Das Lichtfest 2015 wird wieder etwas kleiner als im Vorjahr. 2014 wurden ja 25 Jahre Friedliche Revolution gefeiert - ohne Denkmal, aber mit lauter Staatspräsidenten. Diesmal wird es dafür einen großen Chor geben, ein bisschen Erinnerung an das stolze Griechenland und den französischen Traum von "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit." Und ein Autobahnschild, sogar zwei. Drei sind es nun insgesamt.

Das erste gab’s vor drei Jahren. Es wirbt für die Stadt der Friedlichen Revolution. Das zweite und dritte sehen nun genauso aus, stehen aber woanders. Der Kampf um die Plätze an der Autobahn ist ja heftig, hier wollen Städte, Burgen, Denkmale, ganze Touristikregionen beworben sein. Auf dem Augustusplatz präsentierte die Leipzig Tourismus und Marketing (LTM) GmbH in der vergangenen Woche das neue touristische Hinweisschild: Die 3,60 Meter breiten und 2,40 Meter hohen Informationstafeln werden nun an der Autobahn A 14 auf Leipzig als Stadt der Friedlichen Revolution verweisen.

Danach ging’s dann noch ein bisschen um das Lichtfest 2015, das wieder am 9. Oktober auf dem Augustusplatz stattfinden wird.

Jürgen Meier, der künstlerische Leiter des Lichtfestes, verwies darauf, dass das Lichtfest diesmal etwas philosophischer wird. Oder sollte man sagen: Mehr griechische Tragödie als moderne Seifenoper? Was zum Hinhören, wenn der große Chor ertönt? – Jürgen Meier: “‘Das Beste kommt noch’, so schreibt es Ernst Bloch in seinem ‘Das Prinzip Hoffnung’ – Auszüge aus diesem Buch werden wir während des Lichtfestes hören. Es fragt danach, welche persönlichen Utopien, welche Tagträume, uns antreiben und wie der Schritt zu einer Gesellschaft freier selbstbestimmter Menschen gelingen kann. Es geht um das ‘Ich’ und das ‘Wir’. Florian Lukas wird die Textpassagen vortragen und der Utopie Blochs die Stimme leihen.”

Eine echte Lesempfehlung. Nur zur Erinnerung: 1989 war Blochs Buch in der Taschenbuchausgabe des Suhrkamp Verlages eines der meistzitierten Bücher in Leipzig. Das war der Maßstab, an dem die friedlichen Diskutierer die alte Gesellschaft maßen und für zu leicht befanden. Ein zutiefst humanistischer Anspruch – und ein zutiefst linker, wenn man das mal so betrachtet aus der Perspektive einer Zeit, in der wieder eine ganze gesellschaftliche Elite und ihre Claqueure alles verteufeln, was links ist, ohne je begriffen zu haben, dass links immer Veränderung hin bedeutet zu einer freien Gesellschaft ohne Diktat und Bevormundung. Bloch wusste das noch – und ging damals lieber in den Westen, als sich von den Möchtegern-Linken im DDR-Staatsapparat schikanieren zu lassen.

So gesehen: Eine mutige Inszenierung, die Jürgen Meier da 2015 wagt und die Friedliche Revolution damit wieder ein Stück zurückverschiebt in die Reihe der utopischen und hoffnungsvollen Revolutionen Europas, alles Revolutionen nach dem “Prinzip Hoffnung”.

Utopien fehlen oder sind unrealistisch

Und das brachte dann der Schauspieler Florian Lukas, den man am 9. Oktober auf dem Augustusplatz erleben wird, beim Fototermin mit Autobahnschild am Mendebrunnen aus seiner Sicht auf den Punkt: “Wir erleben heute eine Zeit, in der Utopien fehlen oder unrealistisch sind, eine Zeit, in der wir mehr reagieren als agieren. Umso wichtiger ist es, zurückzublicken. Wo kommen wir her? Wie finden wir zurück zu einem Leben, das so wie damals Gedanken jenseits des Alltagsgeschäfts zulässt? Für mich persönlich ist die Teilnahme an einem Format wie dem Lichtfest ein Riesenabenteuer. Mich mit den Texten Ernst Blochs zu befassen, ist das eine. Gespannt bin ich aber auf die Proben und darauf, wie sich die Texte auf den Platz übertragen lassen. Sie sind sehr nachdenklich, und ich glaube im Kontext der Musik und der Bilder und Videos wird das gelingen.”

Vorgetragen von Florian Lukas ziehen sich am 9. Oktober Auszüge aus Ernst Blochs „Das Prinzip Hoffnung“ wie ein roter Faden durch das Programm. Bloch verfasste sein Hauptwerk in den 1940er Jahren fernab der eigenen Heimat im amerikanischen Exil. In „Das Prinzip Hoffnung“ beschreibt er seine Philosophie der „konkreten Utopien“, der „Tagträume“, die sich erfüllen, wenn der Mensch den Sprung vom „Reich der Notwendigkeiten“ in das „Reich der Freiheit“ meistert. Ernst Bloch hatte von 1948 bis 1961 den Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Leipzig inne und avancierte mit seiner Philosophie einer besseren sozialistischen Zukunft freier, selbstbestimmter Menschen zu einer der führenden Geistesgrößen der DDR.

Sind Utopien wirklich unrealistisch geworden, bloß weil Kanzlerinnen und andere Wortführer immer wieder Worte wie “alternativlos” benutzen? Allein der Blick auf das europäische Flüchtlingsdrama zeigt: im Gegenteil. Es sind Regierungen, die auf der Welle nationalistischer Vergangenheitsträume an die Macht gekommen sind, die jetzt wieder ihre Grenzen verrammeln und Bewegungen Vorschub leisten, die in Europa keine Utopie sehen, sondern ein “zu volles Boot”.

Allein der Blick in die Tagespresse zeigt, wie schnell die Konservativen des Kontinents bereit sind, wieder alles über Bord zu schmeißen, was einmal die Ideale der europäischen Revolutionen waren – Freiheitsrechte zuallererst. Ein Zeichen für völlige Kulturlosigkeit, denn schon der simpelste Blick in die Geschichte zeigt, dass Europa nicht durch die nationalen Egoismen reich und attraktiv geworden ist, sondern durch einen intensiven geistigen und kulturellen Austausch.

Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit?

Das bringt Alessandro Zuppardo, Chordirektor der Oper Leipzig, ein wenig auf den Punkt, wenn er das Musikprogramm für den 9. Oktober beschreibt: “Ich bin überzeugt, dass wir eine sehr glückliche Musikauswahl getroffen haben. Wir haben Stücke ausgewählt, die das Thema ‘Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit?’ wunderbar transportieren. Zunächst stimmen wir die Besucher des Lichtfests mit Arvo Pärts ‘Da pacem Domine’ auf den Abend ein. Pärt schrieb das Werk 2004 vor dem Hintergrund der Terroranschläge in der Madrider U-Bahn. Im Laufe des Abends folgen dann unter anderem ein Madrigal aus dem 16. Jahrhundert, das von Respekt und Identität in einem fremden Land handelt. Mit ‘Die Gedanken sind frei’ haben wir uns zudem für ein Stück entschieden, dessen Motiv bereits im Minnesang des Mittelalters bekannt war und dann durch die Jahrhunderte hinweg bis zur Widerstandsgruppe der ‘Weißen Rose’ immer wieder zum Einsatz kam.”

Das ist mal ein Bogen und man kann nur wünschen, dass das am Abend des 9. Oktober genauso auch erlebbar wird. Auch als ein kleines, gesungenes Signal aus Leipzig, dass Revolutionen nicht wirklich zu Ende sind, wenn sie ihre Ziele nicht erreicht haben. Sie können auch gründlich scheitern, wenn sich die alten Mächte mit aller Waffengewalt wehren, wie wir das seit 2011 im sogenannten “Arabischen Frühling” erlebt haben.

Und wo sieht man nun die neuen Autobahnschilder?

In Richtung Dresden wird das Schild zwischen den Anschlussstellen Schkeuditz und Leipzig-Nord aufgestellt; in Richtung Magdeburg zwischen Kleinpösna und Leipzig-Ost. Das Motiv zeigt die Stadtsilhouette Leipzigs im Hintergrund. Am rechten Bildrand dominiert das markante, mit einem Palmwedel gekrönte, Kapitell der Nikolaisäule als Symbol der Ereignisse im Herbst 1989. Eine ähnliche Tafel wirbt bereits seit 2012 an der Autobahn A 9 bei Großkugel in Sachsen-Anhalt.

„Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit?“ lautet das Motto des Lichtfestes Leipzig 2015 – kritisch hinterleuchtend und daher mit einem Fragezeichen versehen. Aus Anlass des Jubiläums 25 Jahre Deutsche Einheit befasst sich das künstlerische Programm mit den Themen Integration und Identifikation, mit Heimat und Fremde. Nicht nur im geeinten Deutschland der 1990er Jahre waren diese Schlagworte zentral. Heute sind sie aufgrund der nach Europa drängenden Flüchtlinge gegenwärtiger denn je. Das Lichtfest Leipzig beginnt um 20 Uhr auf dem Augustusplatz.

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