Leipzig weiß einfach, wie es geht: Die Burka-Debatte hat hier Tradition. Die hiesige CDU arbeitet zum Beispiel schon lange an einem Burka-Jung-Verbot, bislang allerdings mit nur mäßigem Erfolg.

Gott sei dank sieht es da auf anderen Gebieten viel hoffnungsvoller aus – auf dem des Schulsystems zum Beispiel. Da herrscht seit Ende letzter Woche nämlich vollumfänglich Grund zur Freude: Sachsen hat erneut Platz 1 innerhalb einer alljährlich durchgeführten Vergleichsstudie der Länder errungen. Das Ding heißt auf erwachsenendeutsch „Bildungsmonitor“ und bewertet anhand von zwölf Handlungsfeldern und 93 Indikatoren die Bildungssysteme der Bundesländer.

Abgesehen davon, dass ohne Föderalismus viele Menschen tätigkeitslos wären, die sich so etwas wie den Bildungsmonitor ausdenken, sind wir hierbei also wieder Sieger! Wahnsinn!

Grund genug fürs Kultusministerium in Dresden, sich hochgradig zufrieden zurückzulehnen und sich in all seinen Bemühungen bestätigt zu sehen

Aber haben wirklich alle so viel Grund zur Heiterkeit?

Kein Zweifel. Einige können wirklich feiern. Die erwähnten Repräsentanten sächsischer Bildungspolitik zum Beispiel. Denn für diese kommen die Ergebnisse der Studie genau zur rechten Zeit: Zu präsent sind vielen noch die Eindrücke eines recht verunglückten Hochstarts ins gerade begonnen habende Schuljahr, der insoweit aufregend zu verlaufen wusste, dass man die hohe Zahl an abgesprungenen Lehrern mit einer Riesenportion an Quereinsteigern aufzufüllen versucht. Dagegen muss die Meldung der Erfolge innerhalb des Bildungsmonitors wie Balsam gewirkt haben.

Sachsens Schulsystem ist und bleibt attraktiv. Für wen aber besonders, erschließt sich bei einem genaueren Blick darauf, in wessen Auftrag die Studie in erster Linie absolviert wird.

Der Fokus des Bildungsmonitors, vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft und der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft erstellt, richtet sich auf die Frage, inwieweit das Schulsystem der Wirtschaft nutzt. Inwieweit es Wachstum fördert. Es nimmt also eine rein ökonomische Sichtweise ein. Das ist zunächst ja nichts Verwerfliches. Ganz ohne Wirtschaft wird es ja auch nichts mit modernem, gelingenden Leben. Und dafür bedarf es der Fachkräfte. Wie erfolgreich ein Bildungssystem dabei ist, das darf man durchaus einmal fragen.

Aber kann es der einzige Lichtkegel sein, der öffentlich und unter größerer Beachtung über den nachtschwarzen Himmel der Bildungslandschaft geworfen wird? Ich finde nicht.

Es ist der Mangel an Grundsatzfragen, der mir in der politischen Debatte am seltsamsten vorkommt. Der grundsätzlich verstörend wirkt. Irgendwie scheint man unausgesprochen von einem auszugehen: Das System, das einzige, das uns aufgrund fehlender Phantasie und vielleicht auch Mut in homöopathischen Dosen geblieben ist, ist nicht infrage zu stellen. Das System des Kapitalismus mit seiner sich nach oben schraubenden Wachstumshörigkeit und sich sichtbar verschärfenden Klassengegensätzen wird per se als gut empfunden. Vielleicht ist es tatsächlich das einzig mögliche Gesellschaftssystem der Menschheit, auf deren wichtigste Eigenschaft, die Gier, man immer setzen kann. Insofern ist das alles stringent.

Trotzdem dreht sich mir der Magen um, wie man sich mit den Ergebnissen des Bildungsmonitors nicht nur zufrieden zeigt, sondern fast glücklich. Und das in Sachsen, wo die Städte Dresden, Freital, Clausnitz und Co. im letzten Jahr für traurigste überregionale Schlagzeilen sorgten. Wo man offensichtlich eine nicht geringe Zahl – auch an jungen Menschen – zurückgelassen hat, die sich unfähig und unwillig zum politischen Diskurs zeigt und statt politischer Bildung vor allem in zunehmendem Maße Enttäuschtheit und sogar Verrohung vorzuweisen wünscht.

Da sind wir eben auch Nr. 1 gewesen im letzten Jahr. Da auch.

Überdies befremdlich wirken die Bemühungen seitens des Kultusministeriums im Zuge des sächsischen Spitzenplatzes im Bildungsmonitor, jegliche Strukturreform im Keime zu ersticken. Mit anderen Worten: Das zum Beispiel in vielerlei Hinsicht dem Menschen förderliche längere gemeinsame Lernen als erfolgsfeindlich zu verteufeln, weil man auf dem Gebiet der Forschungsorientierung und der Schulqualität vorne liegt, erscheint zumindest hinterfragenswert. Vor allem vor dem Hintergrund des bundesweit höchsten Anteils ausländischer Schulabbrecher, den man ja auch aufweist. Das bestehende Bildungssystem im Hinblick auf uns zukommender Aufgaben im Rahmen verstärkter Zuwanderung als besonders zukunftsweisend zu zelebrieren, wirkt wie eine abenteuerliche Sichtweise einer satten Gesellschaftsschicht, die es offenbar wenig anficht, wenn stoisch weiter an einem Menschenbild herumgedoktert wird, das diesen auf seine Arbeitsmarktverwertbarkeit reduziert.

Hauptsache, es bleibt alles wie es ist. Oder wird noch ein bisschen besser, noch ein bisschen schöner.

Es wäre falsch, die durchaus vorhandenen Erfolge des sächsischen Schulsystems komplett infrage zu stellen. Die gibt es. Und die sind das Resultat der Engagiertheit von Menschen, die sich einsetzen. Täglich. Mit Kraft, mit Ideen. Mit im bundesdeutschen Vergleich überschaubarer Bezahlung. Dies gilt es zu würdigen. Wenn man mit diesen in anderen Strukturen weiterarbeitete, warum sollte ausgerechnet dies nicht gelingen?

So gesehen wiederum stimmt auch mich das Ergebnis des Bildungsmonitors 2016 froh und zuversichtlich.

Doch bedenken wir ab und zu: Wo alles immer besser wird, muss noch lange nicht alles gut sein.

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