Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus. Rassistisches Denken ist tief in der Gesellschaft verankert. Die NPD wurde 2014 im Sächsischen Landtag nach zehn Jahren von einer kaum weniger fremdenfeindlichen AfD abgelöst. Hinzu kommen eine militante Neonazi-Szene, PEGIDA und zahllose Anschläge auf Asylunterkünfte. Das Kulturbüro Sachsen versucht sich in der Broschüre „Sachsen rechts unten“ an einer Bestandsaufnahme.

Das Infoheft ist ein gemeinsames Projekt von Kulturbüro Sachsen und der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Anspruch der Verfasser ist, „exemplarisch zu beschreiben, welche Ziele die sächsische Neonazi-Szene, die Bewegung der Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (PEGIDA) oder die asylfeindlichen, teilweise gewalttätigen Proteste verfolgen, welche Wirkmächtigkeit sie entfalten können und welche Gefahren daraus resultieren.“

Die Autoren nehmen den Leser mit auf einen Streifzug durch den sächsischen Rechtsextremismus. Sie beschreiben den Niedergang der NPD und das Erstarken von „Ersatzparteien“ wie „Die Rechte“ und „Der III. Weg“. Sie analysieren die asylfeindlichen Protestwellen am Beispiel der Vorfälle in Chemnitz-Einsiedel. Den Organisatoren der aggressiven Proteste attestieren sie einen hohen Vernetzungsgrad „in unterschiedliche gesellschaftliche Richtungen“. Ein Phänomen, das sich übrigens auch bei ähnlichen Protestwellen in Leipzig live 2015 und 2016 beobachten ließ.

Sechs der 32 Seiten widmen die Verfasser den Schwerpunkten rechtsmotivierter Gewalt im vergangenen Jahr. Gemeinden wie Freital, Heidenau und Meißen sind längst Synonyme für die permanente Gewaltbereitschaft des Milieus. Nicht minder umfassend fallen die (überblicksartigen) Abrisse über die GIDA-Bewegung und rechtspopulistische Strömungen aus.

Die Darstellungen sind allerdings nicht immer frei von Fehlern. Im Abschnitt über „Die Rechte“ ist beispielsweise zu lesen, dass Daniela Stamm 2014 nach ihrem Wechsel von der NPD zu der Worch-Partei als gewählte Kreisrätin einzige Mandatsträgerin der Rechten in Deutschland gewesen sei. Tatsächlich hatte „Die Rechte“ zu jener Zeit weitere Mandate inne, nämlich in einem niedersächsischen Kreistag und Stadtrat sowie in der Dortmunder Gemeindevertretung. Es mag der sächsischen Brille geschuldet sein, nimmt man nur die im vergangenen Jahr bestehende Gefahrenzunahme seitens der Partei “Die Rechte”.

In Sachsen lag sie bei 11 Anhängern, in Dortmund wurde sie zu einem echten Sammelpunkt rechtsextremer Kräfte. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Broschüre als Arbeitsmittel für die Szeneentwicklungen in ganz Deutschland nur bedingt benutzen, zeigt jedoch Linien auf, denen man durchaus folgen kann.

Das eigentliche Problem

Wie so oft kommen Publikationen dieser Art zu spät, sind über die Friedrich-Ebert-Stiftung finanziert und somit parteiisch. Der Tonfall bleibt ein historischer, welcher sich in Zeiten rasch wandelnder rassistischer Strukturen und der aktuellen Beobachtungen im Netz wie ein Anachronismus ausnimmt. In einigen Passagen gemahnt die Broschüre an einen Ersatz für den üblich schlechten Verfassungsschutzbericht in Sachsen, wenn es um “neue” Strukturen in der rechtsradikalen bis -extremen Nische geht. Ohne das Zahlenmaterial des Geheimdienstes, welches eine Systematik erkennen ließe und so auch beim Verfassungsschutz kritisierbar, weil oft schief wird.

Dass es bei den Beschreibungen immer wieder um Chemnitz und das Umland geht, zeigt ein zweites Problem. Bis heute haben sich in der südsächsischen Stadt keine Medienstrukturen außerhalb der Zeitung “Freie Presse” gebildet – eine differenzierte Wahrnehmung und Medienvielfalt ist in der 240.000-Einwohnerstadt nicht vorhanden. Weshalb dieser Bereich nun durch eine SPD-Stiftung in Form einer Broschüre Monate hinter der Zeit abgedeckt werden muss.

Nicht grundlos fehlt also eine Beschreibung und Analyse des Niedergangs Legidas in Leipzig und den Querelen bei Pegida in der jüngsten Zeit. Insofern: Gute Informationen, aber immer ein wenig hinter der Uhr, welche beständig weitertickt. Über Legida beispielsweise erfährt man nichts, was nicht seit bis zu einem Jahr bekannt wäre. Zeit genug eigentlich, bei guter Finanzierung mehr anzubieten.

Die Publikation lässt sich hier als PDF-Dokument (3,5 MB) kostenlos downloaden

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