Einmal jährlich treffen sich die Zeugen Jehovas zu einem Erinnerungsmahl im Königreichssaal. Brot und Wein wird durch die Sitzreihen gegeben. Michael Bliesner ist als Beauftragter für Öffentlichkeit der offizielle Ansprechpartner von Jehovas Zeugen in Leipzig. Mit ihm nahm ich am Gedächtnismahl als stiller Beobachter teil. Im Anschluss sprach ich mit ihm und seiner Frau über den Glauben der Gemeinschaft.

Mit welchem Gefühl lebt man als Zeuge Jehovas in einer Stadt, die eher wenig mit Religion am Hut hat?  

Frau Bliesner: Das Gefühl, dass man den eigenen Glauben weitergeben möchte, ist schon da. Aber es ist jetzt nicht das Gefühl, wenn ich denjenigen nicht erreiche, ist er verloren. Am Ende entscheidet das Gott, wer in diesem Paradies leben darf, wen er für gerecht befindet. Und da ist es völlig uninteressant, ob dieser Mensch heute schon erreicht wird mit der biblischen Wahrheit. Auf irgendeinem Weg ergibt sich für jeden die Möglichkeit, das kennenzulernen. Wir vertreten auch nicht die Ansicht, nur wer ein Zeuge Jehovas ist, erlebt diese Rettung. Von daher ist es ein inneres Bedürfnis, das weiterzugeben. Aber am Ende muss es jeder Mensch selbst entscheiden, ob er sich diesem Glauben öffnet oder ob er sagt, ich gehe meinen Weg ohne das. Aber wir versuchen natürlich die Menschen zu erreichen, weil wir der Meinung sind, dass es auch das Leben heute bereichern kann. Man führt ein zufriedeneres Leben, der festen Überzeugung bin ich jedenfalls.

Herr Bliesner: Die christlichen Werte, die wir vertreten, sind ja – unserer Meinung nach – Sachen, die die Menschen besser machen im miteinander leben. Das versuchen wir umzusetzen: unseren Nächsten lieben wie uns selbst, wie das Christus gesagt hat, und versuchen, anderen zu helfen. Also praktische Hilfe – unabhängig von der Bibel und unseren Predigten – einfach helfen, wo Hilfe gebraucht wird. Was für uns Integration bedeutet- wir kümmern uns ganz viel um Menschen, die eine andere Sprache sprechen. Wir wollen das – nicht um Mitglieder zu gewinnen. Es ist ja so – es gibt bei uns keine Mitgliedsbücher. Wir haben demnach keinen Nutzen davon. In anderen Institutionen gibt es Steuern, da steht dann ein finanzieller Nutzen dahinter. Das ist bei uns nicht der Fall. Wenn jemand bei uns Zeuge Jehovas werden will, wenn er das wirklich möchte, kann er das tun. Ansonsten aber versuchen wir einfach, Menschen zu helfen.

Michael Bliessner, Zeugen Jehovas, Leipzig. Foto: Ernst-Ulrich Kneitschel
Michael Bliesner, Zeugen Jehovas, Leipzig. Foto: Ernst-Ulrich Kneitschel

Wie geschieht diese Hilfe?

Herr Bliesner: In Leipzig geschieht das vor allem durch die Lehrtätigkeit. Aber es gibt auch in Leipzig eine große Zahl von Leuten, die einfach dadurch, dass sie sich mit der Bibel auseinandergesetzt haben, ihr Leben verbessert haben. Zum Beispiel ganz konkret, indem sie das Rauchen oder das Trinken aufgegeben haben. Ich rede da jetzt auch von Alkoholikern oder Drogenabhängigen. Das ist aber dann nicht unser Verdienst, sondern geschieht einfach durch das, was in der Bibel steht. Wir versuchen den Menschen zu helfen, diese Lehren in ihrem Leben anzuwenden.

Ganz praktische Hilfe eher dann in Richtung Grimma oder alles, was entlang der Mulde liegt bis hin nach Dresden beim Hochwasser. Da waren wir im Einsatz und haben das von hier aus organisiert. Die Gemeinde hat gesagt, wir fahren da gemeinsam hin und helfen: nicht nur unseren Glaubensbrüdern, sondern allen. Das sind dann so direkte aktive Sachen, mit Muskelkraft oder richtig materieller Hilfe.

Ich halte noch mal fest: Man kann auch gerettet werden, wenn man nicht Zeuge Jehovas ist?

Herr Bliesner: Ja, weil das letztlich Gott entscheidet.

Da sind wir bei der Theologie. Es gibt einen Gott, Jehova, und es gibt den eingeborenen Sohn, Jesus, der gegenüber Gott eine untergeordnete Stellung hat.

Herr Bliesner: Genau. Tatsächlich Gott als das höchste Wesen, der Schöpfer aller Dinge. Jesus als erstgeborener Sohn. Jesus ist ja, wenn man sich die Bibel anschaut, “nur” ein Engel. Er wird ja auch als der Erzengel bezeichnet.

Aha …

Herr Bliesner: Sie haben da sicher einen größeren Überblick, Sie haben das studiert.

Ja, aber ich wollte jetzt nicht gleich meine andere Sicht einbringen, das können wir mal extra machen. Jetzt möchte ich einfach zuhören und verstehen.

Herr Bliesner: Ich finde gerade solche Diskussionen sehr spannend und anregend. Das kann einen von den Gedanken nur näher bringen. Es ist für mich auch ein guter Weg, andere Meinungen zu akzeptieren und zu sagen: ok, ich selbst habe zwar eine andere Überzeugung. Aber deswegen finde ich eine andere Meinung nicht schlecht, sondern ich finde den Austausch gut.

Stimmt, aber dazu muss ich zuerst die andere Überzeugung verstehen statt sie sofort mit meiner eigenen zu vergleichen.

Herr Bliesner: Genau.

Vollmond am 14. Nissan 2015. Foto: Ernst-Ulrich Kneitschel
Vollmond am 14. Nissan 2015. Foto: Ernst-Ulrich Kneitschel

Also Jesus ist ein Erzengel? Wie Gabriel, Rafael? Oder haben die andere Bezeichnungen?

Herr Bliesner: Ja, also die anderen werden nicht als Erzengel bezeichnet, da gibt es nur einen. Jesus ist der erste, den Jehova selber geschaffen hat. Wir sehen es so, dass er der Werkmeister war. Gott hat mit ihm zusammen alles weitere ins Dasein gebracht. Ein Gemeinschaftsprojekt zwischen Vater und Sohn. Den Heiligen Geist verstehen wir als Gottes wirksame Kraft.

Also keine Person. Die Schöpfung wurde dann in sechs Tagen erschaffen? Oder in symbolischen sechs Tagen?

Herr Bliesner: Wir verstehen das nicht als sechs buchstäbliche Tage. Aus unserem Verständnis funktioniert das nicht. Weil Teil der Schöpfung war ja, dass die Himmelskörper entstanden sind, dass Tag und Nacht entstanden sind. Wir sehen das eher als Schöpfungsperioden.

Aber es gibt keine Evolution?

Herr Bliesner: Wir verstehen das, was in der Bibel ist, doch als relativ wörtlich. Gott hat alle Dinge nach ihrer Art erschaffen. Natürlich gibt es innerhalb jeder Art so etwas wie Evolution. Aber das sind ja Sachen, wo die Wissenschaft selber hin- und hergerissen ist.

Frau und Herr Bliesner, ich danke Ihnen für das anregende Gespräch.

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