Was macht eigentlich ein Rabbiner? Was bedeutet Orthodoxie? Auf verschiede Fragen gegenüber dem Judentum ging am Freitagmittag der Rabbiner Zsolt Balla in der Stadtbibliothek in einem Zeitzeugengespräch im Rahmen der Jüdischen Woche ein. Balla zeigte dabei auf, dass Tradition und Moderne im Judentum sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern in Leipzig zusammen möglich sind.

„Ich habe vor 13 Jahren aufgehört zu planen“, bemerkt Zsolt Balla zu seiner derzeitigen Lebensplanung. Ursprünglich hatte der gebürtige Ungar ein Studium der Wirtschaftswissenschaften absolviert. Mittlerweile ist er Rabbiner in der israelitischen Gemeinde zu Leipzig.

Die Religion stand am Anfang seines Lebens nicht im Mittelpunkt. „Als ich neun Jahre alt war, habe ich erfahren, dass ich jüdisch bin“, erzählt er von seinen säkularen Familienverhältnissen.

Nachdem er von seiner Herkunft erfahren hatte, ebnete sich nach und nach sein Weg zum orthodoxen Judentum. „Meine Mutter fragt bis heute, was habe ich falsch gemacht?“, schildert er die Reaktion seiner Entscheidung. Sein nicht jüdischer Vater hingegen unterstützte ihn.

„Modernes und traditionelles Judentum schließen sich nicht aus“, meint er zur Frage nach der Orthodoxie. Der Begriff ist für ihn positiv besetzt und bedeute nur, dass man sich an die religiösen Gesetze hält. „Die Orthodoxie ist nicht nur die eine Möglichkeit“, weist er auf die mehreren Strömungen hin.

Kerstin Plowinski (Ephraim Carlebach Stiftung) und Rabbiner Zsolt Balla. Foto: Alexander Böhm
Kerstin Plowinski (Ephraim Carlebach Stiftung) und Rabbiner Zsolt Balla. Foto: Alexander Böhm

„Ich bin kein Politiker, ich bin ein Rabbiner“, führt er generell zu politischen Äußerungen aus. „Als Rabbiner finde ich es sehr gefährlich, politische Statements abzugeben.“

Wo man dann doch merkt, dass die Tradition eine entscheidende Rolle spielt, ist bei der Frage nach Mann und Frau. „Nur beim Gebet“, weist Balla auf die Trennung in der Gebetsstube hin. „Die anderen Bereiche sind für Männer und Frauen dieselben.“ Im orthodoxen Judentum gibt es keine Rabbinerinnen, diese sind nur im reformierten möglich.

Leipzig war in seiner jüdischen Geschichte sehr liberal. Entsprechend kritisch beäugt wurde er beim Amtsantritt. Passt ein Orthodoxer überhaupt in diese Gemeinde? „Die Synagoge muss so sein, dass jeder Einzelne hereinkommen kann“, ist seine Antwort darauf. Er vertritt die Idee der Einheitsgemeinde, wo jeder willkommen ist.

„Vielleicht an einem Tag wird die Gemeinde so wachsen, dass es in der Gemeinde eine Nachfrage für eine weitere Synagoge gibt“, zeigt er ein mögliches Szenario für einen traditionelleren Weg auf. Mit circa 1.300 Gemeindemitgliedern ist das zurzeit aber nicht gegeben.

Auch wenn die Gemeinde im Vergleich zur Zeit vor der Judenverfolgung in Deutschland noch relativ klein ist, gibt es für den Rabbiner viel zu tun. Alle Arten der Seelsorge fallen darunter. Außerdem unterrichtet er jüdische Liturgie in Leipzig und Berlin und gibt Online-Unterricht für 20 bis 30 Juden, die über Deutschland verteilt sind. „Ich bin von 7:45 Uhr am Morgen bis 11 Uhr in der Nacht beschäftigt.“

Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die religiösen Speisegesetze: Essen muss koscher sein, dass heißt, es muss zum Verzehr erlaubt sein. „Ein Rabbiner muss gleichzeitig Psychologe, Erzieher, Manager und Lebensmittelchemiker sein und muss Verständnis für die Lebensmittelindustrie und ihre Geräte haben“, beschreibt er den mitunter aufwendigen Prüfprozess. „Es ist ein sehr abwechslungsreicher Job.“

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