „Ich gehöre zum IS“ und „Ich kille deine Familie“.

Ohne Umschweife gab Labinod C. die Anschuldigungen am Dienstag vor dem Amtsgericht weitgehend zu, machte lediglich für einige Details Gedächtnislücken geltend. Den Angriff vor dem Rewe stellte er als Reaktion auf einen mutmaßlich Rechtsgesinnten dar, der vorher einen Schlagstock ausgepackt habe. Als der Wachmann einschritt, sei einer seiner Brüder dazugestoßen und habe dem Security-Mann ein Fahrrad gegen den Rücken geworfen, später sei seine Mutter dazugekommen. Mit dem Eingreifen der Polizei setze sein Erinnerungsvermögen aus, sagte Labinod C. weiter.

Die vielen Zeugen konnten die Vorwürfe im Wesentlichen erhärten. Der Sicherheitsmitarbeiter (43) sprach davon, dass sich der Angeklagte im Vorfeld mit einer Flasche Korn gegen abgestellte Autos auf dem Parkplatz gelehnt und einem Platzverweis keine Folge geleistet habe und schnell aggressiv geworden sei. Labinod C.s Mutter (51) ließ sich im Zeugenstand zunächst massiv gegen die heute 16-Jährige Exfreundin ihres Sohnes aus und musste von der Vorsitzenden Richterin mehrfach ermahnt werden.

Sie hatte die Auseinandersetzung zunächst vom nahen Apartment aus beobachtet, nahm ihren Sohn jedoch in Schutz. Kurz darauf flog sie nach wiederholten Zwischenrufen aus dem Gerichtssaal. Mehrere Polizisten, ein vor dem Rewe von Labinod C. attackierter Mann sowie die Exfreundin und deren Mutter stützten dagegen die Version der Anklage.

Der Jugendgerichtshilfe-Vertreter zeichnete in seiner Einschätzung ein niederschmetterndes Bild des Angeklagten. Seine kosovarischen Eltern lebten bereits vier Jahre in Deutschland, als er 1995 in Grimma zur Welt kam. Der junge Mann wuchs mit vier Geschwistern auf, zog später nach Leipzig, der Vater starb im Mai 2010. Labinod C. verließ die Schule ohne Abschluss, konsumierte seit der 9. Klasse Drogen, war immer nur kurzzeitig in Beschäftigung, ohne sich je eine dauerhaft stabile Lebensstruktur aufzubauen. Schon mehrfach musste er sich vor Gericht verantworten, unter anderem wegen Betäubungsmitteldelikten, Beleidigung und Waffenbesitz.

Wegen seines starken Reifedefizits verhängte Amtsrichterin Irmgard Seitz schließlich insgesamt sechs Monate nach Jugendstrafrecht, ausgesetzt zur Bewährung. Labinod C. muss zudem drei Jahre lang Meldeauflagen nachkommen und sich einem Bewährungshelfer unterstellen. Für die offenkundige Gleichgültigkeit des jungen Mannes, der sich während des Prozesses entspannt und ohne erkennbare Reue gab, zeigte sie wenig Verständnis. „Sie begehen eine Straftat nach der anderen, Sie kriegen Ihre Probleme nicht richtig in den Griff, Sie lassen sich treiben“, kritisierte sie.

Besonders die Schwangerschaft seiner neuen Partnerin, die im Juli entbinden soll, gab ihr zu denken: „Es ist keine Super-Idee, Kinder zu kriegen, wenn man das eigene Leben nicht in den Griff bekommt.“ Mit der Sanktion ging die Richterin über die Forderung der Anklage hinaus – Staatsanwältin Yvonne Kobelt hatte auf vier Wochen Dauerarrest plädiert. Labinod C. nahm die Entscheidung reglos zur Kenntnis und verzichtete auf ein Schlusswort.

Das Urteil ist bereits rechtskräftig.

In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer

In eigener Sache (Stand Mai 2017): 450 Freikäufer und weiter gehts

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar