Viele kennen diesen Begriff, der in der vergangenen Woche auch unter dem „S“ hätte erklärt und beschrieben werden können. Ein Begriff, welcher zum Etikett geworden, jeder der letzten Generationen an den Rock oder das Rip-Shirt hätte geheftet werden können: „S wie Spaßgesellschaft“.

Spätestens seit Markus Mörls deutschpoppig-kreischendem Diktum „Ich will Spaß!“ aus dem Sommer 1982 wissen wir, was wir erwarten können. „Kugelblitze und Raketen“ hieß das Album, aus dem die Träume waren. Träume? Alpträume für Senioren, Kleinkinder und Tiere an Silvester – Allgegenwart in unzähligen Regionen unseres Planeten. Steigt man wie ich in diesen kälter werden Tagen auf den „Verkehrsmix“ (altes Auto – neues Fahrrad – teure Monatskarte) um, dann kann man sie allmorgendlich sehen, unsere „Spaßgesellschaft“. Nicht nur jugendliche Hände befummeln und führen sie, die Smartphones in der Frühe, die Gespräche bei Sonnenaufgang im öffentlichen Raum. Jeder für sich und nie allein.

Fast scheint einem die wachsende Popularität der Populisten am rechten Rand logisch und nachvollziehbar: Bei so viel Anonymisierung, Einsamkeit und teils unverhüllten Aggressionen in der pulsierenden Stadt treibt es so manchen zu ausländerfeindlichen Versammlungen auf den Marktplätzen, dort, wo man in der Masse steht …? „Du bist nichts, dein Volk ist alles.“ – Syntaktisch-parallele Demagogie heutiger Rechtspopulisten. Im Original (1934) Joseph Goebbels, früherer „Kommunikationsstratege“ der Nazis im „dritten“ aller deutschen „Reiche“.

Indes sieht man den Spaß nur begrenzt in der Gesellschaft. Der ist auch gar nicht so kollektiv, wie man ihn sich in der „Wohlstandsgesellschaft“ gemeinhin so vorstellt. Da fällt es in der Einkaufsschlange schwer, lähmende Giftzähne zu überhören, besser noch: Sie selbst gar nicht erst auszufahren. Aber der Kiefer klappt einem schon mal aus und herunter, wie sich die Gesellschaft auf das höchste aller Feste – den Weihnachtsmarkt natürlich – vorzubereiten beginnt.

Nun suchen wir alle nach Oasen des Friedens und wie wir da hinkommen. Ob mit dem Bus, dem Auto oder dem Rad. Zur Zu-Frieden-heit gelangen. Materiell ist das schwierig. Nichts kauft man für die Ewigkeit. Für die Küche ein neues Gerät, für das Handy ein Update, für das Computerprogramm ein Upgrade, neue Beziehungen ein neues Date und für alles ist es irgendwie immer schon zu spät. Viel „Input“, aber wohin damit? „Alles muss raus!“ – so beginnt nicht nur ein Räumungsverkauf eines Möbelladens, sondern auch eine Geschichtsstunde in der Schule.

„Bereits Luther erkannte, dass der Mensch spirituellen Trost sucht, geistige Hilfe angesichts des beschwerlichen Lebens und des nahenden Todes. Ist unser Leben beschwerlich?“ – „Wenn Sie solche Fragen stellen …“ lacht mich Clara müde an. Ich spüre bei den Jugendlichen immer wieder, dass so etwas wie Hoffnung nicht unbegründet scheint, dass viele (manche?) von ihnen die soziale Entfremdung in dem vor ihnen liegenden Berufsleben fürchten und sie daher nach Alternativen suchen. Noch liegen sie häufig in den Adaptionen der „Erwachsenwelt“, noch: Haste was, dann biste was. Der Menschen denkt an sich, selbst zuletzt. „Verändern wir doch einmal geringfügig die Interpunktion des Satzes …“.

Weiteres Lächeln. Sie verstehen. Ich zeige ihnen die Anwendung der lutherischen Theologie – „Der Gerechte wird aus dem Glauben leben.“ (Römer, 1, 17) – hin zum humanistischen Konzept eines Friedrich Schillers: „Die Natur fängt mit dem Menschen nicht besser an als mit ihren übrigen Werken: sie handelt für ihn, wo er als freie Intelligenz noch nicht selbst handeln kann. Aber eben das macht ihn zum Menschen, dass er bei dem nicht stillsteht, was die bloße Natur aus ihm machte, sondern die Fähigkeit besitzt, die Schritte, welche jene mit ihm antizipierte, durch Vernunft wieder rückwärts zu tun, das Werk der Not in ein Werk seiner freien Wahl umzuschaffen und die physische Notwendigkeit zu einer moralischen zu erheben.“ – „Was heißt ‚antizipieren‘?“ ruft Martha dazwischen.

„Vorwegnehmen“. Nehmen wir das, was die Natur uns „vorwegnahm“, wieder zurück. Indem wir uns als kulturelle Wesen begreifen, die verstehen, dass ihr Dasein auf diesem Planeten endlich ist. Damit wir diese Billigung erfahren, müssen wir sie allen zubilligen. Weg von einem Denken, welches für einen Teil der Menschen das Paradies, für den anderen die Hölle vorsieht. „Brüder, überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen“ ruft Schiller überschwänglich aus. In Leipzig oder Dresden im Jahre 1785. Es ist kein Vater, der nur seine Erstgeborenen liebt, nur den Treuen und Braven, den angepassten Zu- und Wegschauern, nein, er bleibt einer, der alle annimmt. Und seien sie noch so weit weg vom eigenen Denken. So gescheitert, wie man diesen Idealismus ansehen kann – immerhin konnte er Welt- und neue Kriege nicht verhindern – neben dem Ab- und Hinterfragen sozialökonomischer Gesetze bleibt er konkret utopische Richtschnur unseres Handelns.

„Ich bin Atheist. Kein Christ.“ Meint Luise. „Dann ersetze ‚Gott‘ durch ‚Gewissen‘. Das ist für manchen zu hoch, ich weiß. Aber immer noch besser als das horizontale ‚Auge-um-Auge-Zahn-um-Zahn‘- Prinzip. Ich denke, jeder soll an sich denken – dann soll doch auch jeder für sich arbeiten, oder? Auch für sein Gewissen. Oder haben wir das im ‚Kaufland‘ gegen etwas anderes eingetauscht?“

Starker Tobak. Trost. Und wir haben erst Anfang November. „Wir verstehen Sie. Weil Sie hinter dem stehen, was Sie uns sagen.“ Sagt mir der eine oder andere Blick. Ja, ist denn heut schon Weihnachten? (Im „Kaufland“ schon.) Nein, aber gut, sich vorher zu sagen, am Morgen danach mit Luther zu beginnen. „Der Gerechte wird aus dem Glauben leben.“ An den Menschen in ihm selbst. Gut so.

Das Bildungsalphabet erschien in der LEIPZIGER ZEITUNG. Hier von A-Z an dieser Stelle zum Nachlesen auch für L-IZ.de-Leser mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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