KommentarSehr geehrter Christoph Harting, wir nehmen Ihre Entschuldigung nicht an. Sie müssen sich für nichts entschuldigen, schon gar nicht vor all diesen drögen Nachtgespenstern, die es einfach nicht ertragen, dass ein Olympiasieger aus Deutschland zur Nationalhymne auf dem Siegerpodest tanzt. Eine Nationalhymne, zu der man auf dem Siegerpodest nicht tanzen darf, ist es nicht wert, Nationalhymne zu sein.

Nicht in diesem Jahrhundert, in dem die stocksteifen Nationalisten wieder anfangen, uns den ganzen Mummenschanz eines schweinsledernen Zeitalters als Allheilmittel für die Schmerzen der Gegenwart anzudienen. Wo sie den alten, toten Bismarck wieder aus dem Sarg holen und von nationalen Werten und christlichem Tinneff reden, als wenn das der Kitt für eine moderne Gesellschaft sein könnte.

Wir haben nicht nur eine dröge Nationalhymne, sondern sogar eine tote. Totgeblasen und zu Tode marschiert.

Sie stammt aus einer Zeit, als es fĂĽr Demokraten und Liberale in einem filetierten Deutschland noch darum ging, ĂĽberhaupt erst eine nationale Einheit herzustellen.

1841 war das, als der seinerzeit 43-jährige August Heinrich Hoffmann von Fallersleben sein „Lied der Deutschen“ schrieb. Da war das Gedicht noch zeitgemäß. Da erzählte es von einem groĂźen Traum, den Hessen, Sachsen, Niedersachsen und Schwaben träumten: endlich mal nicht mehr in einem zersplitterten Flickenteppich leben zu mĂĽssen mit dutzenden ĂĽberflĂĽssiger FĂĽrsten, feudalen Gesetzen und Zensurbehörden, sondern in einer einigen, stolzen Nation. Auf Augenhöhe mit anderen, die das schon lange geschafft hatten – den Franzosen, den Engländern.

Der Weg bis zur ErfĂĽllung war stein- und dornenreich. Aber 1871 war er geschafft. Auf die ĂĽbliche Methode in deutschen Landen: als fĂĽrstlicher Staatsakt, preuĂźisch-national.

Und das war der Zeitpunkt, an dem nicht nur dieses „Lied der Deutschen“, sondern auch die anderen Gedichte des zunehmend konservativer denkenden Hoffmann aus Fallersleben ihre andere Seite entfalteten, nämlich die chauvinistisch angehauchte, die sich abgrenzte und überhob über die anderen. Und je lauter der Text nach Haydns altem Kaiserlied von 1797 geschmettert wurde, um so fürchterlicher zeigte sich die Fratze eines Deutschland, das sich nun mit bärbeißiger Miene zum Lehrmeister und Feldwebel der Welt aufschwingen wollte.

Als Friedrich Ebert das Lied 1922 zur Nationalhymne des Deutschen Reiches erklärte, war die alte Kaisermusik ganz absichtsvoll mit dabei: Man wollte die „guten alten Zeiten“ des Heiligen Römischen Reiches unbedingt mitschmettern lassen. Dieser vertrackte Herr Ebert war unfähig, die neue Republik ohne den alten Mummenschanz zu denken.

Das war für die Weimarer Republik fatal. Und es war für alles danach fatal. So fatal, dass der ganze Etsch-und-Belt-Quatsch aus Hoffmanns Lied nach 1945 nicht mehr gesungen werden sollte. Das erinnerte zu sehr an den deutschen Größenwahn der Nazi-Zeit.

Da war die – ziemlich trauerbeladene – neue Nationalhymne, die sich die DDR verpasst hatte, tatsächlich 100 Jahre moderner und zeitgemäßer. Das war sie sogar 1990 noch, als nun auf einmal das zerhackstĂĽckte Hoffmann-Lied wieder zur Hymne fĂĽr alle wurde. Weil sich die ĂĽblichen Hymnenverordner zu faul fĂĽhlten, jetzt wirklich mal ein modernes Lied fĂĽr ein modernes Deutschland schreiben zu lassen.

Und das Ergebnis? Wir haben eine bräsige Kaisermelodie mit einem blödsinnigen Text, nach der man nicht mal tanzen darf! Und wenn mal einer zeigt, was für Lustgefühle ein richtig schöner Olympiasieg erzeugt, dann melden sich diese ganzen grauen Bedenkenträger aus der Museumsabteilung der Republik und sprechen ihre Bannsprüche aus und fordern Kotau?

Das ist nicht nur lächerlich. Das ist beängstigend. Das zeigt, wie tief dieser ganze todtraurige nationalistische Firlefanz in den Seelen unserer Leitartikler steckt. Und wie humor- und lustlos unsere ganze Nationalkultur ist.

Wir haben eine Nationalhymne, nach der man nicht tanzen darf.

Das ist schlimm genug.

Nichts kann diese verschimmelte Kaiserhymne mit ĂĽberholtem Textmaterial mehr retten. Sie ist so tot wie das ganze national-mythische Gereimsel der Kaiserzeit.

Wir fordern eine neue.

Und wir wĂĽnschen uns noch ganz viele Olympiasieger aus diesem sagenhaft verklemmten Land, die – wenn sie schon mal da oben stehen dĂĽrfen  – auch tanzen und ihre Freude zeigen. Und auch zeigen, dass es ein paar Leute in Barbarossas Gefilden gibt, die sich die Freude von den Moralaposteln des historischen Staubes nicht verbieten lassen.

Sie haben alles richtig gemacht, Herr Harting. Sie mĂĽssen sich dafĂĽr nicht entschuldigen.

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Wenn ich nicht schon längst ein Abo hätte, ich würd jetzt glatt eins abschliessen. Ich mag es wie ihr denkt.

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