Am 21. Juli hat das Bundesverfassungsgericht das Betreuungsgeld gekippt. Es hat klar gemacht, dass für so eine Leistung - wenn sie denn überhaupt nötig ist in einer Gesellschaft, in der immer mehr Eltern einer Erwerbstätigkeit nachgehen, - die Bundesländer zuständig sind. So richtig verstehen wollte das am vergangenen Dienstag auch die sächsische CDU nicht.

Bemerkt, dass nicht der Bund, sondern die Länder für die Leistung zuständig seien, hat das auch Thomas Colditz, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion. Aber wirklich gefallen ist der Groschen bei ihm nicht. Er will tatsächlich, dass der Bund sich trotzdem kümmert.

Wahlfreiheit à la CDU

„Ich bedauere die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes mit Blick auf die Mütter und Väter, die sich bewusst dafür entscheiden wollten, das Betreuungsgeld in Anspruch zu nehmen. Allein im Freistaat Sachsen haben dies im Monat Juni nach Angaben des Sozialministeriums 10.482 Eltern oder Alleinerziehende erhalten. Nach geltender Rechtslage bleiben jedoch genehmigte Anträge fortbestehen”, sagte er. “Die Feststellung des Bundesverfassungsgerichtes, dass die Länder und nicht der Bund für diese Leistung zuständig ist, bedeutet nun, dass auf Bundesebene geklärt werden muss, wie die Eltern künftig finanziell unterstützt werden können. Hier fordere ich ganz klar von der Bundesfamilienministerin konkrete Vorschläge, wie eine echte Wahlfreiheit der Eltern in der Kinderbetreuung auch in Zukunft garantiert werden kann.”

Doch gerade das hat das Bundesverfassungsgericht als falsch beurteilt: Warum sollte sich die Bundesfamilienministerin um ein Elterngeld kümmern, für das sie nicht zuständig ist? – Wenn Landesregierungen wollen, dass Eltern zu Hause bleiben, müssen sie selbst die entsprechende Leistung zahlen. Was Sachsen übrigens schon seit längerem tut.

“Ich bin froh darüber, dass wir in Sachsen bereits über ein Landeserziehungsgeld verfügen, dass Eltern je nach Einkommen im zweiten und dritten Lebensjahr ihres Kindes in Anspruch nehmen können, sofern für das Kind seit dem vollendeten 14. Lebensmonat kein Platz in einer staatlich geförderten Kindertagesstätte in Anspruch genommen wird. Im Juni hatten 3.504 Eltern oder Alleinerziehende davon Gebrauch gemacht. Das Landeserziehungsgeld bietet damit Ansätze für eine Wahlfreiheit der Eltern”, benennt Colditz dann doch noch das, was im aktuellen Rechtsrahmen möglich ist. Aber auch für ihn stellt die Bezuschussung des Zu-Hause-Erziehens irgendwie einen Wert an sich dar. Er beschwört auch wieder die viel gepriesene Wahlfreiheit: “Das von der schwarz-gelben Bundesregierung 2013 eingeführte einkommensunabhängige Betreuungsgeld unterstützt Mütter und Väter, die sich bewusst dafür entschieden haben, in den ersten beiden Lebensjahren ganz für ihre Kinder da zu sein. Die Wahlfreiheit gewährt zudem, dass jeder selbst entscheiden kann, was für die Familie und insbesondere für die eigenen Kinder das Beste ist.“

FDP: Wir brauchen endlich flexible Kita-Öffnungszeiten

Für diese altbackene Sicht auf Kindererziehen bekommt Sachsens CDU nicht mal Beifall von der FDP, wo man über moderne Lebens- und Arbeitswelten eine ganze Menge mehr weiß als im christlichen Lager.

“Die CSU hat heute mit einem ihrer Prestigeprojekte eine krachende Bauchlandung vor dem Bundesverfassungsgericht erlebt. Wir begrüßen ausdrücklich, dass allein die Bundesländer darüber entscheiden, ob und in welcher Form eine solche familienpolitische Leistung gewährt wird”, erklärte dazu am 21. Juli Anja Jonas, stellvertretende Landesvorsitzende der FDP Sachsen. Und sie geht noch weiter, denn auch das von Colditz gepriesene Landeserziehungsgeld ist antiquiert.

“Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht jetzt auch die Zukunft des sächsischen Landeserziehungsgeldes auf dem Prüfstand. Die finanzielle Lücke durch den Wegfall des Bundeserziehungsgeldes sollte jetzt nicht durch neues Landesgeld ausgeglichen werden. Stattdessen fordern wir eine stärkere finanzielle Unterstützung des Freistaates für eine zeitlich flexiblere Kinderbetreuung in Kitas und bei Tagesmüttern/-vätern. Dies würde die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wesentlich verbessern”, geht Anja Jonas auf ein Thema ein, das mit den knappen Landeszuweisungen an die Kommunen einfach nicht zu bewerkstelligen geht. Wer heute voll im Job zu tun hat, hat ein Problem, denn in den meisten Kindertagesstätten gelten strikte Öffnungszeiten, die oft mit den Arbeitszeiten der Sachsen nicht kompatibel sind.

“Junge Eltern in Sachsen haben oft ein Problem, während ihrer Arbeitszeit am frühen Abend oder auch am Wochenende ein passendes Betreuungsangebot zu finden. Es ist daher eine sinnvolle Aufgabe des Freistaates, entsprechende Angebote finanziell zu fördern”, sagt Jonas. “Dafür Geld einzusetzen ist allemal klüger, als Eltern mit finanziellen Anreizen davon abzuhalten, ihr Kind in eine Kita oder Tagesbetreuung zu geben. Die Wahlfreiheit der Eltern, ob sie ihr Kind über längere Zeit selbst betreuen oder nicht, muss nicht durch eine staatliche ‚Kita-Fernbleibe-Prämie‘ beeinflusst werden.“

Auch Geschäftsfrauen halten nichts von einem Betreuungsgeld

“Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist richtig und wichtig. Das Betreuungsgeld war ein Fehlanreiz, der überkommene Rollenbilder stabilisierte und Müttern den Wiedereinstieg in den Beruf erschwert”, stellt auch Henrike von Platen, Präsidentin des Business and Professional Women (BPW) Germany e.V., fest. Ein Verein, in dem man sehr genau weiß, wie sehr eine “Herdprämie” auch die Gleichberechtigung von Frauen im Beruf unterminiert.

“Eine gute und bezahlbare Infrastruktur im Erziehungsbereich ist unverzichtbare Voraussetzung für die Erwerbstätigkeit beider Eltern und für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes in Zeiten des Fachkräftemangels”, sagt von Platen. “Mit Blick auf das Wohl der Kinder und ihre Bildungs- und Integrationschancen ist es ein fatales Signal, mit einem Geldbetrag die Nichtinanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung zu honorieren: ein schlecht getarntes Kostensenkungsprogramm zu Lasten derer, die unsere Zukunft gestalten. Von den 900 Millionen Euro, die 2015 für das Betreuungsgeld vorgesehen waren, sollte noch einiges übrig sein. Ich bin sicher, dass Bundesministerin Manuela Schwesig dafür eine gute Verwendung im Interesse der Familien finden wird. Den gestern bereits angekündigten Ausbau der Kinderbetreuung begrüßen wir.“

Koalitionspartner SPD will das Geld lieber in Kitas stecken

„Wir wollen alle Kinder stärker unterstützen, um Chancengleichheit zu verbessern und Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Die beim Bund freiwerdenden Mittel in Höhe von 900 Millionen Euro sollten deshalb in den Ausbau von Kita- und Krippenplätzen sowie in die weitere Verbesserung der Personalsituation in unseren Kitas investiert werden“, erklärt Henning Homann, Sprecher für Kinder und Jugend der sächsischen SPD-Fraktion, zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das am Dienstag das umstrittene Betreuungsgeld gekippt hat.

„Das Betreuungsgeld war familienpolitisch falsch, und ihm fehlte es an gesellschaftlicher Akzeptanz. Gerade die Menschen in Ostdeutschland wissen um die Vorteile einer gut ausgebauten Kinderbetreuung. Eltern, die ihre Kinder nicht in die Kita geben wollen, haben die Wahl, darauf zu verzichten. Dies mit Steuergeldern zu alimentieren, ist allerdings ein falscher Anreiz. Außerdem haben vor allem die Familien davon profitiert, die es sich leisten konnten. Das ist aber nicht der Maßstab sozialdemokratischer Familienpolitik”, sagte der Sozialdemokrat, der auch weiß, wie hart die SPD im Koalitionsvertrag um eine winzige Verbesserung des Betreuungsschlüssels in Sachsens Kitas ringen musste. “Die SPD hat sich in Sachsen erfolgreich dafür eingesetzt, dass sich künftig mehr Erzieherinnen und Erzieher um unsere Kinder kümmern können, denn Kinder brauchen Zeit. Der Betreuungsschlüssel in Kindergärten und Krippen wird ab September schrittweise verbessert – erstmals seit 1992. Allein in diesem und im kommenden Jahr werden insgesamt 137 Millionen Euro fließen, damit zunächst in den Kindergärten weitere Erzieherinnen und Erzieher eingestellt werden können.“

Was sich die Bundesbürger in der Kinderbetreuung tatsächlich wünschen. Grafik: Böll Stiftung / insa
Grafik: Böll Stiftung / insa

Grüne halten das Argument “Wahlfreiheit” für einen Selbstbetrug

“Es ist gut, dass das Bundesverfassungsgericht nun Klarheit geschaffen hat”, erklärt auch Volkmar Zschocke, Vorsitzender der Grünen-Landtagsfraktion. “Das Betreuungsgeld war nicht das richtige Instrument, um Familien zu unterstützen, sondern unsinnig und teuer.”

Wo die CDU von “Wahlfreiheit” tönt, bezweifelt er, ob gerade das im Osten überhaupt der Fall ist, wo junge Eltern oft händeringend nach einem Betreuungsplatz suchen, weil sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen wollen.

“Richtig ist, dass Sachsen unter den Ostländern die meisten Betreuungsgeldempfänger zählt. Häufig hat dies aber wohl weniger mit der von Befürwortern des Betreuungsgeldes beschworenen Wahlfreiheit zu tun. Viel näher liegt die Vermutung, dass Eltern keinen Betreuungsplatz finden und auf private Lösungen ausweichen müssen. Wahlfreiheit sieht anders aus. Sie ist nämlich nur dann gegeben, wenn Menschen eine private Entscheidung zwischen zwei Alternativen ohne staatliche Einmischung treffen können. Wenn der Staat die Entscheidung für oder gegen eine Alternative mit der Auszahlung einer Geldleistung belohnt, ist die Wahlfreiheit eingeschränkt”, benennt Zschocke einen seltsamen Zwiespalt der CDU. “Das nun von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) formulierte Versprechen, in Bayern das Betreuungsgeld weiterhin zu zahlen und die an den Bund gerichtete Forderung, dafür finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, ist eine Nebelkerze, von der Sachsens Staatsregierung Abstand nehmen sollte. Stattdessen sollte die Regierung im Lichte der heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts das Landeserziehungsgeld noch einmal überprüfen.”

Aber der Freistaat Sachsen – oder wohl doch besser: die sächsische CDU – schippert schon seit einer Weile im Kielwasser der bayerischen CSU und pflegt damit ein Gesellschaftsbild, das nicht nur altbacken aussieht, sondern auch die Entwicklung des Freistaats Sachsen ausbremst.

“Sachsen ist neben Bayern das letzte Bundesland, das am Landeserziehungsgeld festhält”, so Zschocke. “Zwar ist die teure Doppelförderung nun vom Tisch, dennoch fehlen den Kitas durch den sächsischen Sonderweg rund 13 Millionen Euro im Jahr. Sowohl die Mittel, die nun durch das Betreuungsgeld frei werden als auch die 13 Millionen, die die CDU/SPD-Regierung im Landeserziehungsgeld versenkt, sollten für den Ausbau der Kinderbetreuung und für die Verbesserung des Betreuungsschlüssels in Kitas verwendet werden. Denn vor allem in den Großstädten und den angrenzenden Speckgürteln ist die Suche nach einem Kitaplatz oft sehr beschwerlich. Gerade für Alleinerziehende ist ein bedarfsgerechtes, qualitativ gutes und ganztägiges Angebot der Kindertagesbetreuung enorm wichtig.”

Linke: Gerade einkommensschwache Familien werden mit Betreuungsgeld von Kitas fern gehalten

“Wir freuen uns über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die dieser unsinnigen Maßnahme mindestens auf Zeit einen Riegel vorschiebt”, sagt Annekatrin Klepsch, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Landtag. Auch für sie gehört das Geld nicht in eine heimische Betreuung der Kinder, sondern in eine Verbesserung der Kita-Betreuung. “Nun sind die Länder gefragt. Wenn der Bund ihnen die Betreuungsgeld-Mittel überträgt, sollten sie nicht denselben ideologisch motivierten Fehler machen wie der Bundesgesetzgeber. Sie sollten das Geld stattdessen nutzen, um die Qualität frühkindlicher Bildung flächendeckend zu verbessern, wie das die sächsische SPD auch heute wieder fordert. Sie sollte dementsprechend auf ihren Koalitionspartner einwirken. Auch die Kommunen brauchen endlich eine bessere Regelfinanzierung der Kindertagesbetreuung, zumal die überwältigende Mehrheit der 2-6-Jährigen in Sachsen eine Kita besucht.”

Wo Colditz “Wahlfreiheit” sieht, sieht sie ein finanzielles Abspeisen einkommensarmer Familien. Klepsch: “Leistungen wie das Betreuungsgeld stellen auch einen Anreiz für einkommensarme Familien dar, nicht auf einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz zurückzugreifen. Dabei kann vom Betreuungsgeld niemand leben, übrigens auch nicht vom Landeserziehungsgeld. Familien mit Kindern oder Alleinerziehenden, die in der Armutsfalle sitzen, ist mit einem guten Kita-System viel mehr geholfen. Die Verbesserung der Kita-Betreuung muss deshalb oberste Priorität haben. Die Pläne der CDU-SPD-Regierung, das Landeserziehungsgeld für Besserverdienende zu öffnen, weisen in die falsche Richtung. Die von der Sozialministerin hoch gelobte ‘Wahlfreiheit’ zwischen häuslicher und Kita-Betreuung besteht nur, wenn das öffentliche Betreuungssystem ausreichend viele und gute Plätze bietet.”

Erst im Mai hatte die Böll Stiftung die Eltern selbst gefragt, was sie sich wünschen.

Annekatrin Klepsch: “Laut einer Umfrage der Böll-Stiftung vom Mai wünschen sich viele Eltern statt einer ‘Herdprämie’, die ein überkommenes Familienbild zementiert, größere Investitionen in andere familienpolitische Leistungen – etwa eine bessere Kitabetreuung, mehr Freizeitangebote, kostenloses Schul- und Kitaessen und einen kostenlosen ÖPNV für Kinder unter 14 Jahren. Das sind viel spannendere Vorschläge als die antiquierten Rezepte einer populistischen Regionalpartei aus Süddeutschland.”

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