Einmal jährlich treffen sich die Zeugen Jehovas zu einem Erinnerungsmahl im Königreichssaal. Brot und Wein wird durch die Sitzreihen gegeben. Sie sind eine Erinnerung an Jesus, der in ihrer Überzeugung seit 1914 im Himmel das "Königreich Gottes" regiert. In wöchentlichen Begegnungen wird die Bibel betrachtet und der Einsatz an den Wohnungstüren geübt. Seit 2006 sind sie eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. In Leipzig gibt es etwa 1.000.

Zeugen Jehovas kennt man – scheinbar. Sie gehen von Tür zu Tür. Sie wollen das Gespräch über Gott suchen. Sie möchten über die Bibel sprechen. In einer anderen Deutung als bei den Großkirchen gewohnt. Keine leichte Aufgabe in einer Stadt, die überwiegend nicht kirchlich gebunden ist. In Leipzig findet sich der Königreichssaal im Nordosten nahe dem Bahnhof Leipzig-Thekla in einem Industriegebiet. Das mehrstöckige Gebäude wurde von den Zeugen Jehovas selbst gebaut, soll heißen, die angefahrenen Materialien wurden von Gemeindemitgliedern selbst verbaut. Ergebnis der gemeinschaftlichen Bautätigkeit sind vier Säle auf zwei Etagen. 1.000 Besucher verteilen sich auf die Räume. Egal, in welchem man sich befindet: das Programm ist an diesem Abend identisch, auch die Predigten sind weitgehend gleich.  Es geht an diesem Karfreitag um die Erinnerung an das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern.

115.416 Versammlungen mit 8,2 Millionen regelmäßig im Predigtwerk aktiven Zeugen Jehovas verzeichnet die Statistik der Gemeinschaft im Jahr 2014. Das Zentrum der Gemeinschaft ist in New York. Geleitet wird sie von derzeit acht Männern, der “leitenden Körperschaft”. Charles Taze Russell gründete sie im 19. Jahrhundert. Bei ihrer Missionstätigkeit verteilen sie die Zeitschrift  „Der Wachtturm“. Zum Zweck der Publikation heißt es:

Ein Prediger der Zeugen Jehovas im Königreichssaal. Foto: Ernst-Ulrich Kneitschel
Ein Prediger der Zeugen Jehovas im Königreichssaal. Foto: Ernst-Ulrich Kneitschel

„’Der Wachtturm’ soll Jehova Gott, den höchsten Herrscher, ehren. Er macht seinen Lesern mit einer guten Botschaft Mut: Gottes Königreich im Himmel wird auf der Erde bald ein Paradies schaffen, in dem es nichts Böses mehr gibt. Er fördert den Glauben an Jesus Christus, der für uns gestorben ist, damit wir ewig leben können, und der heute als König im Himmel regiert. Der Wachtturm wird von Jehovas Zeugen herausgegeben und erscheint regelmäßig seit 1879. Er ist unpolitisch und stützt sich konsequent auf die Bibel.“ Er erscheint zweimal im Monat in 240 Sprachen und in einer Gesamtauflage von 53 Millionen Ausgaben. Die deutschsprachige Ausgabe wird in Selters nahe Limburg/Lahn gedruckt. Die Wachturm-Gesellschaft gibt daneben eine eigene Bibelübersetzung heraus: Die “Neue-Welt-Übersetzung” der Heiligen Schrift.

Wöchentliche und jährliche Zusammenkünfte prägen den Glaubensalltag. Dabei gibt es keine besonders hervorgehobenen Tage. Vielmehr richtet sich der Tag der Treffen nach praktischen Erfordernissen. Fixpunkt im Jahr ist das Gedächtnismahl. Dabei wird an Jesu Leben und Tod, nicht aber an seine Auferstehung erinnert. Zwar glauben die Zeugen an die Auferstehung Jesu, aber sie gehen davon aus, dass sie nur den Auftrag haben, seines Todes zu gedenken. Ein trinitarisches Verständnis ist der Gemeinschaft fremd. Jesus ist nicht wahrer Mensch und wahrer Gott: ” Wir nehmen aber auch ernst, was Jesus an anderer Stelle sagte: „Der Vater ist größer als ich“ (Johannes 14:28). Damit machte er klar, dass er nicht der allmächtige Gott ist. Aus diesem Grund beten wir Jesus nicht an”, heißt es dazu auf der Internetseite der Zeugen. Also eine eigenständige Bibelauslegung mit anderen Ergebnissen.

Königreichssaal bei Vollmond am 14. Nissan 2015. Foto: Ernst-Ulrich Kneitschel
Königreichssaal bei Vollmond am 14. Nissan 2015. Foto: Ernst-Ulrich Kneitschel

Das Gedächtnismahl wird aber nicht an diesem Tag gefeiert, weil es Karfreitag ist, sondern weil in diesem Jahr der 14. Nissan auf diesen Tag fällt. Es ist der einzige religiöse Feiertag. Alles andere entfällt, weil es aus Sicht der Zeugen nicht biblisch ist: Ostern, Weihnachten, auch Geburtstage werden nicht gefeiert. 144.000 Erwählte, die von Brot und Wein nehmen, können auf einen Platz im Himmel hoffen. Dort werden sie dann mit Christus regieren. Die genannte Zahl bezieht sich auf die Offenbarung des Johannes. Der Prediger im Saal spricht von zwei Einladungen:

“Es gibt ein ewiges Leben im Himmel und es gibt ein ewiges Leben auf der Erde. Aber es wird nicht so sein, dass wir uns das frei aussuchen können. Das hängt damit zusammen, dass unser Schöpfer Jehova Gott weiß, wo jeder von uns ihm am besten dienen kann. Er beruft jeden, der diesen Weg des Glaubens beschreitet, entweder zum ewigen Leben im Himmel oder zum ewigen Leben auf der Erde.” Klare Ansagen. Eine Überbevölkerung auf der paradiesischen Erde fürchtet man nicht: “Das überlassen wir Gott. Er findet einen Weg.”

Nach früheren Auseinandersetzungen ist inzwischen die Organtransplantation der Gewissensentscheidung des Einzelnen überlassen. Bekannt ist die Ablehnung von Bluttransfusionen durch die Zeugen Jehovas. Gerade bei Kindern beschäftigt das manchmal die Gerichte. Allerdings gibt es auch hier inzwischen differenziertere Stellungnahmen. So berichtete das Deutsche Ärzteblatt 2002:

Hinweisschild am Königreichssaal der Zeugen Jehovas. Foto: Ernst-Ulrich Kneitschel
Hinweisschild am Königreichssaal der Zeugen Jehovas. Foto: Ernst-Ulrich Kneitschel

“Durch die immer differenzierteren Möglichkeiten der Behandlung mit einzelnen Blutfraktionen, aber sicher auch auf Druck erkrankter und behandlungsbedürftiger ZJ ist die Watch Tower Society als religiöses Leitungsorgan mittlerweile zu einer modifizierten Position gekommen: Das „Gesamt“-Blut wird nun nach „primären“ und „sekundären“ Bestandteilen aufgeteilt; eine Transfusion mit einzelnen zellfreien Fraktionen wie etwa Gerinnungsfaktoren ist dem einzelnen Zeugen Jehovas erlaubt.”

Michael Bliesner von den Leipziger Zeugen Jehovas bestätigte diese Differenzierung. Es gibt eine Lehrentwicklung. In Leipzig arbeiten nach seiner Auskunft verschiedene Krankenhäuser mit den Zeugen Jehovas an individuellen Lösungen. Und wenn es zu Urteilen vor Gericht komme, werden diese anerkannt, betont er. Mit ihm und seiner Frau sprach ich über den Glauben der Gemeinschaft, die seit wenigen Jahren eine Körperschaft öffentlichen Rechts ist.

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