Am 2. November veröffentlichten wir im Melder die Mitteilung der Linksfraktion im Sächsischen Landtag „André Schollbach (Linke): Staatsleistungen an Kirchen in Sachsen erreichen neues Rekordniveau“. Die fand dann Theo im Kommentar etwas dünn. Verständlicherweise. Das ist bei unbearbeiteten Mitteilungen aus dem Ticker nun einmal so. Deswegen ist da ja bei uns ein Trennstrich, den andere nicht mal vom Hörensagen kennen.

Was hat Theo bemängelt? – „Die Datenlage des Artikels ist etwas dünn. Absolute Zahlen sagen noch nicht zwangsläufig etwas über Entwicklungen aus. Hat sich denn der prozentuale Anteil an den Gesamtausgaben auch „nahezu verdoppelt“? – Und wie sieht der Saldo bei Bei/Austritten aus? Im Artikel schreiben Sie nur von Austritten.“

Mehr hatte der Abgeordnete der Linksfraktion André Schollbach auch nicht mitgeteilt: „Im Zeitraum von 1995 bis 2015 sind in Sachsen insgesamt 148.548 Menschen aus den Evangelischen Kirchen ausgetreten, 20.871 Mitglieder verließen die Katholische Kirche. Damit haben in dieser Zeit insgesamt 169.419 Menschen den beiden großen Kirchen in Sachsen aktiv den Rücken gekehrt.“

Ihm ging es auch eher um die Frage: Warum steigen dann die Staatsleistungen des Freistaates an die Katholische Kirche und die Evangelischen Kirchen, wenn so viele Kirchenmitglieder austreten?

„So erhalten die Evangelischen Kirchen im Jahr 2016 23.995.715,24 Euro (2015: 23.463.736,00 Euro; 2014: 22.894.987,23 Euro) und die Katholische Kirche 959.828,46 Euro (2015: 938.549,34 Euro; 2014: 915.799,41 Euro) aus der Staatskasse. Seit der erstmaligen Zahlung von Staatsleistungen an die Kirchen in Sachsen im Jahr 1993 haben sich die jährlichen Zahlungen nahezu verdoppelt. Damals bekamen die Evangelischen Kirchen 25.000.000,00 DM (12.782.297,03 Euro) und die Katholische Kirche 1.000.000,00 DM (511.291,88 Euro).“

„Die massive Finanzierung der Kirchen durch den Freistaat Sachsen ist kritisch zu betrachten. Denn indem der Staat einen wesentlichen Teil der Kirchenfinanzen bereitstellt, wird die verfassungsrechtlich garantierte Trennung von Staat und Kirche ausgehöhlt“, befand André Schollbach. „Weiterhin fehlt es der öffentlichen Hand vielfach an notwendigen Mitteln zur Erfüllung sozialer und kultureller Aufgaben. Gleichzeitig werden aber unhinterfragt Jahr für Jahr enorme Summen an die Kirchen gegeben. Daher bedarf es einer kritischen Prüfung der staatlichen Kirchenfinanzierung.“

Er hätte auch sagen können: Es verblüfft schon, dass die wichtigsten politischen Ämter in Sachsen von Leuten besetzt sind, die nicht nur Mitglied einer Kirche sind, sondern auch ihre religiöse Haltung immer wieder in Staatsakten, Reden und Gesetzen zum Ausdruck bringen. Und das in einem Land, das – zum Beispiel aus römischer Perspektive – als schrecklich heidnisch und säkular gilt.

Stimmt. Da fehlten in der Mitteilung der Linken die Zahlen.

Die gibt es aber auch. In diesem Fall vom Landesamt für Statistik.

Danach haben die beiden christlichen Kirchen in Sachsen massiv an Mitgliedern verloren. Am stärksten die Evangelische Kirche, deren Mitgliederzahl von 1,168 Millionen im Jahr 1995 auf 787.339 im Jahr 2014 und dann auf 771.784 im Jahr 2015 fiel. Was den Anteil an der Gesamtbevölkerung von 25,6 auf 18,9 Prozent sinken ließ.

Ganz ähnlich bei der Katholischen Kirche, deren Mitgliederzahl von 189.449 sogar anstieg auf 192.587 im Jahr 2000 und dann wieder abfiel auf 150.278 im Jahr 2014. 2015 gab es wieder einen leichten Anstieg auf 151.100. Was mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zusammenhängt, dass Sachsen mittlerweile auch für viele Westdeutsche, aber auch für Italiener und Spanier ein beliebtes Zuwanderungsland geworden ist. Trotzdem sank der Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung von 4,1 auf 3,7 Prozent.

Was dann nach Adam Ries heißt: Nur 22,6 Prozent der Sachsen sind noch kirchlich gebunden. Und trotzdem ist Religion in der sächsischen Politik und im Dreiländer-Dudelfunk omnipräsent. Man bekommt so das vage Gefühl, dass Religion wie ein Mäntelchen benutzt wird, um nach außen eine Art moralisches Außenbild abzugeben, tatsächlich aber zu kaschieren, dass moralische Fragen in der sächsischen Politik in Wirklichkeit immer ausgeblendet werden. Man tut so „als ob“, kneift aber immer dann, wenn moralische Haltungen gefragt sind.

Was natürlich auch den Kirchen nicht guttut, die damit eine Funktion zugewiesen bekommen, die sie gar nicht ausfüllen können.

Deswegen beharrt ja Schollbach auch so auf der eigentlich geforderten Trennung von Kirche und Staat. Die Staatsspitze tut gern so, als hätte sie mit der Kirche eine moralische Instanz, suggeriert aber auch gleichzeitig, Menschen ohne Kirchenmitgliedschaft seien in moralischen Fragen eher unzurechnungsfähige Gesellen. Und dann geschehen all diese Ereignisse von Heidenau bis Bautzen, von Abschiebepolitik bis hin zur Sparorgie bei den Lehrern – und es kommt nicht mal ein Wort für das Versagen. Das in allen Beziehungen immer auch ein moralisches ist.

Wer Sparzwänge über die Absicherung von Bildung setzt, der setzt Geld über Menschen. Wer gefüllte Sparfonds für wichtiger hält als gut bezahlte Polizisten, der setzt Geld über Menschen. Das ist auch im christlichen Sinn unmoralisch. Und wenn dann gleichzeitig die Zuweisungen an die Kirchen automatisiert immer weiter ansteigen, taucht natürlich die Frage auf: Welche gesellschaftliche Organisation in Sachsen wird ähnlich selbstverständlich unterstützt? Das bringt die Staatsregierung ja nicht mal mit all den Initiativen fertig, die sich im Freistaat gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus einsetzen.

Da taucht, wie man sieht, ein großes Loch auf, gespickt mit Dornen, weil diese ach so christliche Regierung gerade diese Initiativen immer wieder in Generalverdacht der Staatsgefährdung gesetzt hat.

Die Veranstaltung, die die Linksfraktion mit der Meldung beworben hat, findet übrigens am heutigen Freitag, 4. November, um 19 Uhr im Kulturrathaus, Königstraße 15 in Dresden statt.

Mitglieder der Evangelischen Kirchen 2015. Drs. 6516

Mitglieder der Katholischen Kirche 2015. Drs. 5479

Staatsleistungen für die Evangelischen Kirchen 2015. Drs. 5186

Staatsleistungen für die Katholische Kirche 2015. Drs. 5185

In eigener Sache – Wir knacken gemeinsam die 250 & kaufen den „Melder“ frei

https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/10/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

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