Eine Mauer nahe dem Karl-Heine-Kanal: Philippus Leipzig – die Kirche mit dem Pfarrhaus – umrahmt von zwei Schriftrollen. Diese waren ursprünglich leer. Nun steht links „kein Gott“ und rechts „kein Staat“. Daneben hängt ein Blatt mit einer Einladung an die Sprayer zum Dialog: „Über Glauben kann man reden oder sprayen. Reden wir lieber. Ich koch den Kaffee, bringen Sie den Kuchen mit?“ Hier ist ein Ort des Dialogs, der Inklusion und der gelebten Begegnung.

Als die Kirche gebaut wurde, regierte in Deutschland ein Kaiser, klare Hierarchien prägten das staatliche und kirchliche Leben. In vielen Kirchen spiegelt sich dies in der Ausgestaltung. Anders hier: gebaut wurde ein Versammlungsort mit bogenförmig angeordneten Stuhlreihen. Diese setzen sich auf der Empore fort. Oberhalb des Altares findet sich die Kanzel, dahinter die Orgel, die noch original ist und nur zu 20 Prozent bespielbar ist. Der Organist sitzt seitlich und hat somit direkten Blickkontakt zur Gemeinde. „Der Innenraum der Kirche gleicht mehr einem Aufführungs- und Verhandlungssaal trotz seiner ernsten und edlen, auch des kirchlichen Schmuckes nicht völlig ermangelnden Gestaltung und Ausstattung“, nölte das Landeskonsistorium 1911.

Heute finden hier tatsächlich Konzerte statt. Neun Mal lädt Philippus 2015 dazu ein. Weitere Veranstaltungen werden von Gästen verantwortet, die den experimentellen Charakter, den noch morbiden Charme und vor allem die gute Akustik und Platzanordnung schätzen.

Innenraum der Philippuskirche. Foto: Ernst-Ulrich Kneitschel
Innenraum der Philippuskirche. Foto: Ernst-Ulrich Kneitschel

Das Berufsbildungswerk Leipzig, seit 2012 Träger, hat aber weitaus ehrgeizigere Pläne. Anfang 2017 soll hier ein Integrationshotel entstehen: „Davon träumen wir: Leipzig-Touristen buchen im 3-Sterne-Hotel Philippus. An der Rezeption erhalten Sie ihren Schlüssel und eine freundliche Erklärung zum Zimmerservice und Speisenangebot. Wen sollte es stören, dass einer der Rezeptionisten im Rollstuhl sitzt?

Mit dem Fahrstuhl gelangen die Gäste auf einen der breiten Flure im ehemaligen Pfarrhaus. Historische Türen, Dielen, hohe Räume und Fenster mit Blick über das Kirchendach. Ein blitzendes Badezimmer, moderne technische Ausstattung und weiß bezogene Betten. Wer hätte gedacht, dass die Schokolade auf dem Kopfkissen von einem jungen Mann mit geistiger Behinderung am Ende seines Reinigungsdienstes als Gruß hingelegt wurde?“

1993 wurde in Hamburg das erste Integrationshotel eröffnet, also eine Herberge, in der ein hoher Anteil von Menschen mit einer Behinderung arbeitet. Eltern von acht behinderten Kindern hatten das Projekt ins Leben gerufen, um ihnen eine aktive Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Die Idee hat sich von dort über ganz Europa ausgebreitet. Das 1907 bis 1910 erbaute Philippus-Ensemble soll nun das erste Integrationshotel in Leipzig werden. Genutzt werden soll dafür das ehemalige Pfarrhaus. Es wird ein kleines Hotel mit Betten. Es wird nicht leicht, das Angebot in der Stadt zu platzieren. Das wissen auch die Projektbeteiligten: „Knapp kalkulieren die Beherbergungsbetriebe, hart ist das Geschäft der Gastronomie. Doch die Alleinstellungsmerkmale eines historischen Hauses am Wasser, im Grünen und zugleich in Stadtnähe müssen zu Stärken werden. Die verkehrsgünstige Lage in Innenstadtnähe und doch in abgeschiedener Ruhe wird dem Betrieb helfen. Wenn es zudem gelingt, regelmäßig wiederkehrende Einzelgäste und Gruppen zu binden, kann Philippus auch wirtschaftlich bestehen.“

Philippus-Ensemble am Karl-Heine-Kanal. Foto: Ernst-Ulrich Kneitschel
Philippus-Ensemble am Karl-Heine-Kanal. Foto: Ernst-Ulrich Kneitschel

Die Jury des bundesweiten Gemeindewettbewerbs der evangelischen Zeitschrift Chrismon jedenfalls war begeistert: “An Philippus Leipzig beeindruckte die Juroren vor allem die Vielfalt der Aktivitäten und die Schaffung eines neuen Typs von Kirchlichkeit in einer weitgehend areligiös geprägten Umgebung. Die Kooperation von Gemeinde, Diakonie und Landeskirche, die Neugewinnung kirchenferner Menschen, das Zusammenwirken von Beteiligten mit und ohne Behinderung, so Brummer, „ist absolut beispielhaft“.”

Dafür gab es 3000 Euro, (1. Jurypreis). Mit dem Preisgeld soll der Eingangsbereich der Kirche hell und freundlich gestaltet werden. Ein wichtiges Anliegen, denn hier finden viele Begegnungen an der Schwelle zwischen Kirche und Stadt ihren Anfang.

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