Doch. Es stimmt. Immer noch. Medienkonsum kann zu Wortschatz führen. Bei meiner neuesten Errungenschaft im Wortschatzkästchen handelt es sich allerdings um einen unattraktiven Neuzugang. Es geht um den Racheporno. "Na bravo!", dachte ich umgehend. Da hat sich der Mitmensch ja mal wieder richtig angestrengt und das wohl abstoßendste Kompositum erfunden, das man sich mittels der deutschen Sprache so zurechtstückeln kann: Das Grundwort im Kern seines Daseins eher Ödheit und Leere hinterlassend, das Bestimmungswort eine der traurigen Hauptursachen für den Zustand unserer Welt. Jetzt also auch im Zweierpack erhältlich.

Warum aber wird der Racheporno gerade jetzt ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit gespült? Offensichtlich liegt dies zum einen daran, dass man den Trend zu benennen hatte, dass manch einer Gefallen daran zu finden schien, nackige Tatsachen des Ex-Partners (laut Statistik allerdings eher der Ex-Partnerin) ins Netz zu stellen, um diese(n) öffentlich zu brüskieren. Zum anderen will Microsoft nun gegensteuern, wie der Presse zu entnehmen war, indem es eine Website anbietet, mit deren Hilfe man die Entfernung pornografischen Materials beantragen kann, das ohne die eigene Einwilligung im Internet herumgeistert.

Man muss selbst kein Filmchen ohne Sandalen vor der Schrankwand gedreht haben oder gar erfahrener Psychologe sein, um zu ahnen, dass ein Veröffentlichen intimer Bilder oder Clips einer doppelten Entblößung einer Person gleichkommt. Einer Zwangsentblößung im Grunde. Zwangsentblößungen aber waren und sind immer großer Mist.

Gegeben hat es das in anderem völlig anderen Zusammenhang auch schon zu früheren Zeiten.

Als 1954 das Nacktbadeverbot von der DDR-Regierung für die gesamte Ostseeküste durchgesetzt werden sollte und es teilweise zu unschönen Ausschreitungen gekommen sein soll, bei denen als Kritiker verdächtigte, bekleidete Badegäste beschimpft, gefesselt oder sogar zwangsentkleidet wurden, war guter Rat vonnöten. Von allen Seiten hagelte es Proteste. Die Schauspielerin Traute Richter zum Beispiel ereiferte sich in einem Brief an den damaligen DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl: Die Freikörperkultur habe über “alle spießbürgerlich-kapitalistischen und religiösen Vorurteile” gesiegt.

Sie beschuldigte das kapitalistische Amerika, das “dem kranken Gemüt mit Reizmitteln nachhelfen” müsse, indem man Menschen in “verwegene Bademoden” zwänge, die erotisch stimulieren und “den Textilkonzernen beträchtliche Summen” einbringen sollten. Ob dies tatsächlich der Fall war oder wie viel Wahrheit nun tatsächlich in dem Mythos steckt, die Ossis seien alle vor dem Mauerfall nackig im Vor-Baltikum herumgetobt, vornehmlich aus Opposition gegen den Staat heraus, das bleibt dahingestellt.

Fakt ist und bleibt: Nacktheit kann ganz schön falsch verstanden werden.

Und man kann nicht sagen, wir hätten in dieser Geschichte bisher irgendeine Übersicht gewonnen. Der eine empfindet Nacktheit als anstößig, der andere als sein gutes Recht, ein weiterer nutzt sie als letztes Mittel, um seinen Protest gegen politischen Unbill zum Ausdruck zu bringen. Manch einer geht einfach nur gern in Helmut-Newton-Ausstellungen. Und nicht wenige verdienen schlichtweg und ziemlich entromantisiert ihre Brötchen damit.

In den Medien gilt sie gern noch immer als kleiner Pseudo-Sturm im Wasserglas, der Karrieren zumindest noch zu bedrohen imstande ist. Je nach Resilienz des auserkorenen Opfers. Man erinnere sich nur an die öffentliche Schlachtung der ebenso zarten wie außerordentlich begabten Sibel Kekili aus Fatih Akihs “Gegen die Wand” vor etwa zehn Jahren, deren Vergangenheit ungewollt von der BILD-Zeitung ans Lichte gezerrt wurde und man Dinge enthüllte, welche die junge Schauspielerin vor allem ihren Eltern gern erspart hätte.

Mach einer wird jetzt sagen: Selber schuld!

Man muss sich doch nicht ausziehen oder gar Pornos drehen. Weder zu kommerziellen Zwecken noch für Vati im Hausgebrauch. Wer das tut, vernimmt man hier und da, sei einfach nur dämlich, gierig oder gar “naturgeil”. Da aber bis dato weder das eine noch das andere im Strafgesetzbuch als Delikt verankert ist, steht wie so oft eine Wertung dieses Treibens keinem zu.

Vielleicht sollte man die Energie des beliebtesten deutschen Volkssports, der allgemeinen Entrüstung, einfach einmal umlenken – auf die wirklichen Delinquenten? Auf die zum Beispiel, die sowohl körperliche und seelische Nacktheit für etwas nutzten, um jemanden zu entwürdigen. Um die ureigene kleinliche Kretinhaftigkeit zu zelebrieren samt armseligster Rachegefühle. Oder um schlichtweg Profit daraus zu schlagen. Aber ich fürchte, dass auch für heute noch im metaphorischsten Maße gilt, was Romy Schneider 1968 nach einem Besuch der Insel Sylt bemerkte: “In jeder Welle hängt ein nackter Arsch”.

Die Zahl der Ärsche, ob nun mit oder ohne Hose, hat seitdem nicht merklich abgenommen. Und das ist das eigentlich Pornöse.

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