Die Lage hat sich in den letzten Tagen zugespitzt, die polizeilichen Möglichkeiten in Sachsen wachsen dennoch kaum mit. Nach den jahrelangen Sparbemühungen steht längst der gesamte Ermittlungsapparat unter Druck und so schafft es nach Recherchen des MDR das Landeskriminalamt Sachsen schon jetzt kaum noch, allen Straftaten in Sachsen mit dem nötigen Augenmaß und der erforderlichen Präzision nachzugehen.

Was Anfang Januar 2015 bei den Kriminalbeamten zunehmend sichtbar wurde, findet seine Analogie auf der Straße bei den Einsatzbeamten. Was einige Wunderlichkeiten im Umfeld der Pegida- und Legida-Demonstrationen erklären könnte.

Die ersten Anzeichen für anwachsende Probleme bei der Abdeckung der Demonstrationen waren Ende 2014 wenig sichtbar. In Dresden begann die Polizeidirektion erstmalig und untypischerweise die genauen Zahlen der Beamten bekanntzugeben, welche eingesetzt wurden. Untypisch deshalb, weil man eigentlich vorher genaue Zahlen meist vermied, um unberechenbarer zu bleiben und auch den Anschein zu vermeiden, zu viele oder zu wenige Beamte eingesetzt zu haben.

Wo es sonst immer schwierig – selbst für Pressevertreter – war, die Anzahl der Polizisten zu erfahren, welche zu Demonstrationen oder Risikospielen im Fußballbetrieb zum Einsatz kamen, wurden sie nun auf einmal im direkten Anschluss an die Demonstrationen präsentiert. Wo sonst nur von „mehreren Hundertschaften“ zu lesen war, gab es nun neben den Herkunftsländern der Einsatzpolizisten auch genaue Angaben.

Was anfangs noch wie eine Eigenart Dresdens wirkte, fand dann auch am 12. Januar in Leipzig statt. So konnte man auf einmal erfahren, dass in Dresden „ … 1.663 Polizeibeamte im Einsatz“ waren, „unter ihnen auch Beamte aus Rheinland Pfalz, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.“ In Leipzig verkündete die Polizeidirektion am gleichen Tag rund 800 eingesetzte Beamte, unter ihnen Einheiten aus Baden-Württemberg, Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Es bleibt letztlich kaum eine andere Erklärung für die neue Auskunftsfreudigkeit der beiden Polizeidirektionen, als damit ein Signal der beginnenden Überlastung an die Politik und den zuständigen Innenminister Markus Ulbig (CDU) zu senden.

Seit heute tauchen nun in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erstmals Zweifel an den polizeilich bekanntgegebenen Zahlen zu den Demonstrantenmengen auf. So hätten unabhängige Forscher am Montag, den 12. Januar 2015 in Dresden eher 18.000 Pegida-Demonstranten und keine 25.000 gezählt. In Leipzig kamen die Wissenschaftler vom „Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung“ auf gerade einmal 2.000 Legida-Demonstranten.

Was den Verdacht nährt, es könnte seitens der Polizei ein Interesse geben, die Zahlen möglichst hoch anzusetzen, um somit indirekt Druck auf allzu sparsame Innenminister, den Sächsischen vorneweg, aufzubauen.

Auffällig oft und deutlich kollegial die Statements auf den Pegida- und Legida-Demonstrationen in Richtung der eingesetzten Beamten. Einerseits, um die eigene Friedlichkeit zu demonstrieren, andererseits auch, um die bis heute erhaltene Forderung im Pegida-Katalog zu untermauern. In dieser Forderung heißt es von Beginn an, es müsste mehr Geld in die Sicherheitsbereiche fließen, mehr Personal eingestellt werden und damit die Polizei im Freistaat gestärkt werden. Eine Forderung, welche es seit Jahren, verschärft seit den „Reformbemühungen“ von Innenminister Markus Ulbig (CDU) im sparsamen Sachsen aus linken und grünen Oppositionskreisen ebenso, wie der damals noch oppositionellen SPD gab. Einen kleinen Wandel vollzog man seitens der Staatsregierung zwar schon vor den Pegida-Demonstrationen, doch nicht wenige Einsatzpolizisten werden diese Forderung von Beginn an gehört und unterstützenswert gefunden haben.

Der am Montag, 17. Januar tagende Innenausschuss ergab dann erst einmal nichts wirklich Neues zum Verbot der Pegida-Demo am 19. Januar wegen konkreter Anschlagsplanungen auf Frontmann Lutz Bachmann. Die konkrete Gefährdung sei gegeben gewesen, nicht für die Dresdner allgemein, sondern speziell für die Demonstration, die Untersagung aus Sicherheitsgründen berechtigt. So zumindest sah es anschließend der sächsische CDU-Innenexperte und gelernter Polizist Christian Hartmann nach den Ausführungen von Sachsens Landespolizeipräsident Jürgen Georgie vor dem Innenausschuss. „Der Grund für die gestern erlassene Verfügung zum Versammlungsverbot für den heutigen Tag in Dresden sei eine konkrete Gefährdung einer Einzelperson des Organisationsteams von Pegida während der Versammlung … Konkret wurden Attentäter aufgerufen, sich unter die Protestierenden zu mischen, um zeitnah einen Anschlag zu verüben. Weil man damit von einer unmittelbaren Gefährdung von Leib und Leben aller Teilnehmer an Versammlungen ausgehen musste, war die Entscheidung, das Versammlungsrecht vorübergehend einzuschränken aus meiner Sicht richtig.“

Im Abwägungsprozess zwischen den beiden Grundrechten „Versammlungsfreiheit“ und „das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ habe man sich aus Hartmanns Sicht zu Recht für die Sicherheit der Bürger, auch der Gegendemonstranten entschieden. „Wichtig ist, dass ein solcher Schritt das allerletzte Mittel für eine konkrete und einmalige Situation ist“, so Hartmann am Montag.

Gegen diese Einschätzung scheinen seit heute neuere Informationen von der Bundesebene zu stehen. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer Dienstagsausgabe berichtet, soll die Stadt Dresden weitgehend im Alleingang das Demonstrationsverbot ausgesprochen haben. Forderungen eines Demonstrationsverbotes seitens des „Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum“ (GTAZ) oder des Bundeskriminalamtes an das Land Sachsen habe es dazu nicht geben. Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen hätte dazu nun eine erstmalige Erklärung seitens des bislang eher schweigsamen Sächsischen Innenministers Markus Ulbig (CDU).

“Meine Zweifel an der Notwendigkeit der Entscheidung nehmen nach diesen Aussagen weiter zu. Der Innenminister muss sich zu diesen Vorwürfen öffentlich äußern. Die heutige Kabinettspressekonferenz gibt ihm Gelegenheit dazu.” Auch dazu, wie die polizeiliche Absicherung der Versammlungsfreiheit am kommenden Montag in Dresden gelingen soll.

Die Landespolitik schaut also auf Dresden, die Leipziger auf ihre Stadt.

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