„Jetzt spricht Dylan!“ So oder so ähnlich konnte jetzt endlich die Boulevardpresse titeln, denn Bob hat nach zwei Wochen Stille endlich auf seine Preisträgerschaft des Literaturnobelpreises reagiert. Dylan spricht zwar nicht erst jetzt, sondern schon sehr lange und vor allem singt er seit 55 Jahren zum Wohlgefallen vieler Fans, aber dass er nun statt für seine Musik für seine Lyrik ausgezeichnet werden soll, dass raubte einigen dann doch die innere Ruhe und Balance.

Mir erschließt sich zwar nicht, warum im Rahmen des einschlägigen Nobelpreises nur das als Literatur bezeichnet werden darf, was man gemeinhin als Epik hinter dicke Buchdeckel zu pressen pflegt und warum die Vortragsweise von sprachlichen Kunstwerken sich aufs gesprochene oder besser nur aufs zu lesende Wort beschränken soll, aber sei’s drum.

Dabei kennen wir uns doch mit wirklichen Kategorie-Brüchen in Preisverleihungen aus. Erst Fünf Jahre ist es her, dass wir den jungen Migranten Bushido mit dem Bambi, nein, nicht für seine virtuose Musik ehrten, sondern für Integration. Gut, Bushido mag eine winzige Nuance neben der Liga eines Dylans spielen, aber so hoch her wie heute ging es seinerzeit nicht ansatzweise in den Diskussionen.

Nur wenige, darunter Künstler wie Peter Plate, Axel Milberg und Jeanette Hain, wussten sich damals im Rahmen der Preisverleihung mit gutem Grund von diesem Quatsch öffentlich zu distanzieren, bald aber forderte Veronika Ferres fidel die Rückkehr zur Tagesordnung: „Wir sehen uns einmal im Jahr und freuen uns, dass wir einen fröhlichen und bewegenden Abend miteinander verbringen können.“ Vielleicht wollte Vroni alle damit nur vermaschmeyern, andernfalls wäre abermals festzustellen: Im geistigen Winter ist gut mit rhetorischen Sommerreifen fahren.

Ausgerechnet das Blatt aber, das die beliebte deutsche Schauspielerin gerade ausführlich zum Thema „Frau Ferres, wie finden Sie Ihren Mann als Löwen?“ interviewte, fordert nun, Dylan solle den Nobelpreis ablehnen. Die Stockholmer Jury verrate die Schriftstellerei, weil sie etwas von Dylans Coolness abhaben wolle. Manchmal erhärtet sich der Eindruck noch mehr, die Leute läsen diese Zeitung nur, weil sie etwas von deren Armseligkeit abhaben wollen.

Dylan soll den Preis natürlich allein schon deshalb annehmen. Ein ganz klein wenig natürlich auch für die jahrzehntelange Faszination, die er mit seiner Wandelbarkeit in den zahlreichen Schaffensphasen auf sein Publikum ausübte. Man sollte annehmen, dass dafür auch die von ihm dargebotene Lyrik verantwortlich zu machen ist, die sich in virtuoser Weise aus den Stilen seiner Vorbilder speist. Wer das als schnöde Vermengung bereits bestehender Texte begreift, ist sich vermutlich seiner eigenen Verstrickung in Intertextualität nicht bewusst.

Und ich setze noch einen drauf: Er soll den verdammten Preis annehmen, weil er eine Haltung hat. Ein nicht versiegendes Engagement für eine Sache, die heute mit jedem Tag ein fragileres Gut zu werden scheint – Frieden. Wer’s noch nicht gemerkt hat: Der ist fast worldwideweg.

Und obwohl mir der Typus des Verweigerers immer ein bisschen näher stand als der des gemeinen Mitmachers, ein buntes Sympathiespektrum, das sich vom Karrieremach-Ablehner bis zum Kriegsdienstverweigerer zieht, kann das Annehmen von Preisen manchmal genauso klug sein wie es das Ablehnen zu anderer Zeit gewesen sein mag.

Mit anderen Worten:

Wenn in der heutigen Zeit ein langjähriges, in wunderbare Zeilen gekleidetes Pazifistentum mit einem solchen Preis gewürdigt und dies vom Gepriesenen akzeptiert wird, dann kann das ebenso richtig sein wie die Ablehnung des Literaturnobelpreises durch Sartre im Jahre 1964.

In einer vollkommen anderen politischen Gemengelage hatte dieser damals unmissverständlich als Motiv formuliert:

„Obwohl alle meine Sympathien den Sozialisten gehören, könnte ich dennoch gleicherweise zum Beispiel einen Lenin-Preis nicht annehmen. Diese Haltung hat ihre Grundlage in meiner Auffassung von der Arbeit eines Schriftstellers. Ein Schriftsteller, der politisch oder literarisch Stellung nimmt, sollte nur mit den Mitteln handeln, die die seinen sind – mit dem geschriebenen Wort. Alle Auszeichnungen, die er erhält, können seine Leser einem Druck aussetzen, den ich für unerwünscht halte. Es ist nicht dasselbe, ob ich ‚Jean-Paul Sartre‘ oder ‚Jean-Paul Sartre, Nobelpreisträger‘ unterzeichne.“

Insgesamt ist der Welt doch nur zu wünschen, dass jeder, der mit einem Preis bedroht wird, genau hinschauen möge, WER ihn denn da genau WOFÜR zu belobigen wünscht. Das könnte schon viel helfen. Vielleicht hätte ich die Herder-Medaille in Gold nicht annehmen dürfen, vielleicht haben sich manche das Sportabzeichen erschlichen, vielleicht hätte man auch zum Mutterverdienstkreuz flächendeckend NEIN sagen müssen.

Auch diese Antwort weiß wieder einmal ganz allein der Wind …

In eigener Sache – Wir knacken gemeinsam die 250 & kaufen den „Melder“ frei

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