Auf Wunsch von Pfarrer Bernhard Stief feierten die Katholiken am 30. Januar abweichend vom üblichen Ort ihre Werktagsmesse in der Nikolaikirche. Unter normalen Umständen feiern hier Leipzigs Katholiken nur am Sonntag 17 Uhr einen Gottesdienst. Ansonsten kommen sie zur Werktagsmesse in ihrer Kirche am Rosental zusammen – noch bis zur Einweihung der neuen Propsteikirche am Ring im kommenden Frühjahr. In Absprache und auf Wunsch der Nikolaikirch-Gemeinde wurde diese Regel durchbrochen.

Knapp 100 Christen kamen am gestrigen Freitag, 18 Uhr hier zusammen, nicht weit vom Augustusplatz, wo zeitgleich die Demonstration von Legida erwartet wurde. Keine Kleinigkeit, die da parallel zum Demonstrationsgeschehen in der Innenstadt von Leipzig am gestrigen 30. Januar stattfand. Der frühzeitig angemeldete Gottesdienst verhinderte eine Kundgebung auf dem historisch bedeutsamen Nikolaikirchhof. „Es werden Worte gesagt, auf den Straßen, in den Medien, die nicht unwidersprochen bleiben können, die das deutliche Widerwort brauchen“, griff Pfarradministrator Gregor Giele die Ereignisse der letzten Wochen auf.

Entscheidend aber sei, wie reagiert werde. „Es ist ein wichtiges Zeichen, wenn sich Menschen friedlich versammeln, ohne sich gegenseitig anzuschreien.“ Wichtig sei aber auch, sich aktiv für den Frieden einzusetzen: „Frieden ist keine Zustandbeschreibung, sondern ein Tätigkeitswort.“ Grammatikalisch stimme der Satz nicht, aber inhaltlich treffe er zu. Mehr noch als diese Worte ist die Selbstverständlichkeit dieses Gottesdienstes ein starkes Symbol für Offenheit und Toleranz. Das zeigt der Blick in die Geschichte.

Nach der Reformation begann das katholische Leben in Leipzig zunächst im Untergrund. Der erste heimliche katholische Gottesdienst wurde wahrscheinlich während der Michaelismesse 1697 gefeiert. Ab 1711 fanden dann offiziell Heilige Messen in der königlichen Pleißenburg statt. Mit Blick auf die polnische Krone war der sächsische Herrscher katholisch geworden. Die Untertanen blieben lutherisch und zweifelten, ob die Katholiken zu Sachsen gehören.

Pfarradministrator Gregror Giele (links) gemeinsam mit Kaplan Przemyslaw Kostorz am Altar der Nikolaikirche. Foto: Ernst-Ulrich Kneitschel
Pfarradministrator Gregror Giele (links) gemeinsam mit Kaplan Przemyslaw Kostorz am Altar der Nikolaikirche. Foto: Ernst-Ulrich Kneitschel

Als die 1847 geweihte katholische Kirche am Ring im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, begann die Feier katholischer Gottesdienste in evangelischen Kirchen: lange Jahre in der Universitätskirche, wo der letzte Gottesdienst vor der Sprengung von den Katholiken gefeiert wurde, später dann in der Nikolaikirche. Heute gibt es vielfältige gemeinsame Aktionen der Kirchen die deutlich machen, dass die Katholiken hier fest verwurzelt sind.

Seit vielen Jahren hilft die Ökumenische Bahnhofsmission Reisenden, auch die Telefonseelsorge wird gemeinsam betrieben. Jüngstes gemeinsames Projekt: die Ökumenische Flüchtlingshilfe, gegründet im ersten Friedensgebet des Jahres am 12. Januar. Hilfe für Flüchtlinge ist eine christliche Kernaufgabe. Die Weihnachtsgeschichte und die Verkündigung Jesu werden von den Kirchen in dieser Weise verstanden: „Die Geschichte von der Geburt Jesu steht uns neu vor Augen. In einem Notquartier erblickte er das Licht der Welt. Wenig später ergriffen seine Eltern mit ihm die Flucht vor Gewalt und Terror. Später sprach Christus davon, dass er uns in den „geringsten Brüdern“ begegnet, den Kranken, Hungernden, Gefangenen und Fremden (Mt. 25,35ff.).“

Getrennt sind die beiden Kirchen normalerweise bei der Feier des Abendmahles. An diesem Freitag aber sah sich Pfarradministrator Gregor Giele in der freudigen Lage, auch die evangelischen Christen zur Kommunion einzuladen. Nach Papst Johannes Paul II. sei dies in besonderen Ausnahmefällen gestattet. Das gemeinsame Mahl an diesem Abend sei ein Zeichen gegen den Unfrieden in der Stadt, unterstrich Giele. Zum Abschluss der Messe bedankte er sich bei Pfarrer Bernhard Stief für die gewährte Gastfreundschaft. Dem Gottesdienst schlossen sich ein Taizé-Gebet und weitere Andachten an, in denen noch bis 22 Uhr für Frieden und Versöhnung gebetet wurde.

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Es gibt 4 Kommentare

Es tut mir leid, wenn die Formulierung für Sie missverständlich war. “Die katholische Kirche” feiert tatsächlich jeden Tag Gottesdienst, nur kommen nicht jeden Tag Katholiken in den Gottesdienst. Besonders voll wird es Weihnachten und Ostern. Es geht in Ihrem Kommentar aber eher um die Frage, warum am Ring ein Neubau entsteht. Ich zitiere hierzu mal unkommentiert die Homepage der Propstei:
“Gut 500.000 Einwohner zählt Leipzig. Gerade einmal 20 Prozent bekennen sich zu einem Glauben. Dabei sind die Gläubigen überwiegend evangelischen Bekenntnisses. Nicht einmal fünf Prozent der Leipziger sind katholisch. Und doch wächst unsere Gemeinde stetig. 4.500 Gemeindemitglieder zählen wir zurzeit. Viele junge Familien, Studenten und Berufsanfänger beleben unsere Gemeinde und sorgen für einen Altersdurchschnitt unter 37 Jahren.

Als einzige deutsche Großstadt ohne katholische Kirche im Stadtzentrum möchte unsere Gemeinde mit dem Neubau wieder mitten unter den Menschen den Glauben leben und verkünden. Damit Neugierige, Gäste, Passanten und Suchende Orientierung und einen Ort der lebendigen Gemeinschaft finden.”
Ich werde das Vorhaben kritisch begleiten und berichten, was Katholiken, aber auch andere Glaubensgemeinschaften in dieser Stadt machen. Vielen Dank für Ihre Kommentare!

Werter Ernst-Ulrich Kneitschel
“…vom üblichen Ort ihre Werktagsmesse…” liest sich für einen Atheisten, als sei es durchaus üblich, dass die katholische Kirche unter der Woche ihren Glauben feiert.
Es geht aber auch weniger um das wann und wo – das haben Sie sicherlich erkannt.

Für einen Werktagsgottesdienst war die Kirche sehr gut besucht. Die meisten Katholiken gehen nur sonntags in die Kirche.

“Knapp 100 Christen…” ?
Bei offizielll 20.000 katholischen Christen in Leipzig, scheint mir das erschreckend wenig.
Auch mit Hinblick auf diese riesige neue Kirche am Rathaus, die doch so zwingend und dringend nötig war.

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